PAN-DEMI: Das ganze Leben - Halbe Fahrt voraus!
Diese Pandemie... Sie verändert die Welt und uns Menschen. Wir werden zu Marionetten, die an den Fäden der Medien tanzen. Tag und Nacht berieseln uns der Fernseher und das Radio mit neuen Fakten, Daten, Meinungen, Expertisen und Vermutungen. Journalisten fragen: "Wie lange noch?", Mediziner antworten: "Das weiß ich nicht.", Politiker sondern Seifenblasen ab von "Wir arbeiten daran." über "Ich bin zuversichtlich." bis hin zu "Wir haben ein Hilfspaket geschnürt.". Und der staunende Zuseher und -hörer bleibt ruhig, folgt den Ratschlägen für Infektionsschutz beim Einkaufen, ruiniert geduldig die Haut seiner Hände mit Desinfektionsmitteln aller Art und richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf jeden Huster und misst regelmäßig Fieber.
Ja, und dann geht man an die Arbeit, pünktlich am Morgen, klappt den Laptop auf und öffnet die Seite seines Emailservers. Oh, heute Morgen nur 18 Mails.... und nur 12 davon Werbebotschaften, verlockende Angebote, alles billiger, Fotobücher machen, kreative Rezeptideen, günstige Kredite... Und dann noch eine Infomail von der Gewerkschaft, eine Geburtstagserinnerung von Stayfriends (Welcher Wolfgang ist das bloß?), die Handyrechnung und drei Mails gleichen Inhalts von einer Freundin, die dritte endlich mit Anhang... einem Zeitungsartikel über Mundschutz-Schnittmuster.
Dann also mal ans Homeoffice, den dienstlichen Emailverkehr öffnen: 22 Mails ungelesen. vier davon Absagen von irgendwelchen Veranstaltungen ...dass die noch immer nicht abgesagt waren! Bleiben wieder 18 übrig.... Ob diese Zahl ein Omen ist?... Naja, fünf Mails von einem Kollegen mit irgendwelchen mehr oder weniger
lustigen Karikaturen und Videos zum aktuellen Thema. Bleiben noch 13. Ob das ein Omen ist? - Ja, ist es, denn in dem Moment meldet der dienstliche Server eine vorübergehende Überlastungssituation und verabschiedet sich. Nix geht mehr.
Na dann, schauen wir mal an, was unser Bankkonto zu sagen hat. Ist die Rechnung schon abgebucht für die vorgestern bestellten Schuhe? - Wozu brauche ich die zurzeit eigentlich? Und ist das Geld, das ich für den nun stornierten Urlaub angezahlt hatte, schon angekommen? - Anmeldename, Passwort, ..."Wo habe ich
mein Handy hingelegt?"... TAN?.... "Wo ist das Handy, verdammt?".... Ah, gefunden, hängt an der Steckdose, Bankingapp auf, TAN merken, zurück ins Arbeitszimmer... Mist, Zeitüberschreitung, also nochmal: Anmeldename, Passwort, zum Handy laufen, TAN merken... Telefon klingelt. Hallo? - Eine Automatenstimme fragt: "Haben Sie ein Sparbuch?"...auflegen, weiter... wie war die TAN... Zeitüberschreitung.... Vielleicht sollte ich es doch mit dem Sparbuch versuchen....
Immer noch nichts gearbeitet. Erst mal einen Kaffee rauslassen. Hätte ich auch auf der Arbeitsstel le schließlich um die Zeit auch gemacht. Kaum sitze ich, überschlagen sich die Geschehnisse. Zuerst entdecke ich die aufgeregte whatsapp der Kollegin aus einer anderen Abteilung, dass man wohl ganz oben verlangt habe, die Arbeitszeit im Homeoffice genaustens zu dokumentieren. Damit kommen die nach zwei Wochen? Kann ja nicht sein. Hab ich irgendeine Mail verpasst? Nochmal die Dienstmails versuchen zu öffnen. - Wollte ich nicht Kaffee trinken? - Dienstmails erreichbar, immer noch 13 ungelesene. Keine davon wirklich zu dem
Thema, aber da bittet mich doch ein Kollege, ein Gutachten gegenzulesen. Das muss sofort sein. Hier und da was verbessert, die eine oder andere Frage notiert... absenden. Nichts ist, Zeitüberschreitung, nach einigen Minuten wird man neuerdings einfach abgemeldet, um Überlastung des Servers zu vermeiden. Naja,
Username, Passwort, puh, alles noch da. Abschicken. Da ist noch eine Mail, auf die ich sofort reagieren sollte. Also ran. Wollte ich nicht Kaffee trinken? ... Ach nee, ist eh kalt....
Da klingelt es unten an der Haustür: der Paketbote... wie schön - meine Schuhe. Kontaktfreie Zustellung heißt das, wenn der Postmann das Paket direkt hinter der Eingangstür auf den Boden stellt... Nun, der Nachbar von gegenüber, der wohl auch ein Päckchen bekommen hat, wechselt mit mir von offener Tür zu offener Tür einen resignierten Blick und bringt meines freundlicherweise mit.
Wie, schon Mittag? Ich wollte doch vormittags noch kurz einkaufen fahren und die Waschmaschine anschalten. Na, wenigstens Brötchen vom Bäcker gegenüber holen. Also Jacke an, Tür auf... Oh, da ist jemand auf der Treppe, also kurz warten. Das Telefon klingelt. Ist für meinen Mitbewohner. Wo ist der eigentlich? ... Schläft.... "Kannst du mal?"
Beim Bäcker ist alles leer. Wer will auch schon freiwillig zwischen rot-weiß gestreiftem Absperrband und wackligen Plastikwänden etwas anschauen, lustvoll aussuchen? "Geben Sie fünf einfache Brötchen." - Beim Bezahlen wünscht man sich 1,50m lange Arme, der Verkäuferin auch. Beinahe hätte ich die Brötchentüte am
hinteren Ende des Tresens liegen lassen.
Endlich Mittag, richtig viel getan, oder auch nicht? Wie soll ich das, was ich an dem Vormittag getan habe,
nun eigentlich in meinem Arbeitszeitkonto eintragen? - Falls denn so eine Anordnung, von der die Kollegin schrieb, überhaupt existiert und sich deren Chef nicht nur einen Aprilscherz erlaubt hat.
Der Nachmittag gestaltet sich etwas effektiver. Andere haben wohl tatsächlich gearbeitet und ihre Werke nun per Mail geschickt zur Weiterbearbeitung, Weiterleitung, Kenntnisnahme... Das Mailprogramm tut seinen Dienst. Ich drucke, scanne, maile, whatsappe, speichere, lade herauf und herunter, was das Zeug hält....
Die Wäsche ist dann wohl morgen dran. Einkaufen am besten gleich um acht Uhr - ist eh besser im leeren, frisch desinfizierten Laden.
Wenn man schon mal zuhause ist, darf man auch mal ein bisschen ausruhen, also Fernseher an. - Hätte ich das bloß nicht getan! So viele tausend infizierte, so viele tote, so viel genesene Perso nen. War das jetzt deutschlandweit oder nur Bayern oder Schleswig-Holstein? Und Frau Merkel ist immer noch gesund in Quarantäne, drei Schauspieler sind gestorben und heute Abend diskutieren wieder täglich wechselnde Politiker, Virologen und B-Promis mit Annebrit Plaßberger über Dinge, die sie auch nicht so genau wissen ... Und dann kommt wieder die tägliche Quizshow mit Hunderten von Zuschauern, die Kandidaten umarmen sich und klatschen ab, als wenn nichts wäre. Fiel mir sonst nie auf. Aber zur Sicherheit wird alle paar Minuten eingeblendet: Aufzeichnung!
Kurz vor acht noch ein wenig Wissen (über Coronaviren, Desinfektionsmittel, Mundschutz), der Wetterbericht, der nicht so ganz genau ist, weil keine Flugzeuge fliegen, die irgendwelche Beobachtungen vom Himmel melden könnten, und schließlich - ganz wichtig - die Wirtschaft! "Die Coronakrise weht eine Schneise
der Verwüstung in die deutsche Wirtschaft." Ja, mein Mitbewohner bestätigt: Das hat die Wirtschaftsjournalistin mit dem Börsenbarometer hinter sich tatsächlich gesagt. Das geht gar nicht. Und wieder die dümmliche Frage, wie lange das noch gehen soll. - So langsam frage ich mich das auch. Und dann kommt wieder
die Tagesschau: So und so viel tausend infizierte, so viel... Und das RKI empfiehlt heute mal wieder den Mundschutz.... vielleicht... wenn er denn verfügbar wäre... oder auch nicht. Das einzige, was wirklich nett anzusehen ist, ist ein Donald Trump, der seit den neueren Entwicklungen in seinem Land mit gesenktem Blick und sichtlich geschrumpften Selbstbewusstsein auf die Bühne stolpert, um dann die Antwort zu geben, auf die alle warten: Er weiß, dass es nach Ostern wieder wie früher ist.
Jetzt nochmal die Mails checken. Jede Menge, was heute noch raus müsste. Naja, Spätschicht, war ja sonst nichts. Morgen muss ich aber mal spazieren gehen.
Schon so spät? Nochmal mit der alten Mutter telefonieren. Im Altenheim ist ja Kontaktsperre, keine Besuche, keine Veranstaltungen, Gymnastik oder Gedächtnistraining. Das Essen wird aufs Zimmer gebracht. Aber ja, Einkaufen war die Oma. Im Edeka trifft man wenigstens mal Leute. Ne, bringen lassen, das ist nicht nötig. Man will doch aussuchen, was man haben will... und niemand zur Last fallen. Wofür machen wir das alles eigentlich, wenn die Ü90 Generation bei EDEKA Coronaparties feiert? Naja, ist schon ein wenig übertrieben, aber irgendwie...
Endlich ist es Zeit zum Schlafengehen. So viel Stress bin ich nicht gewöhnt. Ich will, dass es endlich vorbei ist: "Frau Merkel, wie lange dauert die Pandemie noch?" Wo bleibt die Entwarnung? Da klingelt tatsächlich die NINA-App: Entwarnung - die Verschärfungen von gestern wurden zurückgenommen. Warum wohl? - Weil die Infektionszahl nur um den Faktor 1,2 statt 1,5 gestiegen ist? Oder weil wieder mal jemand über das Ziel hinausgeschossen ist? Was heißt das jetzt?
Ich gehe jedenfalls erstmal schlafen. Ich kann ruhig bleiben. Haben wir beiden doch aus Versehen im Januar schon gleichzeitig je zwei Packungen Klopapier gekauft, die nun endlich bald den Keller wieder verlassen dürfen.
Und morgen wartet eine neue Herausforderung auf mich: Videoschalte mit den Kollegen... nach langem Hin und Her nicht auf dem slowenischen Gratiskanal jitsi, sondern auf zoom - skype war gestern... Was sagte der Medienexperte: Mit den Videotools installiert man sich eine Überwachungswanze direkt und freiwillig auf dem heimischen PC... Wir als moderne, aufgeschlossene, verantwortungsbewusste Bürger machen mit. - Auf dass die Fäden des großen Marionettentheaters noch fester und wirkungsvoller werden. Man sieht sich....


© Reske


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Beschreibung des Autors zu "Pan Demi - Ganzes Leben, halbe Fahrt voraus"

Was Medien in Zeiten der Pandemie mit uns Menschen machen, eine Alltagsbeschreibung...

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