Hausarbeit
Im Seminar: Hegelschulen – Politik, Religion, Philosophie
Bei Herr Dr. Wendt / Herr Fischer
Institut der Philosophie – Universität Leipzig

Thema:
Von der Reflexionsphilosophie zur Philosophie der Tat 2:
der französischer Frühsozialismus

Die soziale Frage im Frühsozialismus
In Anlehnung an Saint-Simon und Cabet.
geschrieben von: Alexej Licharew
(2877382) [email protected]


Leipzig, 15.03.2016














Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung:
2. Saint- Simon oder der Beginn der sozialistischen Theoriebildung
3. Die Negation der bestehenden Verhältnisse
4. Die saint-simonistische Gesellschaftauffassung
5. Zur saint-simonistischen Anthropologie
6. Die Kooperationsidee
7. Die Negation der Herrschaftsverhältnisse und das Leistungsprinzip
8. Kritisches zum Leistungsprinzip
9. Die Gleichheitsvorstellung Cabets
10. Die Missionierungs-Absicht und der Wille der Vernunft
11. Die Vorzüge der Gütergemeinschaft
12. Schlussgedanken













1. Einleitung:
Kurz nach der Französischen Revolution und mit der Entwicklung der industriellen Produktion, die die gesellschaftliche Ordnung neu formierten, tauchten sogleich auch theoretisch geschulte Köpfe auf, die sowohl das positive Potential des sozialen Fortschritts, als auch die bereits negativen Auswirkungen innerhalb der Gesellschaft sozialtheoretisch konstatierten. Ideengeschichtlich werden die politisch-philosophischen Reflexionen dem damaligen Frühsozialismus zugeordnet, der als eine praxisorientierte Bewegung sowohl zeithistorisch im nachrevolutionären Frankreich die politisch aktiven Menschen bewegte, als auch darüber hinaus eine sozialpolitische Bedeutung bei einigen Romantikern und anderen politischen Aktivisten bewirkte. Es sind Namen wie Babeuf, Saint-Simon, Fourier, Cabet und noch viele andere, die sich vorrangig die soziale Frage stellten und zukunftsorientierte Gesellschaftsentwurfe konzipierten, die den allgemeinen menschlichen Fortschritt mitgestalten sollten. In meiner Arbeit werde ich mir hauptsächlich die Theorien von Saint-Simon und zum Teil die Anschauung von Cabet vergegenwärtigen. Wenn wir Saint-Simon als einen Vertreter des meriokratischen Sozialismus gelten lassen, dann könnten wir Cabet als einen Befürworter des bedarfsorientierten Kommunismus charakterisieren. Meine Aufgabe in dieser vorliegenden Arbeit ist es nun, die zwei unterschiedlichen Sozial-Vorstellungen sinngemäß zu reformulieren, um daraus die Gemeinsamkeiten und die Differenzen beider Konzepte abzuleiten.

2. Saint- Simon oder der Beginn der sozialistischen Theoriebildung:

Vermittels eines großangelegten Sozialentwurfs und eines ökonomischen Gesellschaftsideals verfolgte Henri de Saint-Simon mithilfe seiner Analysefähigkeit und der theoretischen Vorstellungskraft ein durchaus pragmatisches Ziel: das Ziel der gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderung der Lebensbedingungen für die Gesamtheit der Menschen.
Seine Absicht war: die restlose Aufhebung des menschlichen Elends, die Abschaffung des Erbrechtes und die Verwirklichung einer Idee, die zugleich in der Idee der Gerechtigkeit, in der Idee der gesellschaftlichen Teilhabe und in der Idee der allgemeinen Zufriedenheit seine Wurzeln hatte. Es erscheint als eine sozial-politische Weiterführung christlicher Religösität mithilfe von wissenschaftlich intellektuellen Mitteln.
Saint-Simon wusste von den materiellen Ungleichheiten, die im damaligen Frankreich, aber auch in England und dem damalig zersplitterten Deutschland so offensichtlich waren. Im Zuge der Industrialisierung etablierten sich eine Vielzahl an Manufakturen, Fabriken und industriellen Produktionsstätten, die neue Formen der Ausbeutung, des menschlichen Elends, der Verzweiflung und der Ungerechtigkeit erzeugten. Diese sich zuspitzenden Antagonismen zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen sowohl theoretischen als auch praktischen Widersprüchen innerhalb der sich entwickelnden Gesellschaftsordnung, die zuzeiten Saint-Simons noch viel eher einer Unordnung entsprochen hatte, beeinflussten seine geschichtsbewusste Gesellschaftstheorie. Seine soziale Hoffung, das Falsche innerhalb der sozialen Welt zu überwinden, intendierte mithilfe einer kritisch historischen Analyse den Entwurf eines sozialen Soll-Zustandes, welcher sich erst in der Organisation der Zukunftsgesellschaft realisiert. Denn „Seine „science générale“ war eine wesentlich zielsetzende, nicht erklärende Disziplin.“

Saint-Simon gilt als einer der Ersten, der den Weg für die Idee des Sozialismus geebnet hatte. Er zeichnete ein rationalistisch-ökonomisches Gesellschaftsmodell, welches er Zeit seines Lebens religiös einkleidete. Denn ein neues Christentum sollte seiner Meinung nach zum Leben erwachen. Die Gebote der Stunde seien dabei die menschliche Friedfertigkeit, die Brüderlichkeit mit den Ärmsten der Gesellschaft und die Überwindung von obskuren Aberglauben und angsterzeugenden Irrlehren. Seine Schüler und Anhänger nannten sich Vertreter des Saint-Simonismus. Die Saint-Simonisten brachten in der theoretischen Weiterführung der Lehren ihres Meisters sogar eine europaweit Verbreitung findende Zeitschrift heraus: „Le Globale“, in der sie zum ersten Mal von „socilisme“ sprachen; in Abgrenzung zu dem Oppositionsbegriff des „individualsme“. Augustus Comte, einer der ersten Baumeister der positiven Soziologie war Student, Sekretär und Freund von Saint-Simon gewesen. Karl Marx und Friedrich Engels haben sich Anfang der 1840er Jahre mit den Theorien der französischen Sozialisten beschäftigt und betitelten sie im Kommunistischen Manifest von 1848 als Vertreter des „utopischen Sozialismus“. In kritisch-reflexiver Verarbeitung der Lehren von Saint-Simon und anderen Frühsozialisten, wie Charles Fourier und Robert Owen, einem englischen Sozialisten, nahmen sie sich für ihre Theorie das wertvollste Gedankengut heraus, und begründeten in Abgrenzung zum utopischen den wissenschaftlichen Sozialismus. „Es sind vor allem drei leitende Ideen Saint-Simons, die einen Zusammenhang mit dem späteren wissenschaftlichen Sozialismus hergestellt haben: die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, die Überwindung des Staates als einer Beherrschungsform und die Umwandlung der Politik in eine Wissenschaft.“

Die Betrachtungsweise von Saint-Simon, welche mit Bezug auf die historische Zivilisationsentwicklung in Europa konzipiert worden war, machte gleichsam die theoretische Vorarbeit für die dialektische Geschichtsauffassung. Seine teils religiösen Sozialschriften fanden ebenso Gehör und Nachklang in der Christlichen Soziallehre.

3. Die Negation der bestehenden Verhältnisse:
Durch Bodenspekulation gelang Saint-Simon kurzzeitig zu immensen Reichtum, welches er aber in wenigen Jahren für die Förderung von Wissenschaft und Künsten wieder verausgabte. Seitdem hatte er keine sonderlichen finanziellen Einnahmen und lebte in den darauffolgenden Jahren leicht oberhalb des Existenzminimums. In der Zeit, um 1805 herum, verfasste er seine gesellschafts-analytischen und sozial-idealistischen Schriften, die nicht frei von religiösem Gedankengut waren. Er forderte zu Beginn seiner politischen Werke eine europäische Konföderation mit einem europäischen Parlament, welches eine gewisse Interessensgleichheit bewahren und im Geiste der europäischen Gemeinschaft handeln sollte. Dafür waren ihm die Entwicklung der Gefühle, der Verstandeseigenschaften und der inhärenten Kräfte und Vermögen gemeinschaftliche Tugenden der vernünftigen Erziehung.
Er strebte die politische Einheit Europas an. Denn zwei Jahrtausende haben sich die Völker und Nationen in Europa bis aufs Blut befehdet, zwei Jahrtausende waren sie häufig in feindselige und kriegerische Auseinandersetzungen geraten und zwei Jahrtausende herrschten verheerende Konflikte, folgenschwere Krankheiten, religiöse Krisen und Kriege. Europa war gespalten in mehrere religiöse, philosophische und politische Gruppen. Die Katholiken waren gegen die Protestanten, der Deisten war gegen den Atheisten, die Demokraten waren gegen die Konservativen und umgekehrt. Es war eine zerstrittenes, feindliches und unversöhntes Europa, indem innerhalb der Nationen die Menschen von ihren Mitmenschen gedemütigt worden und nach außen hin entweder Eroberungskriege stattfanden oder militärische Verteidigungsmaßnahmen zum Schutz der eigenen Bevölkerung greiften. „und ebenso gehört die Ausbeutung der Schwachen durch den Starken zu den auffallendsten und charakteristischsten Zügen der Vergangenheit.“ , wie es die Saint-Simonisten später dann formulierten. Überall innerhalb der Völker, als auch zwischen den Völkern herrschte Konkurrenz, religiöse, philosophische, politische und ökonomische Konkurrenz, sowohl in den Wissenschaften als auch in der Alltagswelt der Menschen. Das Grundproblem der Konkurrenz aber war der in der Geschichte ablaufende Klassengegensatz. Der Antagonismus zwischen Sklaven und Sklavenhalten, Patriziern und Plebejern, Besitzlosen und Besitzenden, Beherrschten und Herrschern. Um dieses Hierarchie-Verhältnis zugunsten der Mächtigen zu bewahren, wurden zum einen psychische und physische Gewalt angewendet, als auch kamen bestimmte Herrschaftstechniken zu Einsatz, wie Zwangsausübungen, Schikanierungen und Folter. Diese Methoden der Herrscher wurden gebraucht, um den Untertanen auch untertänig zu halten. Sklaven in der Antike wurden zum Beispiel nicht als Menschen erachtet, sondern als Gegenstände, als Eigentum, als Instrumente. Sie waren physischen Leiden unterworfen, waren zeitlebens gefangen, erlitten eine geistige und moralische Abstumpfung und wurden abgewertet, erniedrigt, schikaniert und teilweise verstümmelt. Mit dem Erstarken des Christentums und den Predigen der Evangelien wurde zwar die Sklaverei formal abgeschafft, es wandelten sich jedoch die Ausbeutungsverhältnisse. An die Stelle der Sklaven traten nun die Leibeigenen, die mühselige Frondienste und Abgaben zu leisten hatten. Obzwar sie partiell frei waren, das heißt, dass für sie nicht mehr der Status des Eigentums irgendeines Gutbesitzers oder Feudalherren galt, so bestand ihre partielle Freiheit allenfalls darin, wählen zu dürfen, von welchen Feudalherren sie sich ausbeuten lassen wollten. Sie waren zusammen genommen mit den Bauern kein Menschen-Besitz mehr wie es noch die Sklaven waren, aber dennoch stellten sie diejenige Majorität dar, die das allgemeine Elend zu ertragen hatten. Um diese gewinnorientierte Repression für sich zu prolongieren, scheuten sich die feudalen Herrschaftsstrukturen nicht, eine mörderische Staatsgewalt anzuwenden. Für die Rehabilitierung der politischen Ordnung im Sinne der konservierenden Aufrechterhaltung der hierarischen Machverhältnisse worden einigen Kritikern oder unangenehmen Konkurrenten per Dekret kurzerhand der Kopf abgehackt. Gefängnisstrafen, Freiheitsentzug, Quälerei, körperliche Schändungen oder Erpressungen waren weitere Zuchtmittel zur damaligen Zeit, um die Menschen, die unadlige Untertanen waren, gefügig und gehorsam zu machen. Doch dieses Unheil, welches sich als Schreckensgespenst von Seiten der Regierungen und der aristokratischen Führungsschicht verbreitete, war ein unverkennbares Signum für eine unvollständige Zivilisation. Schnell stellten sich auch die psychologischen Begleiterscheinungen in den Köpfen ein, die in allgemeiner Ängstlichkeit und in Misstrauen zu den Zeitgenossen seinen Ausdruck fanden. Aus Unbekannten wurden Feinde, die man mit List, Betrug, Diebstahl und bewusster Täuschung zu schwächen beabsichtigte. Wodurch der soziale Antagonismus sich keineswegs auflöste, sondern in ein neues Stadium seiner Entwicklung hineingeriet. Mit der Industrialisierung und der zunehmenden Anwendung von Maschinen entstand zugleich auch das Industrieproletariat. Die feudale Herrschaftsordnung wurde zunehmend von der bürgerlichen Herrschaftsordnung ersetzt, und die Kapitalisten übernahmen vermehrt die Zügel der Ausbeutung. Das Proletariat, die größtenteils besitzlos waren, mussten ihre Arbeitskraft dem Kapitalisten verkaufen, und teilweise bis zu 16 Stunden täglich schuften, während die Besitzenden, die das Kapital als ihr Privatbesitz auf ihrer Seite hatten, immer reicher und bequemlicher worden. Eine ausschlaggebende Ursache für die materielle Ungleichheit sowie für die Verelendung der Massen sah Saint-Simon gerade in den Eigentumsverhältnissen begründet, die oftmals nicht durch Verdienst erarbeitet, sondern durch familiäre Vererbung weitergeführt worden.

4. Die saint-simonistische Gesellschaftauffassung:
Da schien eine Gesellschafts-Utopie für die neue Industriegesellschaft im Zuge der Aufklärung nahezu als eine politische und sozio-ökonomische Notwendigkeit zu sein. Eine neue Gesellschaftslehre als Epiphänomen der französischen Revolution sollte entstehen, die die Menschen in den sozialen Aktionsräumen, Gerechtigkeit, Ausgeglichenheit und Eintracht geben wollte. So suchte Saint-Simon nach den Entwicklungsgesetzen der Menschen, gleichsam nach der sozialen Gesetzmäßigkeit in der kulturellen Genese. Er schreibt: „Die Menschheit ist ein Kollektivwesen, dass sich durch Generation zu Generation hindurch so entwickelt wie das Individuum im Verlaufe der Lebensalter. Ihre Entwicklung geht aufwärts.“
Das Prinzip, welches die Saint-Simonisten als „das physiologische Gesetz des Menschengeschlechts“ benennen, ist das Prinzip der Soziogenese. Er ist der Ansicht, dass der gesellschaftliche Fortschritt, sich in einer Höherentwicklung des gesellschaftlichen Zusammenlebens manifestiert. Dafür durchläuft die Menschheit, bzw. eine Volksnation oder eine soziale Gemeinschaft, die durch eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Tradition, und gemeinsame kulturelle Werte gekennzeichnet ist, im historischen Verlauf mehrere Entwicklungsphasen. Diese Entwicklungsphasen, die zu unterschiedlichen Epochen gehören, sind eingeteilt in organische Epochen (konstruktive, aufbauende, versöhnende Zeitalter) und in kritische Epochen (destruktive, zerstörerische, negative Zeitalter) Die Übergänge passieren in einem allmählich historischen Prozess und tragen zur allgemeinen Entwicklung der Menschheit bei. Dabei ist die kritische Epoche, diejenige Epoche, die als überprüfende Antwort zu den unerfüllten Zielen der organischen Epoche seine Wirksamkeit erfährt, als auch stellt sie eine Vorraussetzung für die weitere soziale Genese und Bildung einer organischen Epoche dar. In diesen organischen Epochen werden allgemeine Entwicklungsziele festgesetzt, Gesetzgebung und Rechtssprechung sind an diesen entworfenen Zielen orientiert, als auch soll durch die Erziehung, das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen in Einklang mit den allgemeinen gesellschaftlichen Zielen gebracht werden. Dabei sah Saint-Simon ein immer Weitervoranschreiten in der Organisation der Assoziationen, von Familien, als die ursprünglichen Assoziationen hin zu Gemeinden, Städtegemeinschaften, zu Nationen, zu Staatsbündnissen, internationalen Allianzen und bis hin zur Weltgesellschaft. Die gesellschaftlichen Antagonisten sollten überwunden, Eroberungskriege nach außen und Ausbeutungsverhältnisse innerhalb der Gesellschaften sollten durch den Fortschritt der Assoziationen abgeschafft werden. Desweiteren plädierte er für die Beseitigung des finanziellen und materiellen Erbrechts, wodurch die materiellen Ungleichheiten als Grundvoraussetzung für die individuelle und kollektive Lebensentwicklung abgeschafft werden sollten. Die Produzenten der Gemeinschaftsgüter seien gleichberechtigt und gleichwertig in ihrer menschlichen Existenz, sie hätten sich durch eigene Leistungen auszuzeichnen und würden nicht beurteilt werden auf Basis ihrer geerbten Privilegien oder materiellen Vorrechte.

5. Zur saint-simonistischen Anthropologie
Um der menschlichen Verdummung und der sittlichen Verrohung entgegenzuwirken, besteht ein allgemeines Recht auf Bildung. Im Allgemeinen ist eine Annahme in dem anthropologischen Verständnis von Saint-Simon, dass wir Menschen von Natur aus alle unterschiedlich begabt und mit anderen Fähigkeiten ausgestattet sind. Durch verschiedene Anlagen, Talente und seelische Vermögen können wir unsere Potentiale auf je selbstständige Weise verwirklichen. Dieser Umstand begründet eine natürliche Ungleichheit der Menschen untereinander, die wiederum den Ausgangspunkt darstellt, für die Bildung von Vereinigungen, Organisationen und Assoziationen. Die unterschiedlichen Begabungen seien angeboren und könnten durch Erziehung und Erfahrung zum Nutzen des Gemeinwohls entfaltet werden. Durch Austausch und gegenseitiger Hilfe könnten wir uns wechselseitig ergänzen, von einander lernen, mithilfe unserer Erinnerungen das schon Gewusste wieder erkennen, sodass kooperative Interaktionsbeziehungen entstehen. Auf Grundlage dieser Überlegung erwägt er eine Dreiteilung der Gesellschaft in Industrielle, Wissenschaftler und Künstler, die jedoch nicht getrennt von einander arbeiten, sondern Brücken bauen, sich vernetzen und gemeinsam werktätig sind. „Aufgabe der Wissenschaftler sei es, den „pouvoir spirituel“ (die geistliche Macht bzw. die spirituelle Kraft) auszuüben, d.h. vor allem, die wissenschaftlichen Vorraussetzungen für die Produktionssteigerung zu schaffen. Eine nicht minder dienende Funktion haben die Künstler: sie sind die Propagandisten der Zukunftsvision der neuen Gesellschaft.“
Die Arbeit gilt für Saint-Simon als das Medium der menschlichen Schöpferkraft. Sie ist als Ausdruck individueller Fähigkeiten und Vermögen, die Quelle für die innere Erfüllung und den äußeren Reichtum. Nur durch selbstgewählte Arbeit können wir das Glück erreichen, nur durch selbsttätige Arbeit können wir von einem sinnvollen und nützlichen Leben sprechen. Dabei ist die individuelle Tätigkeit zugleich ein Prozess für die gesellschaftliche Wirklichkeit. „Deshalb ist der produktive Mensch nicht bloß der allein glückliche, er ist auch der allein moralische Mensch.“ (s.118 Höppner-Seidel)
Die Auslebung seiner Fähigkeiten, die Mühen, Anstrengungen, Initiativen und die nützliche Einsatzfreude sind primärer Grund dafür, welche gesellschaftliche Position und Wertschätzung der Einzelne erfährt. Diejenigen, die sich durch den ihrigen Arbeitseinsatz ihre Position auch verdienen, sollen dort auch entscheidungsberechtigt sein, für das Wohl des Kollektivs handlungswirksam zu agieren. Diejenigen also, die sich durch mühevollen Verdienst im organisierten Gesellschafts- und Produktionsprozess auszeichnen, sollen demnach bestimmte Funktionen übernehmen, in denen sie für den Nutzen der Gesellschaft entscheiden und zweckdienlich handeln. Dabei wird der Dienst innerhalb politischer, sozialer, kultureller, medizinischer und therapeutischer Einrichtungen ebenso als eine verdienstvolle Arbeit anerkannt, wie die wertschöpfenden Arbeiten von Industriellen und Warenproduzenten. Die Leitung in solchen Produktions- und Aktionsstätten sollen die Erfahrendsten und Tüchtigsten übernehmen, die am besten handelnden Individuen und somit den Produktions- und Tätigkeitsprozess im Sinne des Gemeinwohls uneigennützig koordinieren. „Im alten System wird die Gesellschaft von Menschen regiert, im neuen nurmehr von Grundsätzen.“ (s.130) Das persönliche Interesse ist gleichsam durchdrungen von dem gemeinschaftlichen Interesse und sämtliche produktionsentscheidenden Handlungen sind am Vorteil der Mehrheit orientiert. Bei verminderter Einsatzbereitschaft oder mangelhafter Pflichterfüllung müssten die Personen in diesen produktionsleitenden Positionen wieder abgesetzt werden, sodass keiner sich, wenn er seine Position behalten will, auf die faule Haut legen dürfte, um sich dem Müßiggang oder der instrumentalisierenden Ausbeutung hingeben zu können. Ein Für-sich-Arbeiten-lassen, ohne eigene verdienstvolle Beteiligung am Gesamtprozess, wäre von vornherein verboten und müsste, falls es doch in Einzelfällen aufträte, gerechtigkeitsausgleichend sanktioniert werden.
Weiterhin imaginiert Saint-Simon von einer nationalen Assoziation mit vergesellschafteter Produktion, die, um der Verbindung willen, ihre nationalen Begrenzungen überschreitet und sich zunehmend transnationalisiert. Sowohl die inhärenten Potentiale der industriellen Produktion als auch die zunehmende Implementierung gewisser Technologien in die Produktionsweise könnten eine für den produktiven Gesellschaftsprozess sinnvolle Verwendung finden, um der strukturellen Ausbeutung entgegenzuarbeiten und somit die Möglichkeit zu realisieren, eine Gesellschaftsordnung mit nicht-ausbeuterischen Prinzipien zu installieren. Diese Gesellschaft würde nicht mehr von einzelnen Personen oder Personengruppen beherrscht, sondern sie würde von gemeinschaftlich herausgebildeten Grundsätzen geleitet. Die Grundsätze wurzeln in einer wissenschaftlich fundierten Basis und sollen der Willkür sowie der Exploitation keinen Raum zur Entfaltung mehr geben.
Im neuen Christentum schreibt Saint- Simon: „Es gibt eine Wissenschaft, die für die Gesellschaft viel, viel wichtiger ist als alle mathematischen und physikalischen Kenntnisse: das ist die Gesellschaftswissenschaft und die Wissenschaft, die als Grundlage dient: die Ethik.“

6. Die Kooperationsidee
Denn anstatt die Antagonismen in der sozialen Welt zu verschärfen, tendierte Saint-Simon zu einer versöhnenden Perspektive, mit dem allgemeinen Ziel der „universellen Assoziation“. Dafür skizzierte er eine ideale Gesellschaftsorganisation, die das allgemeine Elend der damaligen Arbeiter, Bauern und Bürger abschaffen wollte. Es ist eine umfassende Theorie mit dem Schwerpunkt der sozialen Gerechtigkeit. Die Menschen, als die Mitglieder des gesellschaftlichen Organismus sollten kein Hunger mehr leiden, ihre elementaren Grund- und- Lebensbedürfnisse sollten befriedigt werden, und jeder sollte kraft seiner Fähigkeiten einen sinnvollen und nützlichen Beitrag für den Produktionsprozess leisten. Dabei sollen die Kooperation und die symbiotische Zusammenarbeit von unterschiedlichen Menschen verschiedenster Begabungen einen positiven Produktionseffekt erzeugen. Denn er sympathisierte mit der Idee den Wohlstand für alle erzeugen zu wollen. Dafür sollte sich die Produktion der materiellen Güter steigern und die finanziellen Eigentumsverhältnisse verändert werden. Die eigentlichen Produzenten der Güter, das heißt die Industriearbeiter, die Bauern, Handwerker und Warenhersteller sollten dabei die Oberhand über den Produktionsprozess behalten, sollten eine politische Stimme, ja sogar politisches Mitspracherecht erlangen. Aus der ökonomischen Vormachtsstellung, die Saint-Simon den eigentlichen Werktätigen und Güter-Produzenten zusicherte, sollte sich zusammen mit den wissenschaftlichen und künstlerischen Kräften die politische Vormachtsstellung bilden. Die Politik habe sodann die Aufgabe, den Produktionsprozess in der Industriegesellschaft für das Wohl der Mitbürger zu weitestgehend koordinieren, und die hergestellten Waren leistungsgerecht zu distribuieren. Denn das Politische soll der industriellen Produktion keineswegs freien Lauf lassen, was manche liberalen Leser von Saint-Simon wohlmöglich falsch auffassten, sondern soll die Politik, die durch und durch auf wissenschaftliche Grundsätze aufgebaut ist, den Produktionsprozess insofern beeinflussen, dass sie eine Steuerungsfunktion übernimmt, jedoch nicht gegen die Industrien sondern mit ihnen. Diesbezüglich taucht eine Gedanke den Saint-Simon bereits hatte bei Engels in seinem Anti-Dühring auf: „An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung über Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen.“ (s.262 bei Engels) Die Aristokraten, die adligen Geldbesitzer, und all jene Luxus-Liebhaber in der parasitären Feudalschicht sollten ihrer politischen Wirksamkeit entmachtet werden, sodass die herrschende Klasse, diejenige Klasse sein sollte, die verantwortlich für die Produktionsgüter und somit für den materiellen Wohlstand des Volkes ist. Zusammen mit den Wissenschaftler und den Künstlern wurden die „Industriellen“, die „class industrielle“ in Verantwortung genommen, sowohl die materiellen und geistigen Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen als auch partizipierende Subjekte für die Ausgestaltung der sozialen und politischen Ordnung zu sein. Hauptmittel für die Erhaltung einer politischen Ordnung seien die Pädagogik im Sinne der moralischen Erziehung und die Gesetzgebung.
Bauern, Handwerker, Kaufleute, Matrosen, Fabrikanten, Bankiers und das Proletariat gehörten alle zu der Klassifikation der „Industriellen“. (Hier könnten wir aus marxistischer Perspektive anmerken, dass die Kaufleute und Bankiers nicht als Mitglieder des produzierenden Volk charakterisiert werden dürften, da sie keine materiellen Gebrauchswerte hervorbringen, sich nicht in dem eigentlichen Produktionsprozess der Warenherstellung befinden, lediglich mit Tauschwerten handeln, verhandeln oder herumspekulieren, ihren Individual-Interessen oftmals eher folge leisten als dem gesellschaftlichen Allgemeinwohl zu dienen und falls sie doch den Allgemein-Interessen einen Dienst erweisen, dann sind es die allgemeinen Interessen der Großindustrien, der Kapitalbesitzer und der herrschenden Schicht des Produktionsvorganges.)
Was Saint-Simon mit den späteren Sozialisten jedoch eint ist, dass er vollends mit dem ancient regiem seiner Zeit brechen wollte. Die Verantwortung für den gesellschaftlichen Fortschritt übertrug er den Wissenschaftlern, den Industriellen und den Künstlern, den Besten ihres Fachs. Der allgemeine Weg zum Glück sollte somit beschritten werden mithilfe von Wissenschaft, Kunst, Handwerk und Gewerbe. „Denn die Befriedigung ihrer physischen und moralischen Bedürfnisse macht die Menschen glücklich; das aber ist einziger Zweck und mehr oder minder unmittelbare Aufgabe von Wissenschaft, Kunst und Handwerk und Gewerbe.“ Dies sind gleichsam die Hauptproduktionsbereiche für die sinnvolle Organisation der Gesellschaft. Die bringen der Mehrheit der Menschen am meisten Nutzen und sorgen für eine ausgeglichene Gesellschaftsstruktur. Auf diesen Tätigkeitsbereichen baut sodann der Wohlstand der Völker auf. „Die wichtigsten Arbeiten [jedoch] müssen der Hebung unseres moralischen und physischen Wohls dienen, (…)“ Dies ist die ethische Dimension seiner Gesellschaftstheorie. Doch wie sollte das geschehen? Die Kassen des Staatshaushaltes sollen dafür gebraucht werden, allen arbeitsfähigen Menschen in der Bevölkerung Arbeit zu verschaffen, sowohl für die Existenzsicherung als auch für die Steigerung des allgemeinen Wohlstandes.

7. Die Negation der Herrschaftsverhältnisse und das Leistungsprinzip
Die Könige, Adligen, oder höfischen Männer sollten sich keineswegs mehr durch ihre selbstsüchtige Politik von den Arbeiten der Produzenten bereichern, sondern diejenigen die wirklich die Lebensgüter und materiellen Wertgegenstände herstellten, sollten eigenbestimmt, sowie in Absprache mit den wissenschaftlichen Grundsätzen und bedarfsorientierten Plänen, für die Gesellschaft produzieren und sich ihre eigene Lebensexistenz nicht mehr von fremdbestimmenden Feudalherren oder produktionsfernen Aristokraten herabwürdigen lassen. Denn mehr noch als auf die politische, bei der er eine zuseiten der Monarchie eine gewisse Pathologie wahrnahm, legte er verstärktes Augenmerk auf die ökonomische Sphäre. Dabei ging er von einer Wirtschaftsordnung aus, bei der jeder, je nach individuellen Begabungen und Kraftressourcen dem Allgemeinwohl dienlich sei. Die Entwicklung der Industrien betrachtete er als eine positive soziale Tatsache, denn sah er in diesen Produktionsstätten die Möglichkeit, die allgemeinen gesellschaftlichen Antagonismen zu überwinden. Hier fehlte ihm jedoch die marxistische Einsicht, dass der Antagonismus in der kapitalistischen Produktion nicht aufgelöst wurde, sondern sich eher umgewandelt hat. Um in der industriellen Produktion jedoch der unverdienstmäßigen Bereicherung von Eigentum oder Kapital vorzubeugen, stellten die seine Schüler, die Saint-Simonisten später ein Prinzip auf, das die leistungsgerechte Verteilung sowohl der finanziellen Entlohnung als auch der materiellen Bedarfsgüter regulieren sollte: es besagt: „Jeder nach seiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Leistungen.“ Auf Grundlage dieser Sentenz lehnten sie das Prinzip der Gütergemeinschaft ab, da sie sich auf tatkräftige Leistung jedes Individuums stützten und dem Prinzip der Wohlfahrt kein Vertrauen schenkten, weil dieses eventuell Missbrauchspotential beherbergt. Damit wollten sie verhindern, dass einige Wenige von der Arbeit der Anderen leben und sich auf Kosten der Majorität ungeniert bereichern. So wie sie die Eigentumsverhältnisse attackierten, so verabscheuten die Saint-Simonisten ebenso das Erbschaftsrecht. Denn aus einer „Verwandtschaftserbschaft“ sollte eine „Erbschaft nach Befähigung“ werden. Doch wieso schreiben die Saint-Simonisten, ihrem Lehrer folgend, dass die Fähigkeiten und selbsttätigen Verdienste entscheidend sein sollten, welch eine Position die Menschen in der Gesellschaft haben dürften, wie und in welchen Maßen sie an bestimmten Entscheidungsprozessen mitwirken könnten und wieviel Grundeigentum ihnen als Besitz gerechtfertigt sei? Weil sie ebendiese Klassengegensätze, zwischen den Ausgebeuteten und den Ausbeutern bereits deutlich sahen. Ihnen war es wie ein Dorn im Auge den sozialen Antagonismus zwischen Besitzlosen und Besitzenden, zwischen Beherrschten und Herrschenden, zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern wahrnehmen zu müssen. Deswegen forderten sie eine Transformation der Eigentumsverfassung, die ursprünglich auf das Eroberungsrecht zurückgehe, das heißt auf das Recht des Stärkeren. Sie wollten das „Vorrecht der Geburt“ abschaffen und gleiche Bedingungen für alle Heranwachsenden schaffen. Diese sollten sich dann durch eigenes Tätigsein und verdienstvolle Anstrengungen darum bemühen, das zu erreichen, was sie wollen oder wünschen. Das In-die-Familie-Hineingeboren-Sein, gleich welcher Herkunft oder Klasse, sei von zufälliger Art, ist somit kein Verdienst und dürfte keineswegs als ein Privilegium dem Kind Vorteile gegenüber den Schlechtweggekommenen, gegenüber den Verarmten und Bildungsschwachen gelten. „Das Eigentumsrecht ist eine soziale Tatsache, die veränderlich oder vielmehr wie alle anderen sozialen Tatsachen im Fortschritt begriffen ist.“
Ein Fortschritt in der sozialen Entwicklung sei es: „das Erbrecht von der Familie auf den Staat zu übertragen.“ Jeder sollte nach seinen Werken belohnt werden. Die verdienstvolle Arbeit sei das Einzige was das Eigentum legitimierte.

8. Kritisches zum Leistungsprinzip:
Dennoch könnten wir einwenden, dass er eine Gesellschaft organisieren wollte, die auf dem Leistungsprinzip aufbaue, was wir heutzutage als Meriokratie begreifen können. Die Leistungsgesellschaft trägt aber das Konkurrenzprinzip in sich, wie die Wolke den Regen. Und das Konkurrenzverhalten ist wiederum Ursache für das hemmungslose Ausselektieren von funktionsfähigen oder funktionsunfähigen Arbeitskräften. Heutzutage hat der Leistungsgedanke Einzug genommen in die gesellschaftliche Organisation, gleichzeitig aber ist das Privateigentum sowie das Erbrecht noch nicht abgeschafft worden, wodurch die Kinder unterschiedliche Anfangsbedingungen besitzen, die einigen Vorteile und Anderen Nachteile aufbürden, weshalb sich die Kinder im Sozialisationsprozess unterschiedlich entwickeln. Einerseits besitzen die Wohlhabenderen die Möglichkeit, wegen den besseren materiellen Vorraussetzungen ihre Fähigkeiten vollständig zu entwickeln, um im Erwachsenenalter wirklich leistungsfähig zu sein, (z.B. haben sie verbesserte Bildungsmöglichkeiten, besseren Zugang zu sportlichen, künstlerischen oder technologischen Praktiken, bessere Lehrer und Erzieher usw.usf.) oder aber in den Kindern verkümmern, durch schlechtere Anfangsbedingungen die inhärenten Fähigkeiten und Potentiale, weil sie in materiellen oder familiären Verhältnissen aufwachsen mussten, jene es ihnen nicht ermöglichten, ihre Talente und Möglichkeiten vollständig auszuleben, um im Erwachsenenalter im gemeinschaftlichen Sinne eine zweckdienliche und zugleich erfüllende Leistung zu erbringen.
Zudem bewirkt das Leistungsprinzip eine neue soziale Hierarchie, die zum Teil auch Saint-Simon anstrebte, die sich einteilt in Befähigte und Unfähige. Die Fähigsten sollten ganz oben arbeiten, in den Führungsschichten, die leitenden Positionen einnehmen, den Produktionsprozess koordinieren und durch sinnvolle Innovationen die industrielle Entwicklung zum Positiven vorantreiben, die Unfähigen hingegen arbeiten weiter unten, nach für sie vorbestimmten Erwartungen, Leistungsanforderungen und Befehlen. Sie werden für den Gesamtproduktionsprozess funktionalisiert und als Mittel zum Zweck instrumentalisiert. Diejenigen, die gelernt haben sich durchzusetzen, erhalten eine höhere Wertschätzung und Belohnung, als diejenigen die für bestimmte Aufgaben leistungsunfähig sind, die Verweichlichten oder Kleinbeigebenden. Dieser Gedanke ist nicht weit entfernt von dem Darwinistischen Prinzip des: „Survival of the Fittest.“ Der Leistungsgedanke schafft somit, für die Entwicklung sich ergänzender Assoziationen, die Konkurrenz nicht ab, sondern wird diese durch das ökonomische Leistungsprinzip wieder und wieder begründet, weshalb im sozialen Organismus die Prinzipien der Selektion, des allgemeinen Kampfes gegeneinander und das Streben, um Macht, Einfluss und Positionssicherung nurmehr reproduziert wird.
Den Gedanken abschließend können wir festhalten, dass das Leistungsprinzip sowohl positive als auch negative Auswirkungen in sich trägt: die positiven Effekte sind, dass sich keiner mehr von der Arbeit anderer bereichern kann. Eigene Unproduktivität und Bequemlichkeit wären unnütz und somit nicht belohnenswert; denn nur die selbsttätige Arbeit gilt als Quelle für den eigenen Wohlstand, als auch ist der Verdienst das Resultat eigener dauerhafter Aktivität, und somit eine Tätigkeit eines wertschöpfendes Aktiv-Seins. Negative Effekte sind, dass eine ausgeprägte Ich-Mentalität die Individuen hartherzig gegenüber ihren Mitmenschen werden lässt, die dann mehr als Konkurrenten und Rivalen denn als Partner und Kooperateure betrachtet werden. Die einseitige Bewertung nach Leistung bürgt ebenso die Gefahr in sich, dass Menschen sich überanstrengen, somit keine Grenzen mehr kennen in ihrem Konkurrenzverhalten und dadurch zunehmend entmenschlichen und moralisch verwahrlosen. Als auch versetzt das Leistungsprinzip die Menschen in ständige Unruhe, wodurch Gestresstheit, Leistungsdruck und eine quälende Unzufriedenheit die psychische Disposition der Arbeitssubjekte besetzt und die Negativ-Empfindungen, trotz äußerer Leistungsaktivität und relativen materiellen Wohlstand, trotzdem einen Verelendungseffekt bewirken,
das innere Elend.
Deshalb meine Schlussfolgerung: Die richtige Leistung, d.h. die maßvolle, verantwortungsvolle und dennoch pflichtbewusste Arbeitsaktivität kann gut und sogar gesund für Körper und Geist sein, indem sie uns eine Beschäftigung gibt, in welcher wir unsere inneren Kräfte nutzbringend veräußerlichen können, uns ein Gefühl des Gebrauchtwerdens vermittelt und uns sinnstiftend am Leben teilhaben lässt, wohingegen die zweckbestimmte Leistung, die hartherzig erzwungen, von außen aufdiktiert oder rigoros gefordert wird, viel eher schlecht und ungesund für den Köper als auch für den psychischen Gesamthaushalt ist, da die von Außen herandrängenden Zwänge zu inneren Zwängen werden, die disbalancierte Ich-Mentalität die Individuen sodann zu Egoisten werden lässt, die sich gegenseitig im weiteren Verlauf sodann erniedrigen, demütigen, sich krampfhaft kontrollieren wollen oder sie einander gleichgültig missachten.
Deswegen ist Leistung per se nichts schlechtes, sie dient viel er der gesellschaftlichen Produktivität, sowie der individuellen Sinnerfüllung, sie wird jedoch zu etwas schlechtem, wenn das indoktrinierte Leistungsprinzip, sowie der geforderte Gehorsam und die rigide Gesetzesausübung das eigene Mitgefühl dahingehend ersetzen, dass die fühlenden Individuen zu sklavenähnlichen Robotern oder kaltblütigen Maschinen mutieren und somit ihren eigenen empathischen Instinkten und inneren Mit-Empfindungen kein Vertrauen mehr schenken.
Der zukünftige Sozialismus muss sich diesen Tatsachen bewusst sein, um mögliche Destruktiv-Vorgänge innerhalb der menschlichen Psychologie präventiv zu verhindern und um die allseitige Bildung der menschlichen und ethischen Vermögen der Menschen vernunftsgeleitet zu gewährleisten.

Wissenschaftstheoretisch ist Saint-Simon vermutlich dem vorsozialistischen Positivismus zuzuordnen. Er hatte die theoretische Absicht sich auf naturwissenschaftliche Methodiken zu berufen und die Analyseverfahren zur Beschreibung von Naturphänomenen nahm er sich zum Vorbild, um eine adäquate Gesellschaftstheorie zu entwerfen. Aus seiner erkenntnisreichen Diagnose sozial historischer Entwicklung heraus, skizzierte er eine ökonomische, sozio-kulturelle und friedensbejahende Zukunftsprognose, die durch seinen utopischen Wert, die damalige Gegenwartsgesellschaft negierte und eine bessere, gerechtere und menschenfreundlichere Gesellschaftsordnung präferierte.


9. Die Gleichheitsvorstellung Cabets.
Cabets Gedanken kreisen hauptsächlich um den Gleichheitsgedanken. In seiner „Reise nach Ikarien“ als auch in seinem „kommunistischen Glaubensbekenntnis“, die beiden bedeutendsten Werke Cabets, macht er das Prinzip der Gleichheit zum obersten Gebot. Die menschlichen Gemeinschaften werden als eine große Familie angesehen, bei der jeder gleiche Pflichten und Rechte besitzt. Jeder habe gleichmäßig einen Arbeitsdienst zu leisten, wiewohl auch jeder gleiche Genussmöglichkeiten wahrnehmen könne. Keiner beherrscht zum Nachteil der Anderen seine Mitmenschen. Keiner dürfte sich zum Schaden Anderer individuelle Vorteile aneignen. Denn jeder habe, aufgrund der Tatsache, dass wir alle Erdgeborene sind, gleichermaßen das Anrecht darauf, eine allgemeine Grundausbildung, gesundes und ausreichendes Essen, Kleidung und eine Wohnung zu erhalten. Diese existenzbewahrenden Grundbedürfnisse dürften keinem Individuum verwehrt bleiben. Keiner sollte von der Geburt an durch unterschiedliche Vermögensverhältnisse der Eltern, bevor- oder benachteiligt werden. Die Schaffung gleicher Vorraussetzungen für das Heranwachsen der Kinder als auch die gemeinschaftliche Erziehung sollte nach dem Vorbild eines rationalen Bildungsmuster vonstatten gehen. Gerade in der Pädagogik würde der Grundstein gelegt, für die Ausbildung von Herz, Verstand, Tugenden und Vernunft der Menschen. Keiner dürfte sich irgendwelchen materiellen Privilegien oder Vorrechten erfreuen, da strikt darauf zu achten sei, dass die Gebote der Gleichheit und der Brüderlichkeit zu erfüllen seien. Die Unterschiede der Menschen hätten lediglich einen marginalen Charakter, seien von äußerer Natur, nicht das wesentliche der Menschen, sodass er oftmals in seinen Schriften die uns verbindenden Elemente stark macht. Der Zweck der Erziehung, die finanziert wird von dem Gesellschaftskapital, wie alle öffentlichen und gemeinschaftsdienlichen Arbeiten aus diesem gemeinsamen Kollektiv-Kapital entlohnt werden, dient der Entwicklung und Vervollkommnung der humanistischen und solidarischen Fähigkeiten der Subjekte. Somit werden die Subjekte im Geiste der Gemeinschaft erzogen, wo niemand höher- oder minderwertiger behandelt werden sollte. Die Individuen erkennten sich somit in ihrer sozialen Verbundenheit und realisierten die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen und miteinander abgestimmten Handlungsweise. Diese den heranwachsenden Generationen vermittelte Geisteshaltung beugte dem eigenwilligem egoistischen Trieben vor, und manifestierte in den Charakteren der Kinder den Sinn für den kollektiven Zusammenhalt. Dafür hat er einen gesellschaftlichen Entwurf verfasst, der durchaus einen utopischen Charakter trägt. An einigen Punkten seiner lebensweltlichen Planung sollte man ihm jedoch aus der heutigen Perspektive entschieden widersprechen, da die konkreten Vorschriften für die Kindererziehung in seinem Werk, etwas veraltet und nicht mehr zeitmodern anmuten. Doch nichts desto trotz ist er darum bemüht einen kommunistischen Geist in den Menschen heranzuentwickeln, der an manchen Stellen jedoch einige Ecken und Kanten besitzt, zum teil etwas freiheitseinschränkend wirkt und mitunter zu sehr aus einer bestimmenden, das heißt generalisierenden Erwartungshaltung geschrieben ist. Doch die inhaltliche Kritik der gesellschaftlichen Entwurfes, die er in der „Reise nach Ikarien“ unternommen hat, ist jetzt nicht meine Aufgabe. Ich will vielmehr seine Grundgedanken erfassen, die er verstreut in seinen beiden Hauptwerken schriftlich zu vermitteln beabsichtigte.

10. Die Missionierungs-Absicht und der Wille der Vernunft
Angelehnt an die Lehren der Bibel und inspiriert von den Sprüchen von Jesus predigt er von einem kommunistischen Himmelsreich auf Erden, das befreit worden ist von Ausbeutung, Missgunst, Hass, unsinnigen Streiterrein oder eigensüchtigen Partikularinteressen. Vermittels der menschlichen Vernunft sollten die Menschen die unsoziale Konzentration an Privateigentum überwinden, gleichsam sich selbst mitsamt ihren Fähigkeiten, die Mittel für die Güterherstellung und den gemeinschaftlich produzierten Besitz vergesellschaften, sodass gleiche Bedingungen und Bildungschancen für alle Individuen entstünden. So sollte die Gleichheit aller in der Gemeinschaft gesichert bleiben und die Möglichkeit realisiert werden, dass eine Sozialisierung des Glücks stattfinde. Mehr noch als die Freuden oder das Vergnügen von Einzelnen und Besonderen sollten die Negativ-Verhältnisse und leidvollen Zustände in der Mehrheit der Gesellschaft verschwinden, sodass die Gesamtheit aller Erdenbewohner Glück und Glückseligkeit erfahren kann. Denn der verherrlichte Individualismus als auch die sozialen Elendverhältnisse waren ihm wie ein Dorn im Auge. Genauso wie Saint-Simon sah er die Quelle von quälendem Unglück, von materieller Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit in den Eigentumsverhältnissen begründet. Doch sollte man die Reichen, Vermögenden und Ausbeutenden dafür keineswegs hassen, dass sie so verdorben geworden sind, sondern sie als Resultate einer falschen Erziehung betrachten. Die gesellschaftliche Organisation mitsamt seinen Einrichtungen und Institutionen, „die im Zeitalter der Barbarei begann“ sei verantwortlich dafür, dass Antagonismen, wie Armut und Reichtum, Ungebildetheit und Gelehrtheit, Mangel und Überfluss gleichzeitig und fast nebeneinander existieren. Erst wenn man die Grundlage modifiziert, könnte die Möglichkeit einer strukturellen Umwandlung realisiert werden. Und diese verortete Cabet, nicht wie Marx in der ökonomischen Grundstruktur der Gesellschaft, obgleich Cabet nicht blind für ökonomische Prozesse war, sondern in dem Wesen der Menschen. Die Grundüberlegung dahinter ist, dass erst die menschlichen Interaktionsbeziehungen gewisse Strukturen im alltäglichen Produzieren und Handeln aufgebaut haben, die sogenannten Produktionsverhälnisse und das die Art und Weises der gemeinschaftlichen Nutzbarmachung von unpersönlichen Naturmaterialien in den Charakteren der Menschen, in ihrer mehr oder minder entwickelten Vernunftbegabung, d.h in ihrer seelischen Disposition wurzele. In diesem Zusammenhang spricht er von der natürlichen Güte des Menschengeschlechts und schreibt in seinem kommunistischen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube, dass es den Menschen von Natur zu seinen Mitmenschen hinzieht, eben weil er gesellig ist. Er ist mitfühlend, teilnehmend, liebevoll, gut und geneigt, seine Brüder zu unterstützen und ihnen zu helfen, Brüderlichkeit, Liebe und Opferfähigkeit sind natürliche Anlagen oder Triebe, die durch Vernunft und Erziehung gefestigt und entwickelt werden.“
Dieses positive Anthropologieverständnis Cabets geht einher mit einem optimistischen Gesellschaftsideal, welches durch Erziehung und die praktische Anwendung der Vernunft zu verwirklichen sei. Die Vervollkommnung der Wesenseigenschaften der Menschen als auch die Heranbildung der charakterlichen Tugenden im Sinne der Sozialität werden als primärer Grund erachtet, um eine kommunistische und gleichheitsbewusste Gesellschaft aufzubauen. Wir Menschen, egal welcher Nation, welcher Rasse, welchen Geschlechts seien die Kinder der großen Mutter Natur, und ebendiese Natur habe uns mit gleichen Anlagen und Bedürfnissen ausgestattet. Von daher hätten wir auch ebenso gleiche Rechte als auch gleiche Pflichten, die es im Laufe des Entwicklungsprozess zu verwirklichen gilt. „Ich glaube, dass die Natur auf der Erde alles für das ganze Menschengeschlecht geschaffen hat, alles für alle. Sie gab allen die gleichen Bedürfnisse und folglich auch allen die gleichen Rechte an den zu ihrer Befriedigung notwendigen Dingen. Hätte die Natur selbst unter ihren Kinder aufgeteilt, würde sie ihnen gleiche Anteile entsprechend den Bedürfnissen eines jeden gewährt haben. Aber sie hat niemals etwas aufgeteilt; sie gab ihr ganzes Erbe allen gemeinsam und einem jeden das gleiche Recht auf die Erde und alle ihre Erzeugnisse wie auf Licht, Luft und Sonne.“
Hieraus können wir dreierlei ersichten: 1.) die uns allen gegebene, naturbedingte „Gemeinschaft der Güter“, welche keinem privat gehört, und somit jeder Privatbesitz, jede eigenwillige Aneignung von Boden oder Naturressourcen, und jeder Anspruch auf natürliches oder finanzielles Privateigentum entgegen der Zweckbestimmung der Natur entspricht.
2.) Das die notwendigen Dinge für unsere Existenzerhaltung uns von dem blühenden Reichtum der Natur gegeben werden, wir also die gemeinschaftliche Aufgabe hätten, durch bewusste Bearbeitung des natürlich Gegebenen uns von den Früchten der Natur zu versorgen, und gleichzeitig die Pflicht besitzen, auf die gerechte Aufteilung zu achten und 3.) das die Verteilung der notwendigen Naturgüter dem individuellen Bedarf entsprechen sollten und je nach den unterschiedlichen Bedürfnissen, und nicht nach Leistungen, wie Saint-Simon es erwogen hatte, das von der Natur Entnommene distribuiert werden würde.
Hier können wir gleichsam den Hauptunterschied zwischen der meriokratischen und der bedarfsorientierten Kommunismus-Vorstellung verzeichnen. Die Einen, d.h. Saint-Simon und seine Schüler, wollen eine Gesellschaft aufbauen, die auf Leistungsgerechtigkeit und individueller Pflichterfüllung im Sinne des Gemeinwesens basiert, in der in erster Hinsicht die eigene Arbeitsaktivität die Befriedigung der individuellen Lebensbedürfnisse rechtfertigt, der Leistungseinsatz sowie die Ausübung seiner Fähigkeiten für den Nutzen der Gesellschaft erst den eigenen Wohlstand begründen dürfte und erst durch Anstrengungen und mühevollen Fleiß gewisse Vorzüge, Privilegien oder Belohnungen verdient werden müssten. In der Vorstellung von Cabet ist es das natürliche Recht eines Jeden, seine natürlichen Bedürfnisse, je nach seinen Fähigkeiten und Kräften ebenso zu erfüllen, wie die Verschiedenbegabten die minder Fähigen eventuell durch Ihre Leistungsanstrengungen überragten. In Cabets Sozial-Entwurf ist gerade der Leistungsgedanke nicht von primärer Bedeutung, sondern viel eher der natürlich verbundene Gemeinschaftsgedanke. Die Auslebung seiner Kräfte sowie das innere Pflichtbewusstsein seien durch die Erziehung insoweit entwickelt, dass ein natürliches Gleichgewicht entstünde zwischen dem, was einer geben kann und dem was er zu geben befähigt ist. Und so heißt auch sein Credo, dass später vom guten Marx in seinen Gothaer Programm übernommen wurde: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen.“ Dafür zeichnet er ein System der Gütergemeinschaft, bei der sämtliche für den menschlichen Bedarf gebrauchten Naturressourcen, sowie alle gemeinschaftlich produzierten Arbeitsresultate voll und ganz als Kollektiveigentum zu betrachten seien. Nicht der private Besitz von Boden, Kapital und Arbeitskraft klassifizierten die Gütergemeinschaft, sondern gerade die Negation dessen, was den aristokratischen Herrschern und kapitalbesitzenden Ausbeutern ihren privat angeeigneten Reichtum bescherte. Eben dadurch, dass der natürliche sowie der gesellschaftlich produzierte Reichtum sich nicht mehr bei einzelnen Akteuren akkumuliert, viel eher dem Gemeinschaftsorganismus zugute kommt, erhält die Gütergemeinschaft den Charakter einer Gerechtigkeitsunion. Denn „Was will die Gemeinschaft? Sie will, dass eine Nation ein Ganzes von gleichmäßig assoziierten, verpflichteten, berechteten freien Personen werde, sodass folglich das Einzelinteresse mit dem Allgemeininteresse zusammenwachse, verschmelze und einen einzigen gesunden Körper oder Gesellschaftsorganismus bilde. Der Wahlspruch sei: „Alle für einen und einer für Alle.“

11. Die Vorzüge der Gütergemeinschaft
Die Funktionsweise der Gütergemeinschaft sei durch eine bestimmte Verfassung, sowie durch Gesetze, durch die Erziehung und durch die Produktionstätigkeit geregelt. Die Freiheit könne nur mithilfe von Gesetzen, als die Resultate der gemeinschaftlichen Vernunfttätigkeit, realisiert werden. Nicht die Willkür oder das sittenlose, vernunftmissachtende Handeln sei ein Ausdruck menschlicher Freiheit, sondern die Einsicht in die notwenigen Prinzipien gemeinschaftlichen Existierens, was durchaus einem kantischen Gedanken ähnelt. Der Grund und Boden wird als ein kollektiver Grundbesitz wahrgenommen, wo keinem mehr und keinem weniger gehört und bei der die Nationalregierungen die obersten Verwaltungsbehörden darstellten. Somit könnte dem Privatvermögen, der Instrumentalisierung von regierungstreuen Beamten und die einseitige Akkumulation von Reichtümer vorgebeugt und zielführend entgegengewirkt werden. Die Industrieproduktion sei keineswegs von üblem Charakter, sondern könnte durch die gemeinschaftliche Verfügung und zweckdienliche Nutzung der Produktionsmittel ein ungeahntes Produktionspotential freigesetzt werden, welches dass der üblichen Gütererzeugung bei weitem überträfe. Hierbei affirmiert er den Gedanken, dass Maschinen in sämtlichen Produktionszweigen eingesetzt werden könnten, um die menschliche Arbeit leichter, angenehmer und effektiver machen zu wollen. Keiner müsste mehr oder weniger Arbeiten, da die Arbeitszeit sich nach dem Prinzip der Gleichheit richtet. Das Ziel, welches sich Cabet vorstellt ist somit durchaus ein Segenreiches: denn „Ich glaube, dass die Gütergemeinschaft keineswegs zur Gleichheit des Elends, sondern vielmehr zur Gleichheit des Wohlstands führt.“ Das Notwendige müsste allen gegeben sein, bevor das Nützliche und das Angenehme der Vielzahl an Menschen zugute kommt. Dies schreibt er in Bezug auf die materiellen Existenzmittel für die Grundversorgung seiner eigenen Lebensreproduktion. Die Implementierung der Gütergemeinschaft in die gesellschaftliche Organisation solle weitestgehend gewaltfrei stattfinden, da er jede Form von Repression und Unterjochung einer Klasse gegenüber der Anderen ablehnt. Nicht die radikale Enteignung des Vermögens von Privatbesitzern sei die Lösung von Cabet, sondern, wie er denkt, die Kooperation, das langwierige Überzeugen und Zureden, die sorgfältige Einpflanzung des Gemeinschaftsgedankens, die Hege und Pflege der öffentlichen Meinung. Cabet ist kein dogmatischer Agitator für seine kommunistische Idee, kein einseitiger Propagandist, der seine Ideologie mit eisenharter Strenge in die Köpfe der Arbeiter und Kapitalisten einhämmern will, viel eher sucht er die Einsicht und die Vernunft der Menschen zu erwecken, sich selbständig davon zu überzeugen, dass die vorgestellte Gütergemeinschaft im Vergleich zum kapitalistischen Ausbeutersystem das bessere und auch das vernünftigere sei. „Die Kommunisten müssen die Überlegenheit ihrer Lehre durch Toleranz und Mäßigung beweisen, durch Wohlwollen und Brüderlichkeit gegen alle Menschen und vor allem gegen diejenigen, die früher oder später auf dem Weg der Reformen und des Fortschritts weitergehen werden.“

12. Schlussgedanken
Die Frühsozialisten erscheinen in ihren Gesellschaftsanalysen als auch in ihren sozialen Visionen als wortgewandte Kämpfer für die Idee der sozialen Gerechtigkeit. Als unerbittliche Ankläger der herrschenden Ausbeutungsverhältnisse attackieren sie mit scharfen Worten die elenden gesellschaftlichen Verhältnisse damaliger Zeit. Sowohl die erbarmungslose Konkurrenz als auch die ungleichen Eigentumsverhältnisse und das Erbschaftsrecht zogen ihren Unmut und ihren Zorn auf sich. Die Auswirkungen der Industrialisierung hatten menschenunwürdige Lebensverhältnisse für die Arbeiter hergestellt, wogegen sie sich mit aller verbalen und geistigen Gewalt tatkräftig dagegen stemmten. In mutigen Versuchen vermittels der Vorstellung bereits eine bessere Zukunft für die Arbeiter wahrzunehmen, zeichneten sie die unterschiedlichsten Gesellschaftsvisionen, praktisch werden wollende Theorien, welche gewissermaßen Zielorientierungen für den zukünftigen Gesellschaftsprozess darstellen, damit wir das Elend vollständig überwinden. Der allgemeine Zweck sowie das Ziel der theoretischen sowie sozial-politischen Reflexionen ist die ausnahmslose Aufhebung von Qual, Elend und Leid. In dieser Hinsicht haben die Gedanken, wie auch die Theorien aller Frühsozialisten eine durchaus ethisch praktische Dimension. Es sind keine Morallehren im philosophisch bürgerlichen Stil, die durch moralisierende Vorschriften, Gebote oder Verbote das menschliche Handeln und Verhalten steuern oder kontrollieren wollten, sondern erscheinen die postrevolutionären Theorien als eine gedankliche Suche nach Antworten auf die damals gegenwärtigen und gravierenden praktischen Probleme und sozialen Missstände. Hierbei nahmen alle der Frühsozialisten ausnahmslos die unmoralischen Verhältnisse wahr. Die Feststellungen tauchten zuerst in den Gegenwartsanalysen der Industrieentwicklung auf, als auch erhielt das sozialistische Theoretisieren durch Saint-Simon eine historische bis dato noch unbeschriebene Erklärungsdimension. Den von Marx auf den Begriff gebrachten Klassengegensatz, haben bereits beide hier erörterten Autoren deutlich wahrgenommen. Wie auch die Gesellschaft nur zu einem glücklicheren Zustand kommen könne, wenn sie in ihrer gemeinschaftlichen Organisation die entstanden Antagonismen zur Auflösung bringen kann. Doch nehmen beide Autoren nicht die revolutionäre Perspektive ein, die einen gewaltsamen Umstürz oder eine abrupte Umwandlung in der sozialen Struktur intendiert, sondern sind sie eher dazu geneigt, eine gesellschaftliche Versöhnung, eine soziale Synthese zu befürworten, damit die offenkundigen gesellschaftlichen Widersprüche nicht noch weiter von Widersprüchen und Repressionsverhältnissen ersetzt werden. Der Versöhnungsgedanke erinnert unwillkürlich an die hegelische Dialektik, die für die allgemeine Vernunft - und Geistesentwicklung der Menschen als unumgänglich erscheint, um die individuellen und sozialen Mängelzustände zu transzendieren. Der Verdienst beider Autoren liegt in den Versuchen einen sozialen Soll-Zustand zu entwerfen, in denen die Menschen von Ausbeutung, Sklaverei, Betrug und Herrschaftsverhältnissen erlöst werden. Gerade Cabet kommt mit seinem Willen zur Gütergemeinschaft einer sozialistisch konstituierten Gesellschaftsordnung sehr nahe, obgleich wir ihn in mehreren Punkten aus dem Erkenntniszuwachs den Marx, Engels und Lenin und anderen sozialistischen Theoretiker, nicht zu unrecht kritisieren können. Dennoch dürfen wir ihm einen guten Willen und sehr interessante Ansätze zusprechen, die in der gedanklichen Weiterführung noch zu brauchbaren Sinnverbindungen und Praxisanwendungen taugen mögen. Nicht desto weniger verdanken wir Saint-Simon ebenso tiefsinnige Einsichten in die Entwicklung und Struktur der westlichen Kulturgenese. Sein theoretisches Geschick übertraf bei weiten seine praxisbezogenen Versuche, im Sinne seiner geplanten Vorstellung eine sozial gerechte und wohlorganisierte Gemeinschaft zu verwirklichen. Ob nun der meriokratische Sozialismus oder der bedarfsorientierte Kommunismus die bessere Variante sei, für den Aufbau einer gerechten und nichtrepressiven Sozialformation, dass weiß ich abschließend nicht zu beantworten. Beide haben Vorzüge, wie auch beide kritikwürdig sind. Um das vorzuziehende System vollends zu ermitteln, müssten wir nochmals detaillierter auf den Inhalt eingehen, gerade auf die Utopie von Cabet. Aber das wäre zu viel geworden für diese Hausarbeit. Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile, wie auch beide Ansätze der Weiterentwicklung der sozialistischen Bewegung dienten. Seien sie auch noch in einem unreifen Stadium ihrer Theoriebildung gewesen, wodurch ihnen das Signum der Utopie angeheftet wurde, so haben sie sich dennoch um Zielvorstellungen bemüht, an denen sich das sozialistische Denken teils bewusst, teils unbewusst orientiert. Die fertige, totale, absolute Endantwort ist uns durch die inhärente Potentialität der sich entwickelnden Wirklichkeit sowieso nicht unmittelbar gegeben, sodass wir sagen können, dass in beiden Theorien gleichsam notwendige Bausteine für das sozialistische Bewusstsein innewohnen. Ob das eine oder andere besser sei, weiß ich nicht, doch wohlmöglich befindet sich die Wahrheit gerade dazwischen, in der Mitte, als die vermittelnde Einheit beider uns gegebenen Anschauungen. Ich danke für die Aufmerksamkeit.










Literaturverzeichnis:
„Claude-Henri Saint-Simon“ in „Von Babeuf bis Blanqui. Französischer Sozialismus und der Kommunismus vor Marx, Band I Einführung“ hrsg. von J.Höppner/ W.Seidel-Höppner, Reclam Verlag,Leipzig,1975

„Der Organisator“ von Saint-Simon, in „Von Babeuf bis Blanqui. Französischer Sozialismus und der Kommunismus vor Marx, Band II“ hrsg. von J.Höppner/ W.Seidel-Höppner, Reclam Verlag,Leipzig,1975

„Die saint-simonistische Lehre“ in „Von Babeuf bis Blanqui. Französischer Sozialismus und der Kommunismus vor Marx, Band II“ hrsg. von J.Höppner/ W.Seidel-Höppner, Reclam Verlag,Leipzig,1975

„Kommunistisches Glaubensbekenntnis“ E.Cabet, in „Von Babeuf bis Blanqui. Französischer Sozialismus und der Kommunismus vor Marx, Band II“ hrsg. von J.Höppner/ W.Seidel-Höppner, Reclam Verlag,Leipzig,1975

Adler, Max, „Wegweiser. Studien zu Geistesgeschichte des Sozialismus“ Hess&Co.Verlag Wien, Leipzig, 1931

„Darstellung der saint-simonistischen Lehre“ in „Der Frühsozialismus“ ausgewählte Quellentexte hrsg. von Thilo Ramm, Alfred Körner Verlag Stuttgart, 1956

Metzler Philosophen Lexikon. Von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen. Hrsg. von Bernd Lutz, J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart, 1989


© Alexej


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