Ströme lebender Zellen produzieren Abläufe: Zeit. Sie reißt mich mit. In ihrem Fluss treibe „ich“ auf eine riesige Schleimqualle zu, deren feste Membran „mich“ einlässt. Ich bin im Innern! Schon beginnt der „Traum“!
Draußen herrscht die „Romantik“ – eine winzige Feuerstelle auf einem Wachszylinder beleuchtet die Tat. Ein tief brummendes Wesen ist im Bann eines anderen Wesens gelandet, das in hohen Tönen „singt“. Die Szene ist gespenstisch. Es sieht so aus, als wollten sie sich gegenseitig auffressen! Noch bin ich zum guten Teil im feinstofflichen Bereich und kann die Katastrophe neutral mitver-folgen, doch ich fühle, wie tausend Hände nach mir greifen. Da wollte ich hin. Nur warum?
Das tief brummende Geschöpf wälzt sich drohend heran. Es hat die Natur im Gepäck – die treibt es vorwärts. Das Geschöpf tut unglaubliche Dinge. Es sucht die feuchten Stellen des anderen, stimmlich höher tönenden Wesens auf und versucht dort überall ein bestimmtes Körperteil, das voller Sekrete ist, hineinzustecken. Zuerst trifft es auf den Teil des anderen Geschöpfes, das sein Schaltzentrum trägt. Dort befindet sich eine Körperöffnung, die jetzt bereitwillig aufgeht. Das Brummende steckt sein Geschmacksorgan hinein, begegnet dort einem anderen, fremden, aber ähnlich aussehenden Gebilde. Sekrete treffen auf Sekrete!
Ich vernehme ein Schwingen in der Luft, das zwei Quellen entstammt. Es scheint Wohlbefinden äußern zu wollen. Größeres bahnt sich an! Inzwischen beginnt es in den Leibern zu brodeln. Seltsame Prozesse spielen sich ab, Prozesse, die meine Existenz in eine bisher unbekannte Identität verwandeln. Aber gleichzeitig ereignet sich ein Beben.
Im Brummenden steigen Säfte auf, und eine Stelle seiner gigantischen Oberfläche wird ganz hart. Seine Körperbehaarung stellt sich auf. Der furchtbare, schweißabsondernde Leib des Monstrums wird von undefinierbaren Wellen ergriffen. In seiner Schaltzentrale treten Kurzschlüsse auf. Das Monstrum ist nicht mehr steuerbar …
Die Schaltzentrale des anderen Wesens lässt eine andere seiner Körperöffnungen sehr feucht werden. Das eine Monstrum hat jetzt sein Geschmacksorgan an der sehr feucht gewordenen Körperöffnung des anderen Monstrums, dessen lauterzeugendes Segment einen spitzen Ton produziert. Der Verursacher des spitzen Tons bäumt sich auf, seine Greifarme verkrampfen sich in den Extremitäten, sie krallen sich in das behaarte Geschöpf und ziehen es auf sich.
Die ungeheuren Leiber berühren sich zuerst an der Schweißschicht. Dann dringt der hart gewordene Teil des Brummwesens in den anderen Leib ein. Jetzt wird ein beiderseitiges „Ahhh“ hörbar, wobei sich die Tröpfchen in der Atemluft zu einer unhygienischen Wolke vereinigen.
Wieder – als sei dies nicht schon eklig genug – suchen sich die Geschmacksorgane, Speichelfäden ziehend. Als sie sich gefunden haben, brodelt es im Reservoir der Keimdrüsen des Behaarten. Unruhe wird spürbar. Sie fühlt sich an, als würde die pure Lebenskraft in einem Baumstamm aufsteigen. Ein Kribbeln durchflutet wie Sonnenlicht das bewegliche Sein. Hier findet jedoch keine Photosynthese statt – hier kriecht das Universum in einen magnetischen Vorgang: das Diesseits! Abscheuliche Substanzen, eine Emulsion aus quappenartigen Gebilden und einer schleimigen Masse einerseits und einem Gleitgel aus Schleimhautabsonderungen andererseits, vermischen sich in einer Eruption von Wildheit und besinnungslosen Bewegungen zu einem zukunftsträchtigen Gebräu.
Das Geschrei der beiden in Rage befindlichen Monster ist unerträglich geworden. Hautschuppen regnen auf ihre Unterlage. Der Höhepunkt des Schauspiels ist erreicht! Und der Ansturm beginnt.
Alle weiteren Tore und Öffnungen hinter sich lassend, dringt die Expeditionsarmada aus dem Körper des haarigen Brummgeschöpfes in das Fleisch des anderen Wesens ein. Die durch die Armada erzeugten Geräusche sind schauerlich. Alles ruft nach dem Leben, alles versucht sich dem Vergehen einzuverleiben. Aber es ist zu spät!
Die Qualle, die mich eingelassen, mitgerissen hat, als ich noch weniger als ein Ich war – ein halbes Sein sozusagen – ist bereits aufgedunsen. Sie sitzt festgekrallt wie ein Virus auf den Zellen seines Wirts. Bald wird sie beginnen, ihn zu verwandeln. Sie lässt, mitten in einem anderen Dasein, ein Urmeer entstehen, in dem sie gedeihen kann. Dann wird sie, ohne Rücksicht auf Verluste, den Wirtskörper aussaugen, denn ein Etwas möchte vollständig entstehen, sich eingliedern in die Erzählung einer Welt, die nur bestehen kann, weil sie nicht erkannt wird …
Ereignisse werden stattfinden, und wenn es Glück hat, dieses neue Ich, dann wird es aus einem geblähten, gepeinigten Monsterleib steigen, um ihn auch von außen her schlaffzusaugen und gleichzeitig etwas zu verbreiten, das man sich bloß erklären kann, wenn man nichts erklärt: instinktive Freude!
Kommentar:Moin Alf, Hmmmmm..........das erinnert mich doch an meine eigene Geschichte vom Anfang des Freischwimmens über, das große Saugen und Verdauen und als Plumpsack hinausgeschmissen durch einen geschlitzten Vorhang in's Ungewisse! :-) Oder 2. an den Film die Körperfresser!
lg Michael
Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten 227. Schritt
Kommentar:Lieber Alf, hätte man mir deine Zeilen in gewissem Alter in der Schule vorgetragen, wüsste ich nicht , ob ich jemals ,,Lust" verspüren würde.
Eine ,,schöne" Sichtweise führst du hier vor.
Ich werde drüber schlafen.
Liebe Grüße, Jens
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