Oft, viel zu oft, taucht in mir die Frage auf: „Was ist eigentlich gut auf der Welt?“ Dann bin ich mir uneins, denn Gut und Böse scheinen in eine undefinierbare Suppe, eine Grauzone zu verschwimmen, die mir unauslöffelbar scheint! Um frei durchatmen zu können, blicke ich in die Natur und sage: „gut!“ Doch gleich darauf bekomme ich einen Schluckauf, weil mir das Wort „gut“, wie eine Gasblase im Halse steckengeblieben ist.
Vor mir tanzen die Millionen Mücken der fleischlichen Versponnenheit. Einige davon landen in den Netzen unserer vielen, achtbeinigen Helferchen, der Spinnen. Ich versuche das Wort „gut“ noch einmal zu wiederholen, während ich die zuckenden kleinen Leiber der Mücken betrachte, die gerade von dem übermächtigen Feind ausgesaugt werden. Warum bringe ich es nicht mehr über die Lippen?
„Der Naturhaushalt ist doch gut“, protestiere ich gegen mich, „zumindest, solange er sich im ungestörten Gleichgewicht befindet!“ Was sonst?! Nur, wenn ich das „ungestörte Gleichgewicht“ betrachte – an den wenigen Stellen, wo es überhaupt noch vorhanden ist –, dann wird mir schlecht! Pflanzen verdrängen sich gegenseitig, Tiere ebenso – und zwar in allen Größen und Nischen des Lebens. Es ist eine Freude, die Pracht anzuschauen und die Details dabei zu übersehen!
Ich wende mich, glaube ich, lieber den Städten zu. Ja, dort ist das Gute! Dort wird gebaut, geliebt, verkauft, hergestellt – und was weiter? Menschen bekämpfen sich ohne Krieg! Ein Verdrängungswettbewerb findet statt, einer, in dem Pflanzen und Tiere gar keine Bedeutung mehr haben. Sie dienen nur der Dekoration oder der Nahrungsmittelaufnahme. Gut, daß wir zu essen haben, denke ich froh – bis ich mir vorzustellen beginne, wo das alles herkommt. Meine Augen glänzen tränenfeucht!
Woran kann ich mich jetzt noch klammern? Richtig … eine Schwangere kommt mir gerade entgegen, das ist doch schon mal was. Mit glücklichen Augen glotzt sie in die Welt. Ihrer Schwangerschaft gingen Rangkämpfe unter den männlichen Bewerbern um ihren Leib voraus. Einer davon hat ihre Gunst erworben, damit er glücklich werde und sie gemeinsam die Lust erleben können. Das hielt eine Weile, bis sie der Sog des allgemeinen Gerangels um das tägliche Brot wieder zurück in die „Realität“ riss.
Dort, in der Realität, wurde der Frau plötzlich schlagartig klar, daß in ihr die eine verborgene Uhr tickt. In Weisheit entschloss sie sich zur Reproduktion, worauf entweder die Verhütungsmittel „vergessen“ wurden, oder sie auf einmal „schicksalhaft“ versagten. Manchmal ist obendrein der Alkohol oder eine andere Droge, wie auch der Wohlstand oder die Armut, schuld daran. Nun jedenfalls ist der neue Mensch auf dem Weg zum Licht und die Frau ist gebläht wie eine Mastgans. Sie wird nach der Geburt Streifen in der Haut haben, die sie nie wieder wegbekommt. Die Geburtsschmerzen werden ebenfalls fürchterlich sein – sie wird ein alptraumatisches Erlebnis haben! Ist das gut? Nein, das nicht, aber der neue Mensch ist doch gut – oder?!
Er wird sterben! Alle werden sterben! Alles was geboren wird, was irgendwie entsteht, wird einmal sterben! Ist das gut? Nein! Das ist schlecht! Das Entstehen ist gut, das Vergehen aber schlecht? Das Fressen ist gut, das Gefressenwerden aber schlecht? Schmerzen sind schlecht, geboren werden aber gut? Geboren werden, um zu verdrängen, zu werben, zu töten, zu unterdrücken, zu kämpfen, zu denken und zu leiden, zu lieben, um seine Bedürfnisse zu befriedigen – dies ist insgesamt gut? Iiiijaa, klar, logisch, ich meine, was denn sonst?
Bei genauer Überlegung ist es nicht wirklich gut. Bei noch genauerer Überlegung rückt es sogar langsam in die Gegend von schlecht! Aber wenn das schlecht ist, dann ist es auch schlecht, zu leben! Aber das stimmt eben auch wieder nicht! Es ist gut, zu leben und es ist noch besser, gut zu leben! Dafür kämpfen wir alle. Zugegeben – manchmal sind wir schon ein bisschen blöd, zum Bei-spiel, wenn wir Errungenschaften wieder aufgeben, die wir uns vorher mühsam ermöglicht haben, weil wir danach nicht lange genug nachdachten. Das ist übrigens nicht bloß gegen unsere Interessen, sondern zusätzlich gegen die Natur. Blöder als blöd also!
Nun wissen wir aber, was gut ist und was nicht: der wohl durchdachte Ausgleich in allem! So kommen wir mit teilweise schlechten Mitteln zum „Guten“? Nennen wir es, wie wir wollen – es gibt einfach nichts durch und durch Gutes, denn, was gut ist, ist immer der persönlichen Interpretation unterworfen. Man muss sich demnach nur vor dem „Guten“ der Menschen hüten, die das Gute anders interpretieren als wir, denn das Beste von allem Schlechten wird immer den Sieg davontragen. Somit wird es wohl gut sein, wenn wir das Gute für uns und das Schlechte für die anderen anwenden? Und das soll gut sein? Nein, das ist schlecht! Aber ohne diesen Haushalt des Schlechten gäbe uns ja nicht. Und das wäre doch sehr schlecht – nicht wahr?!
Tage eilen in grauen Kleidern
an mir vorbei, doch ich
glaube zu schweben, eingehüllt
in einem Mantel aus Licht.
Ich habe noch viel vor
und halte die Uhren an,
doch das Leben läuft [ ... ]
Strahlend wärmt der Sonnenschein nach dürstend, finsterer Zeit.
Licht und Wärme streichelt alle Sinne, die wir haben.
Ein Märchen scheint erwacht zu sein, in einem bunten Kleid.
Des Lebens [ ... ]
Gevatter Tod, -unsichtbarer Geselle,
verbreitest bisweilen Angst und Schrecken,
stehst von Anbeginn schon vor der Tür,
gehst neben mir, trittst an des Lebens Stelle.
„Schau doch wie die Bäume blühen“
flüstert mir mein Freund ins Ohr.
„Siehst du wie die Jahre ziehen?!“
frage ich ihn voll Humor –
aber er geht nicht drauf ein,
denn er lässt [ ... ]