Als ich mich nicht fragte, wer ich nicht war, oder nicht sein würde, woher ich blieb und wohin ich kam, da übernahm ich eine Eskorte aus Naschkatzen, mit Essig auf der Zunge und einem Schleier von keinem Dunst vor den Augen.

„Such das Stöckchen!“, sangen sie wie ein verführerischer Elfenchor, bevor es Punkt 12 Dreizehn schlug. Ich bekam ein unbestimmtes High-Noon-Gefühl und versuchte natürlich sofort zu apportieren, doch etwas kam mir dazwischen: ich!

Leg dich zur Seite und versuche, dich völlig neutral zu verhalten, meinte es, das Ich (meines – wer wohl immer das war). Und ich folgte diesem Wink mit dem Zündholz, das auch plötzlich Feuer fing. Ich blies und blies, aber es wollte nicht ausgehen, bis ich bemerkte, daß ich es nur in Gedanken tat, mir wünschte, es möge doch baldigst von jemand anderem getan werden.

„Ach, bliese doch jemand 11, 12 oder 13-mal an meiner Stelle, ganz ohne Gedanken!“, rief ich liebesgesund, bevor ich aus diesem Delirium erwachte und langsam bis 3 zu zählen anfing. Ich kam bis 2,99, dann war der Anflug von Frühlingsduft bereits wieder verflogen.

Ich bemühte mich, an mir herumzusortieren. Was hörte, sah oder fühlte ich? Das eine war die reale Welt, das andere ein surreales Konstrukt. Aber welches von beiden war was? Ich schaute mich um und blickte in irre Augen. In wessen Augen? Ich weiß es nicht – sie kamen aus dem Dunkel aller Umnachtungen und sie stachen aus dem blauen Himmel hervor! Um mich hing zusätzlich noch alles voller rücksichtsloser Spiegel!

Doch es waren nicht die Spiegel, die irgendwer hier, wie an Wäscheleinen, aufgehängt hatte, es war der Klüngel der Welt, unter dessen Augen ich in eine absurde Party geraten sein musste. Was für ein Treiben?!

Eine pseudo-innere Stimme, ein aufoktroyiertes Anstandsmuster riet mir, mich darin geirrt zu haben, daß ich mich am Ende der Erdenscheibe befand. Aber was sollte es sonst sein, was da vor mir wie ein endlos tiefer Abgrund aufgähnte? War es die Absurdität des Gewöhnlichen, oder das Gewöhnliche der Absurdität? Beides sind lebendige Tatsachen, da war ich mir sicher.

Nun galt es, sich zu verlustieren – und zwar auf eine offiziell anerkannte Weise. Durfte ich jemanden kaltmachen? „Schlag mich!“, tönte es aus einer Nebenstraße meiner Überzeugungen. Alternativ dazu wurde mir angeboten, Briefkastenfirmen zu gründen, oder Waren-Termin-Geschäfte zu betreiben. Das erschien mir alles zu kompliziert!

„Saufen und unentwegt zeugen!“ Das stand auf einem Zettel, den ich in der untersten Schublade meines Tassenschranks fand. Das hielt ich für ein wenig zu lustig. Ich versuchte herauszufinden, wer diesen Sinnspruch verfasst haben konnte und schaute im Fremdwörterlexikon unter „Kretin“ nach, während ich mir fortwährend Komplimente machte, bisher nicht noch unangenehmer aufgefallen zu sein.

Mein Mensch, so nenne ich das Fleisch und Blut meines Körpers, mein Außenherum, existierte! (Aber es sollte dringendst konvertieren!) Ich brauchte etwas, worin ich schwarz auf weiß nachschlagen konnte, was man einfach nicht in Erfahrung bringen kann, wenn man Charakter hat. Leider musste ich bald feststellen, wie wenig Faszination von allem ausging, das völlig geheimnislos platt erklärt wurde, um einfach nachvollzogen zu werden.

Dieser mysteriöse Umstand brachte mich schließlich auf die alles entscheidende Idee: Mir blieb nichts anderes übrig, als eine Vestalin zu verführen! Mit ihr zusammen wollte ich dann in die Verbannung reisen, auf die einsame Insel des Wahnsinns – so von der Welt benannt – um dort glücklich zu werden. Aus dem Wahnsinn in den Wahnsinn sozusagen.

Der Einfachheit halber erklärte ich nun alle schönen, klugen und liebevollen Frauen des Universums zu Vestalinnen und suchte nach geeigneten Landeplätzen für ihre Raumschiffe. Als ich endlich einen passenden fand, setzte ich mich in seine Mitte, die wohl auch die meine war, und wartete ab. Nach 251 Tagen fing es zu regnen an: Kleine Flämmchen fielen vom Himmel herab, zerstörten alles Überflüssige, so daß nur ich und meine noch nicht angekommenen Vestalinnen übrig blieben – worauf ich, in ab-soluter Erleuchtung, erlosch! (Um am 252. Tag als pures Hirn wieder aufzuerstehen.)

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 251. Schritt

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 251. Schritt"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 251. Schritt

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 06.05.2022 11:38 Uhr

Kommentar: Köstlich, lieber Alf.
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 251. Schritt

Autor: Sonja Soller   Datum: 06.05.2022 14:59 Uhr

Kommentar: Erfrischend!!!
Um es mal mit deinen Worten zu sagen, lieber Alf!!!!

Herzliche Grüße aus dem staunenden Norden, Sonja

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 251. Schritt

Autor: Alf Glocker   Datum: 06.05.2022 17:55 Uhr

Kommentar: Vielen Dank liebe Freunde

LieGrü
Alf

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