„Die Dichtung ist leider kaputt“, sagte der Mechaniker zu mir, aber ich begriff nicht. Wieder und wieder versuchte ich den Motor anzuwerfen, anzuschieben, anzufeuern, aber es ging rein gar nichts. Das war die Wahrheit! Und wer wollte, nach eingehender Prüfung behaupten, die Wahrheit gehe ihn nichts an. Das kann nur einer wagen, dessen umfassendste Bildung mehrere Doktorgrade und einige Diplome umfasst, die er meistbietend an eine der gerade herrschenden Klassen verkauft hat.

Der spielt nur die guten Noten, der nichts tut was streng verboten. Und momentan gilt halt der Dichter nicht viel, solange er nicht nicht dichten kann, oder ein Urmensch ist. Das gebietet die Höflichkeit, der Abstand zum Anstand, welcher jedoch, per definitionem, der allein seligmachende zu sein hat. Nichts steht über dem Gott „Abfall“ aus geistig kleinkarierten Müllbergen, die nicht im Meer der Unvernunft verklappt werden können.

„Viel ist es ja nicht“, führte der Mechaniker weiter aus, „wir lassen uns nur gerne auf den Unsinn ein – und das bedeutet: Es darf einfach nichts repariert werden, sonst werden die Aufsichtsorgane misstrauisch. Das aber können wir uns nicht leisten, weil sonst eine Wahrheit in Gefahr kommt, die keine ist, sondern aus Ausflüchten besteht und letztlich nur klarlegt warum wir uns nicht mehr entfalten sollen!“

Jetzt wusste ich alles, fand aber keine Lösung, denn ich hatte immer gedacht eine lebendige Dichtung sei wichtig für das Biotop, in dem jedwedes Bewusstsein dazulernen kann. „Wir müssen den Anlasser auch noch rausnehmen“, fiel da, stante pede, ein weiterer Mechaniker ein, der offenbar genau wusste worüber man grade zu sprechen hat. „Anlässe hat es früher einmal gegeben – jetzt gibt es nur noch Unterrichtsstunden, die nichts mit Wissen, eine ganze Menge aber mit „der“ Einbildung zu tun haben!“.

Da war ich platterdings überfahren, sah mich nur noch als Gegenstand (allerdings nicht einen des öffentlichen Interesses), sondern mehr als Stein, nicht irgendeinen Einstein, sondern als den Anstoßes und ich konnte mir nichts mehr verzeihen. „Gedankenakrobat“? „Vielosoph“? Nein, Abschaumerzeuger – Ekelverbreiter, Angstmacher, so hießen meine Namen, im großen Reich der Armseligkeiten, worin ich nicht einmal Mitwirkender, sogar nur noch ein Bittsteller war.

Was konnte helfen? Eine neue Dichtung musste her. Eine, die alles offen ließ, die Leistung aber trotzdem nicht zu drosseln beabsichtigte. Ich versuchte, nicht nur mich, an die großen Dichtungen früherer Tage, nein Jahrhunderte zu erinnern. Doch was ich einheimste waren nur misstrauische Blicke, hinter denen wohl auch amtsärztliche Aufträge zu vermuten waren, die mich demnächst auf die eigene Dichtigkeit, sprich Dichtheit, gegenüber einem Soff testen wollen würden, aus dem früher einmal die Träume waren.

Aber der Feind hörte mit. Überall bemühten sich die Verkünder völlig anderer Glaubensrichtungen als der meinen, die praktisch keine war, geradezu vorlaut, Geltung zu verschaffen. Und ich fragte mich allen Ernstes ob die noch ganz dicht waren. Der Wahrheit konnte ihre Dichtung jedenfalls nur insofern standhalten, als allen Klägern, wie auch Richtern, die nach Lage der Fakten zu entscheiden gedachten, metaphorisch die Zungen vor dem Sprechen herausgeschnitten wurden.

So konnte jedenfalls nie wieder eine echte Dichtung zustande kommen. Dessen war ich mir schmerzlich im Klaren – und daran konnten auch die Blümchen streuenden Säuseltanten und Onkels nichts ändern, die mich, schmonsensträchtig, so sehr umgaben, daß ich vergeblich nach Luft schnappte. Ich bekam einfach keine! An dieser Stelle, an der des freien Atmens in reiner Umgebung, musste eine Dichtung von derartigem Schmalzgewicht verankert worden sein, daß mir Hören und Sehen verging!

„Nimm dir vom Herzerein mächtig viel Gänseklein, um dich damit einzupudern und tanz‘ mit den Ludern, die dich betören, bis sie dir schwören >Es wird alles gut – sei nie auf der Hut…nur leichtestes Blut besiegt alle Wut, auf dieser Welt, die nur Dichtern gefällt, die fromm sind und leise. Ja, das ist weise<. Ich erschrak bis ins Mark, bis in die kleinsten Neuronenansammlungen hinein, und suchte fortan nach einem Löser, der uns von Dichtung, samt Wahrheit er-löst!


© aldf glocker


2 Lesern gefällt dieser Text.


Unregistrierter Besucher

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Dichtung und Wahrheit"

Re: Dichtung und Wahrheit

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 19.04.2020 12:05 Uhr

Kommentar: Lieber Alf,
pfiffig geschrieben, war gern in deinen Zeilen.
Liebe Grüße Wolfgang

Kommentar schreiben zu "Dichtung und Wahrheit"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.