Ich treibe dahin, ich bin unglücklich-glücklich, verloren in der Geborgenheit eines Nichtseins im seienden Jetzt! Und in mir ist eine Melodie, eine Begleitmusik zu meinem Weg durch den Irrgarten der Welt. Mir ist, ob es nun stimmt oder nicht, völlig belanglos, so als komponierte ich sie mit und es ist: eine Elegie!
Es fällt schwarzer Regen, ich bin ein schwarzer Prinz, es ist ein schwarzer Freitag der Liebesgefühle, schwarze Träume wabern in tagheller Nacht!
Von hinter der Nacht dringt ein Gesang an mein Ohr. Die Stimmen locken sirenisch … Feine, fadenartige Töne umschleiern mich. In ihrem Kielwasser flackern Bildchen vor meinen Augen auf. Sehstörungen gleich, gehen sie wie Perlenschnüre durch meinen Sinn.
Der Urwald in meinem Unterbewusstsein brennt, doch auch die Flammen singen:

Steige in den Aschenregen –
deine Asche ist dein Haupt!
Stürme, die sich noch erheben,
haben dir die Fahrt erlaubt.

Eine Fahrt im Schiff der Ruhe.
Denn die Geister warten dort,
wo dein Weg ganz ohne Schuhe
und dein Raum ganz ohne Ort.

Neutronensterne blinken auf. Ich sehe sie deutlich. Sie haben sich unter die Wolken geschlichen: winzige Nullpunkte, die sich um sich selbst drehen. Sie haften am schwarzen Brett, gleich neben der schwarzen Liste aus all meinen Sammlungen. Den Sammlungen an Taten, Gedanken, Mühen, aus all den lebendigen Erinnerungen, die jetzt in das Licht der Freude getaucht sind.
Ich wandle durch mein schwarzes Schloss. Ein schwarzes Ross kommt mir schnaubend durch den Hauptgang entgegen. Ich entkleide mich, knie nieder und versäume nicht, die wispernden, unsichtbaren Feen zu loben, deren Anwesenheit ich fühle, wenn ich in die Tiefe der Erscheinungen blicke, die da sind: Eisskulpturen! Ihr Leuchten verblasst gerade. Als ich noch lichterloh brann-te, täuschten sie mich, schienen erfüllt von knisterndem Sein. Aber sie knisterten nicht! Es knisterten nur meine trockenen Knochen – ein Geräusch aus der Zukunft, das ich in keinem Zusammenhang mit meiner Asche sah.

Freudenfeuer in der Nacht,
euer Schein hielt mich am Machen,
Lichtspiel aus dem tiefen Schacht,
sprecht noch einmal von dem Lachen,

das für mich zu Festen glühte,
dann bin ich von mir umgarnt.
Quelle der Ideen, hüte!
Zeig dich mir nicht ungetarnt.

Der Pfad leuchtet in schwelender Schwärze. Die Impul-se universeller Einheit blitzen sporadisch um mich auf. Laternen gehen voran! Und eine Welt implodiert in eine Welt, die keine ist, die aber vor der Welt war und nach der Welt sein wird: Unwelt! Unendliches Wissen, du erzeugst Angst. Die Inflation deiner Begriffe übersteigt mein Beur-teilungsvermögen und ich weiß nicht mehr, wer ich gewesen bin.
Wer ich „wirklich“ war, wird fadenscheinig, erlischt in der Bedeutungslosigkeit von Milliarden Lichtjahren, deren Vorhandensein nur in dieser Vorwärtsbewegung deut-lich wird, die wir „Realität“ nennen, die letztlich aber eine halluzinatorische Illusion ist. Im Teilchenmeer gefangen, auf diesem Bio-Holodeck der Existenz, vollziehe ich mich und gebe mich auf.

Frost bricht in mein kaltes Ich,
es ist ja schon längst verloren.
Ego, bitte denk an mich –
„Bist du doch umsonst geboren?“

„Nimm dich selber in die Hand“,
ruft ein Niemand, „sei dein Held!“,
dann verschwindet alles Land
und sogar das Himmelszelt.

„Wer in der Nacht nach Beweisen für seine tägliche Ar-beit sucht, der wird sich vor sich selbst nicht mehr rechtfertigen wollen“, sage ich ohne Hauch und schleppe mich weiter. Die Auflösung ist schleichend, aber spürbar. Die Gedanken anderer Menschen befallen meinen Geist wie Fäulnisbakterien. Sie zersetzen meinen Wunsch zu siegen. Ich bin keine Hinterlassenschaft!
Ich bin die Dunkelheit im schwarzen Regen, ich bin logisch nicht haltbar, ein Auslöser für den schwarzen Freitag der Liebesgefühle, bin Hugin und Munin in tagheller Nacht. Mein unhörbarer Gesang dringt wie eine Melodie aus meiner Seele in die Fadenscheinigkeit verlorener Existenzen und zerflackert in Bildchen als Perlenschnur. Weit entfernt ist mein Sinn …

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 254. Schritt

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 254. Schritt"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 254. Schritt

Autor: Angélique Duvier   Datum: 10.05.2022 14:58 Uhr

Kommentar: Wie nicht anders von Dir zu erwarten, hast Du wieder ein grandioses Werk geschaffen, lieber Alf!

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 254. Schritt

Autor: Sonja Soller   Datum: 10.05.2022 15:25 Uhr

Kommentar: Es ist unglaublich, was aus deiner Feder fließt, lieber Alf,
dein Gedankenreichtum scheint unermesslich!!!
Wieder grandios geschrieben!

Herzliche Grüße aus dem etwas stürmischen Norden, Sonja

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 254. Schritt

Autor: Alf Glocker   Datum: 10.05.2022 17:58 Uhr

Kommentar: Vielen Dank liebe Freunde

Liebe grüße
(aus dem stürmischen Süden)

Alf

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