Hunger
Es heißt ja oft, dass Essen eine Ablenkung sein kann und bei vielen, inklusive mir trifft das definitiv zu. Nicht umsonst gibt es das berühmte Frustessen, das wir sicher alle schon das eine oder andere Mal praktiziert haben. Wir sind sauer, enttäuscht, traurig, einsam oder was es da sonst noch für angenehme Emotionen gibt, und um sie nicht fühlen zu müssen, lenken wir uns ab.
Wir lenken uns ab mit Essen. Es gibt viele Ablenkungsmechanismen, auch ich habe schon einige ausprobiert, aber keines ist so simpel und leicht anzuwenden wie essen. Denn irgendetwas Essbares hat man ja schließlich immer im Haus. Und so setzen wir uns dann mit unserer Errungenschaft vor den Fernseher oder den Computer und lassen uns berieseln und schon ist das Gefühl nicht mehr so schlimm oder vielleicht sogar ganz verschwunden (vorrübergehend).
Wir essen und essen und werden stumpfer und stumpfer. Hach, es schmeckt aber auch zu gut, obwohl bei der Geschwindigkeit mit der wir die Nahrung aufnehmen, bemerken wir nicht wirklich viel vom Geschmack, aber wir sind davon überzeugt, dass es gut schmeckt, tut es ja immer, irgendwie.
Durch das hastige Essen registrieren wir natürlich auch nicht, dass der Körper schon längst genug hat – sofern er zuvor überhaupt wirklich essen wollte - und essen weiter. Und dann fühlen wir uns richtig mies. Wir sind müde, kraftlos und fühlen uns schwer und meist kommt dann auch noch das schlechte Gewissen hinzu, denn eigentlich wollten wir ja nicht mehr so viel essen und vieeeel bewusster.
Liest man ja schließlich überall, dass man das bewusst tun soll. Was ist da nun wieder passiert? Ganz einfach, wir sind so darauf trainiert unangenehme Gefühle nicht wahrzunehmen, uns nicht damit auseinanderzusetzen und sie runterzudrücken, um sie nicht fühlen zu müssen, dass wir schlichtweg nicht wissen wie wir damit umgehen sollen.
Meist wissen wir gar nicht woher das Gefühl eigentlich kommt oder können es auch nicht wirklich benennen. Denn es handelt sich oft um unterdrückte Wünsche und Sehnsüchte die nicht befriedigt werden und uns immer hungriger werden lassen. Wir haben ständig Hunger. Hunger nach Liebe, Hunger nach Aufmerksamkeit, Hunger nach Berührung, Hunger nach Zuspruch, Hunger nach Leben. Und wir werden einfach nicht satt. Wir stopfen uns mit Essen voll, sitzen stundenlang vor dem Computer oder der Glotze und haben Sehnsucht und wissen oft gar nicht wonach, denn egal wie viel Essen wir verschlingen, dieses unangenehme Gefühl nicht satt zu werden, bleibt.
Ich hätte ständig essen können, von früh bis spät, denn ich hatte immer Hunger und immer das Gefühl nicht genug zu haben. Doch dann passierte etwas Verblüffendes, und es passiert seitdem immer öfter. Wenn ich etwas tue, was ich liebe, was mich wirklich glücklich macht, mich erfüllt, etwas das meine ungeteilte Aufmerksamkeit verlangt bzw. ich einfach voll darin versinke, dann hört der Hunger auf. Ich fühle mich restlos satt. Ich bin dermaßen aufgeladen und vollgetankt, dass ich kein Bedürfnis nach Essen habe.
Dann höre ich wirklich auf den Körper und esse nur dann, wenn ich wirklich Hunger nach Nahrung habe. Dann fungiert Essen nicht als Stellvertreter für negative Gefühle und muss nicht Löcher füllen, die es nicht füllen kann. Wenn ich dann etwas esse, dann möchte tatsächlich der Körper Nahrung und nicht meine unzufriedene, hungrige Seele. Denn ich bin genährt, gesättigt und befriedigt und das ganz ohne Essen. Mein Hunger wird gestillt, weil ich begehre, weil ich fordere, weil ich liebe, lebe und fühle und es mir erlaube. Und dann ist Essen etwas Wunderbares, Nährendes und nicht länger eine Flucht vor den Gefühlen die uns aufzufressen scheinen.


© Michaela Friedl


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