Unter mir schwankt etwas. Das muss der Boden der Tatsachen sein, auf dem ich mit beiden Beinen stehe. Oder sind es die Planken des Lebensschiffchens, das mich zu neuen Horizonten trägt? Oder ist es ein Wüstenschiff, ein Kamel, das sich in den fatamorganischen Weiten von Oase zu Oase kämpft?

Ich weiß es nicht! Ich weiß bloß, daß sie wieder seltener geworden sind, die Oasen, die Horizonte, die Hoffnungen. Ich umsegle ein Kap! Das Kap der Stürme, der Sandstürme, durch die mich mein Kamel trägt. Ich sehe die Hand vor Augen, aber ich weiß nicht, ob es meine ist!

Um mich ist, wie zu allen Zeiten, der Betrug! Und da ist noch der Lärm. Er kommt vom Hauen und Stechen! Will mich ein Piratenschiff entern, oder sind mir die Ungläubigen auf der Spur? Ich suche nach meinen Waffen – wie hießen sie doch gleich?

Jetzt erinnere ich mich wieder: „Körperkraft und Geist“. Und ich erinnere mich auch wieder, daß sie mir noch nie etwas genützt haben, denn immer, wenn ich körperlich stärker als einer war, dann war dieser verschlagener als ich, und immer, wenn ich geistvoller als einer war, dann spielte der einfach seine größere Körperkraft gegen mich aus!

Ich richte mich auf! Ich gehe auf die Brücke, ich steige auf den Kamelsattel, ich versuche, fester zu stehen auf dem Boden der Tatsachen, doch da kommen der Nebel und ein Erdbeben gleichzeitig auf mich zu. Zudem überflutet eine Sturmwelle mein Boot. Unter meinen beiden Beinen, auf denen ich stehe, tut sich der Boden auf. Wo sind die Tatsachen?

Die Horizonte verschwimmen, die Götter steigen von ihren Thronen in die Welt und wirken Wunder des Wahnsinns, die ich nicht verstehen kann, denn alles ist zu einer einzigen Fata Morgana geworden. Neben mir hat sich Odysseus vom Mast losgerissen, weil er sich in Medusa verliebt hat, Ali Baba ist unter die 40 Räuber gegangen – ein Meteor rast auf die Erde zu! Er besteht aus unerträglichen Ereignissen, die sich zu einer schleimigen Masse geballt haben.

Wenn er auftrifft, versinkt alles Leben im immerwährenden geistigen Winter, der die Kontinente unter seiner Last absinken lässt, wie unter riesigen Gletschern der Unvernunft.

Das Schwanken wird stärker! Ich schwanke zwischen Lieben und Hassen, entscheide mich aber für die Gleichgültigkeit. Doch das hält dies Schwanken nicht auf. Es schwillt an, es wird zu einem Rotieren. Ich rotiere! Die Fliehkraft drückt mich an das Geländer des Daseins vor dem Abgrund der Leere …

… und nun fühle ich sie bereits. Es ist dieselbe Leere, die ich einstmals verlassen habe, um das Land der Vorspiegelungen zu bewohnen. In diesem Land bildete ich mir ein, ein kleiner Glückspilz zu sein, denn was mir zu Füßen lag, war nicht nur schön, sondern falsch! Die Schmuckstücke glitzerten zwar in einer trügerischen Sonne, worin sie mir Spaß wie Erfolg verhießen, aber auch damals schon schwankte in irgendeiner Wirklichkeit der Boden unter meinem einen Bein des Glaubens an das Gute. Und doch hüpfte ich unverdrossen vorwärts. Hopp, hopp, hopp.

Damals hatte ich alles vergessen, den Betrug wie den Lärm des Hauens und Stechens. Um mich her vollzogen sich die wahnsinnig kleinen Wunder der Götter, die ihre Throne noch nicht verlassen hatten, die Frische winkte mir aus der Wüste auf meine Schiffsplanken zu, mit tausend spiegelnden Fata Morganen, die, wie ich heute, in Kreisen gingen, wo sich keine Form der Weisheit mehr nachvollziehen lässt!

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 144. Schritt

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 144. Schritt"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 144. Schritt

Autor: humbalum   Datum: 09.12.2021 10:51 Uhr

Kommentar: Ja! Echte Siege auf dieser Welt gibt es nicht. Nur Vereinbarungen die die Katastrophe etwas hinaus zögern. Oder zu dem Wunder führen, mit dem ein Mensch trotzdem aktiv bleibt! Ich wünsche Dir einen wunderbaren Donnerstag! Klaus

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 144. Schritt

Autor: Sonja Soller   Datum: 09.12.2021 12:51 Uhr

Kommentar: Deinen Gedankengängen zu folgen, fällt mir nicht leicht.

Im Grunde bewegen wir uns alle auf schwankendem Boden und nicht erst seit gestern. Alles scheinbar Glänzende entpuppt sich später als stumpf und hohl, als Schein, der trügt. Es gibt immer Einen, der stärker oder schlauer, weiser ist, als man selber, oder es vorgibt zu sein. Eine heile Welt wird vorgegaukelt, in der wir uns für kurze Zeit sicher fühlen. Die Realität kommt dann schneller zum Vorschein, als man es wahr haben will. Da muss ich Klaus beipflichten, am Ende wird es keine Gewinner geben.

Herzl. Grüße aus dem nachdenklichen Norden, Sonja

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 144. Schritt

Autor: Alf Glocker   Datum: 09.12.2021 17:01 Uhr

Kommentar: Ich bedanke mich liebe Freunde!

Und, ja, Gewinner wirde es letztlich wohl keine geben...

LieGrü
aus dem erschöpften Süden
Alf

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 144. Schritt

Autor:   Datum: 09.12.2021 20:38 Uhr

Kommentar: Lieber Alf

Segle um das Kap der guten Hoffnung und die Zweifel und Trübsal verschwinden von selbst. Auch der Komet wird uns nicht treffen und weiser werden wir alle nicht...

Lg Herbert

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 144. Schritt

Autor: Alf Glocker   Datum: 10.12.2021 9:11 Uhr

Kommentar: ha, so wirds sein lieber herbert.

LG Alf

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