Während der letzten Sommerferien saß ich mit meinen Eltern im Auto im Stau. Nebenher ( eventuell ja vielleicht sogar, um diese scheinbar nicht enden wollende, nervenaufreibende Zeitspanne zu überbrücken) lief das Radio. Die Autobahn auf der wir uns in diesem Moment (allerdings auch schon im Moment davor und auch im Moment danach) befanden wurde genannt. Zwei Stunden Zeitverlust. Diese Formulierung hört man ja im Alltag nun doch ziemlich häufig (wobei ich mich auch immer wenn ich solche Fetzen höre frage, inwiefern so etwas tatsächlich von ermittelt werden kann und ob man dem Ergebnis, zu dem ein digitaler Rechner kommt tatsächlich vertrauen schenken kann, da so ein Stau ja dann doch etwas ziemlich analoges und -man könnte sogar fast sagen emotionales - an sich hat. Aber ich schweife ab) so häufig sogar, dass man die meiste Zeit sowieso nicht mehr wirklich zuhört. Oder zumindest nicht aktiv. Ich hatte allerdings in dieser Situation fast keine andere Wahl, als dem Radiosprecher bewusst zuzuhören und über das gehörte nachzudenken. Lange Zeit war es auch eher wenig interessant, bei den Worten ''Zeitverlust'' bin ich dann aber doch hellhörig geworden. Man muss dazusagen, ich bin ein sehr sprachinteressierter Mensch und grüble teilweise bei ganz alltäglichen Formulierungen oder Redewendungen weshalb das jetzt eigentlich so gesagt wird und nicht anders. Mit solchen Überlegungen kann man übrigens sehr gut Zeit totschlagen (vor allem, wenn dem Gedanken dann eine Grundsatzdiskussion folgt). Warum also ist in einem solchen Fall die Rede von Zeitverlust? Gut, man könnte jetzt ganz logisch argumentieren und sagen: ,, Die Zeit , die man in einem Stau verbringt ist danach eben vergangen, genauer gesagt nicht mehr da, sie steht der Person nicht mehr zur Verfügung, ist demnach also verloren.“ Wenn man die Sache allerdings etwas weniger logisch angeht (was man als Leser dieses Textes wohl oder übel tun muss, ansonsten wäre das Lesen hiervon ja pure Zeitverschwendung...), kann man auch einfach mal einen Gegenteiligen Begriff bilden und sich dann Gedanken machen, ob das dann immer noch Sinn ergeben würde. Zeitgewinn also. In dem Zusammenhang ist mir dann eine Musikstunde wieder eingefallen, in der wir über das Thema 'minimal music' gesprochen hatten. Meistens wird dabei ein Ton oder ein Dreiklang sehr lange am Stück gehalten. Also, wirklich sehr lange. Mehrere Stunden. Oder Tage. Unser Lehrer meinte, dass es irgendwo eine Kirche gibt, die ein bestimmtes Stück aufführt, welches nur alle paar Jahre mal den gespielten Ton ändert. Diese Ausmaße von lange meine ich.
Da sitzt man also mehrere Stunden und hört immer nur denselben Ton. Zeitverschwendung, sprich Zeitverlust, könnte man sagen. Allerdings (auch wenn manche Menschen es -und ich verstehe den Gedankengang dahinter schon bis zu einem bestimmten Punkt, allerdings muss man ja nicht unbedingt auf Teufel komm raus die Errungenschaften eines jeden bildenden Künstlers schmälern-oft anzweifeln und alles mit einem 'ich hätte das auch machen können' quittieren) verbirgt sich dahinter ja nun doch mal ein Gedanke und eine Intention. Und diese Intention hilft vielleicht auch ein bisschen, zu untermauern, was ich hier eigentlich sagen will. Durch das hören des immer selben Tons achtet man bewusster auf Kleinigkeiten, die um einen passieren und hat auch Zeit, sich zu entspannen. Oder zu tun, was auch immer man eben tun möchte. Durch diesen faktischen gesehenen Zeitverlust wurde einem also auch irgendwie Zeit für sich selbst geschenkt. Also kommt es viel mehr darauf an, was man mit seiner Zeit anfängt wenn andere von Zeitverlust sprechen. Das man eben nicht nur mit der Einstellung an Wartezeiten herangeht, die Zeit jetzt totschlagen zu müssen. Und wer sich meiner teilweise übermäßig und - manche würden auch sagen unnötig - langen Schachtelsätze zum Trotz noch an meine Formulierungen zu Anfang erinnern kann, der hätte sich auch das Recht erarbeitet, mir dieselbe Denkweise zur Last zu legen, die ich hier gerade an den Pranger stelle. Und natürlich war es eine bewusste Entscheidung von mir, dies alles in genau diesem Wortlaut zu schreiben und auch dieses komplett gekünstelte 'Wir erinnern uns zurück' von gerade eben war bewusst von mir eingesetzt, damit die Menschen, die sich durch meine teilweise übermäßig und - manche würden auch sagen unnötig - langen Schachtelsätze haben ablenken lassen nochmal einen Blick an den Anfang werfen und dann ebenfalls zu dem Schluss kommen, dass ich dieses Essay von Doppelmoral und Widerspruch nur so trieft. Aber lasst mich nun, nach diesem Satz, der alle Rekorde meinerseits sprengt, meinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Dadurch, dass ich eben über dieses Thema nachgedacht habe, ist mir dieser Fehler bei mir selbst auch aufgefallen. Wenn ich nun also schreibe, dass alle generell versuchen sollten, etwas aus ihrer Zeit zu machen und jeden Moment bewusst und nicht nur 'so nebenbei' leben sollten, kommt das dadurch nun eben nicht so wie Erziehung von außen rüber. Dadurch, dass ich mich nicht mit einem 'ihr müsst das machen' sondern mit einem 'seht mal her, ich habe diesen Fehler gemacht und will euch davor bewahren, denselben zu machen' an euch als Leser wende, seid ihr ja vielleicht auch eher geneigt, diesen Rat anzunehmen. Wer weiß, vielleicht klappt's ja.


© Stellina


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