Wenn Essen zum Problem wird

Fast jede Frau hat schon einmal im Laufe ihres Lebens eine Diät ausprobiert. Das gehört schon fast zum Frausein dazu. Und viele Frauen kämpfen ihr Leben lang mit dem Gewicht und ihrer Figur. Das scheint auch irgendwie „normal“ zu sein und das ist eben so, dass Frau unzufrieden mit ihrem Äußeren ist. Doch ist das wirklich so normal, und ist das gesund, bzw. ab wann wird es ungesund und zum Problem? Wenn der Körper zum Feindbild mutiert, man ihn hasst, ablehnt und unbedingt ändern will, dann ist das nicht normal, nicht gesund und man sollte genauer hinsehen, was dem Ganzen zugrunde liegt.
Denn meist ist der Körper bzw. das Essen nur ein Stellvertreter für ein tieferliegendes Problem. Denn es geht nicht wirklich ums Essen oder um die schlanke Figur. Es geht vielmehr darum was wir damit verbinden, welche Gefühle und Erlebnisse, was wir vermissen und was wir zwanghaft versuchen runterzudrücken und nicht zu spüren. Ich weiß was es heißt, wenn dich die Gefühle überrennen oder wenn du gar nichts fühlst und wie taub und benebelt durchs Leben läufst. Ich kenne das Gefühl der Überlegenheit, dieses Rausches, der Macht und Kontrolle über den eigenen Körper. Wenn man stärker ist als der Hunger und wenn man ihn besiegt. Man fühlt sich unbesiegbar, mächtig und so stark. Alle anderen müssen essen, aber man selbst nicht.
Man ignoriert die Bedürfnisse des Körpers und ist der Sieger. Ich kenne aber auch das Gefühl der Niederlage, wenn man verliert – gegen den Körper, den Hunger, die Gier. Man fühlt sich schuldig, dreckig, schwach, einfach nur zum Kotzen. Und genau das macht man dann. Man kotzt es wieder raus. Die Schuld, die Scham, die Angst, die Wut, den Schmerz. Stellvertretend sind es aber Süßigkeiten, Knabbereien oder jegliches Essen, das in den Körper gelangt. Man will nichts in sich haben, nichts bei sich behalten. Alles muss raus. Man möchte sauber, rein und leer sein. Jahrelang pendelte ich zwischen diesen zwei Extremen hin und her. Ich fühlte mich so mächtig und stark wenn ich dem Essen widersagte, wenn ich Sport machte, obwohl der Körper keinerlei Energie hatte, wenn ich weiterlief mit Schmerzen in der Brust, mit Schwindelgefühlen. Wenn es auf der Waage wieder bergab ging. Ich war der Boss. Ich war stärker. Nicht er. Nicht dieses Ding, an das ich gefesselt war.
Wenn ich nicht wollte, dann geschah es nicht. Ich war mächtig. Endlich. So oft hatte ich mich ohnmächtig, hilflos und wehrlos gefühlt, doch jetzt war ich stark und unbesiegbar. Bis zu dem Moment wo er gewann, wo ich mich nicht mehr wehren konnte gegen das Verlangen. Der Hunger, die Gier wurden einfach zu groß und ich erlag ihnen. Und ich hasste mich dafür und mit jedem Mal stieg der Hass. Auf mich, meine Schwäche, meine Erbärmlichkeit. Und auf ihn. Er war schließlich schuld an allem. Wenn er nicht so fett, hässlich und ekelerregend wäre, dann würde ich mich besser fühlen.
Wenn er nur schlank wäre und nicht so wäre, wie er war, dann wäre mein Leben schön und ich glücklich. Doch er war nicht das Problem. Meine Seele war es die sich dreckig, ekelerregend und erbärmlich fühlte. Sie hatte und hat noch immer Hunger. Immer noch überkommt mich das Verlangen Unmengen Süßkram in mich reinzustopfen. Ich versuche ein Loch zu füllen, das nicht mit Essen gefühlt werden kann. Mein Körper hat Hunger, aber nicht nach tonnenweise Schokolade, sondern nach Zärtlichkeit.
Nach liebevollen Berührungen, nach Wärme, nach Geborgenheit. Mein inneres Kind hat Hunger nach Liebe, nach Zuspruch, nach Aufmerksamkeit. Und ich stopfe es voll mit Süßigkeiten, oder verwehre es ihm, wenn ich wieder mal abnehmen möchte. Ständig will ich abnehmen, weil ich endlich wieder schlank sein will und bemerke immer noch nicht worum es wirklich geht. Es geht um Selbstliebe, Selbstakzeptanz, Wertschätzung und darum auf mich und meine Bedürfnisse zu hören.
Wenn ich das tun würde, dann würde auch ein Stück Kuchen reichen, und ich müsste nicht die ganze Torte verputzen. Damals, wie auch heute ist immer noch dieser Gedanke in mir „wenn ich schlank bin, dann ist alles gut“. Ich war schon superschlank, und nichts war gut. Es liegt nicht an den Kilos auf der Waage, es liegt nicht an der Kleidergröße.
Wenn ich mir wieder mehr Aufmerksamkeit schenke, wieder mehr auf meinen Körper höre und wieder eine Gemeinschaft mit ihm eingehe, ihn wieder zu meinem Freund und Gefährten mache, wird Essen diese immense Bedeutung verlieren. Denn dann muss das Essen nicht mehr 100 Jobs erfüllen. Essen tröstet mich, Essen macht mich glücklich, Essen lenkt mich ab, Essen erregt mich, Essen betäubt mich, Essen befriedigt mich, kurzfristig. Der Hunger wird nicht weniger, die Gier lässt nicht nach. Weil es nicht ums Essen geht. Es geht weder ums Essen, noch um ein paar Kilo weniger, es geht darum mich anzunehmen, so wie ich bin. Mich zu lieben, so wie ich bin und meinen Selbstwert nicht an meine Kleidergröße oder mein Gewicht zu knüpfen. Ich arbeite daran, immer noch und ich gehe weiter, bis ich am Ziel bin und frei. Frei von diesen Zwängen, frei von diesen Annahmen. Frei von den Erwartungen, einfach frei...


© Faith


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