Stell Dir vor, es ist Klassenkampf ...

Es gibt Kriege, die werden ordentlich erklärt, und es gibt Kriege, bei denen nie ein Anfangspunkt gesetzt wurde, „schmutzige“ wie der vor 30 Jahren zu Ende gegangene Vietnam-Krieg, die Bürgerkriege auf dem Balkan in den 90ern oder der Krieg im Irak gegen die US-Besatzer und ihre Alliierten, der erst nach seinem erklärten Ende durch Präsident Bush richtig begann, gegenwärtig (2019) vor allem der Krieg in Syrien, jahrelang fälschlich als Bürgerkrieg betitelt. Kein Mensch mit Vernunft käme auf die Idee, diese Konflikte nur deshalb nicht Krieg zu nennen, weil einschlägige offizielle Erklärungen fehlen.

Und was hat das mit der Klage über die sog. neoliberalen „Heuschrecken“ (große Kapitalmassen, wie sie z. B. das international engagierte Unternehmen Black Rock im Interesse seiner Investoren bewegt) zu tun? Ist das mehr als eine Blähung? Und was mit den ominösen Finanzmärkten, die der Finanzminister Schäuble beschwor, und die eine alternativlose Politik erzwangen?
Und was hat das mit der teilweise hysterischen Reaktion auf Äußerungen des Juso-Chefs Kühnert zu tun, der ganz nonchalant die Existenzberechtigung von Großkonzernen wie BMW infragestellt und das geheiligte Eigentumsrecht des Großkapitals anzutasten wagt, wenn auch nur verbal?! Jedes öffentliche Plädoyer für Sozialismus gleich welcher Art, als mögliche Alternative zur Kapitalherrschaft, wird geradezu reflexhaft mit dem Verweis auf die ehemalige DDR stigmatisiert. Das erspart den Herrschenden und ihren Ideologen in den Mainstream-Medien jede Diskussion. Besonders geschmacklos ist es, im selben Atemzug Nordkorea oder Kuba zu erwähnen, oder als Gipfel der Diffamierung den National-“Sozialismus“. „Da seht ihr, was euch blüht, wenn ihr diesem Weg folgtet!“ *)
Schließlich mussten unterm Regiment des „Modernisierers“ Schröder (1998 bis 2005) nicht nur die GRÜNEN die Kröten schlucken, die sie früher über die Straße getragen hatten; auch der alten, der ältesten Volkspartei SPD wurde viel zugemutet: Bevor noch die „schmerzhaften“ Reform-Einschnitte bei den Hartz-IV-Betroffenen spürbar wurden, wurde sie von einer Welle von Parteiaustritten geschwächt. Eine bis heute nicht abreißende Serie verlorener Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen folgte. Mittlerweile ist diese Partei nach katastrophalen 20 % bei der Bundestagswahl bei 16, 15, 13 und darunter angelangt und sieht mehr als „alt“ aus. Der verschlissene Bettvorleger der ewigen Staatspartei CDU.

Nun ist Klassenkampf auch dann, wenn keiner „hingeht“, und sogar dann, wenn weder von „Klassen“ noch von „Kampf“ die Rede ist. Parteivorsitzende wie der damalige Franz Müntefering und nach ihm noch manche andere hatten lediglich eine Form von „Kapitalismus“ angeprangert und dass sich seine Partei dagegen wehren solle. In den Ohren neo-liberaler Redakteure bei FAZ, SZ, ZEIT, SPIEGEL, Financial Times Deutschland, Wirtschaftswoche und gleicherweise den Staatsmedien ARD und ZDF etc. scheint das K-Wort ein Four-Letter-Word zu sein. Eine perfide Verunglimpfung der prächtigen Marktwirtschaft, bis heute immer noch unverdrossen „soziale“ genannt. Die professionellen Meinungs- bildner assoziieren flugs den hässlichen „Klassenkampf“, und das Gespenst des Marxismus, der Mottenkiste entstiegen, erscheint wieder am Horizont wie im Kalten Krieg vormals der „Russe“.
Die deutsche Wirtschafts-Rechte plusterte wie gewohnt die Backen empört auf, und die organisierten deutschen Arbeitgeber vom BDA bellten öffentlich, solcherart Rede – also die vom Heuschrecken-Kapitalismus – sei „unpatriotisch“ und „zum Kotzen“. Ein weiterer Beleg für Marxens berühmtes Diktum: „Die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden.“
Bei solchen unapettitlichen Themen halten sich die hochbezahlten professionel- len Repräsentanten der Meinungsfreiheit vornehm zurück, beschränken sich auf Oberflächengeplänkel und vermeiden jeden kritischen Blick auf die Strukturen der Globalisierung. Andere durchschauen das Spiel, so im Jahre 2005 der ZEIT-Herausgeber und Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann. In einem klug abwägenden Beitrag für sein Blatt sagte er, der “Klassenkampf“ finde nur noch als Gaudi in den Gazetten statt. Jedoch sei der soziale Friede gefährdet – eine bisher attraktive wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingung, ein Standortvorteil – durch eine Wirtschaftsstrategie und -politik, welche die Fähigkeit des Staates zur ausgleichenden Umverteilung unterminiere und damit das „unverfügbare Selbstverständnis“ der „Konsensrepublik“ infrage stelle.

Die deutsche Unsitte, dem Gegner oberlehrerhaft Fundamentalwahrheiten vorzuhalten, die er nicht verstehe, treibt beim Oberlehrer der neoliberalen Wirt- schaftsprofessoren, Hans-Werner Sinn, groteske Blüten: „Die Entrüstung über die Gesetze des Kapitalismus ist müßig. Auch wenn diese Entrüstung die Fallgesetze beträfe, hätte Gott dafür nur ein müdes Lächeln übrig.“ Aber auch die Sozialwissenschaften haben ihre Essentials, deren Kenntnis für unsere gebildeten Stände recht nützlich sein könnte. Und deshalb sollten Herr Naumann (ZEIT), Herr Piper (Süddeutsche), Herr Hank (FAZ) und all die anderen wohlbestallten Kritiker des Polit-Theaters, ruhig einmal hinhören:

Für die Soziologie gilt, dass in Gesellschaften mit ausgeprägter sozial-ökonomischer Ungleichheit (Segmentierung) und Herrschafts-Eliten ein permanenter Kampf um Machtpositionen, Privilegien, Pfründe stattfindet zwischen Kollektiven, die durch jewweils ähnliche Lebenslagen und –chancen definiert werden. Diese Großgruppen werden Schichten oder Klassen genannt. Das Ganze ist ein äußerst dynamischer Prozess, soziale Auf- und Abstiege finden statt. Das ist schlicht der Normalzustand moderner Gesellschaften; überspitzt gesagt, ein zivilisierter, gezähmter Bürgerkrieg; oder freundlich-liberal: ein ständiger Wettbewerb, sei‘s um Märkte, sei‘s um die Deutungshoheit, sei‘s um politische Macht. Und dies wird auf absehbare Zeit so sein.
Die unzähligen Regulierungen in den Steuer-, Sozial- und Wirtschaftsgesetzen Hartz IV einerseits, Unternehmenssteuer-Senkung andererseits, nur als Beispiel für viele, sind Politiken, welche die Kampfbedingungen der kollektiven Wirtschafts-Subjekte beträchtlich verändern, und damit deren Ausgangspositionen für neue Runden im Ringen um Macht, Privilegien und Pfründe. In einer sich liberal verstehenden Wirtschaft ist permanenter Verteilungs-Kampf von Einzelnen oder Gruppen um möglichst große Stücke am gesamtgesellschaftlichen „Kuchen“ legitim, ja erwünscht. Dabei gibt es kein Machtvakuum. Wo die eine Seite weicht, stößt die gegnerische nach und besetzt das Terrain. **)

Das geschieht auch mit Worten. Unter zivilisierten Verhältnissen sind diese wichtige Waffen im Kampf um Herzen und Köpfe. Wem es gelingt, dem Gegner die Waffen aus der Hand zu winden, hat schon fast gewonnen. Es genügt, zentrale Begriffe umzudefinieren („Reformen“, „Modernisierung“) oder einfach verschwinden zu lassen („Kapitalismus“, „Ausbeutung“) und dafür das eigene Begriffsarsenal einzuführen, um den Kontrahenten geistig wehrlos zu machen.
Mit den vom Gegner übernommenen Begriffen übernehmen die Diskursteilnehmer zugleich sein eingeschränktes Blickfeld auf den Gegenstand. So war es möglich, in einer Talkshow die Moderatorin (es war Sabine Christiansen, die Vorgängerin von „Anne Will“) fragen zu lassen: „Wieviel soziale Gerechtigkeit können wir uns noch leisten?“ und damit mal eben ein Verfassungsprinzip zum Gegenstand von Zweckmäßigkeitserwägungen zu machen

Die „Leistungsträger“ von Banken und Industrie und ihre Lautsprecher in den Medien scheinen ständig die Frage zu erörtern: Wieviel Kapitalismuskritik können wir uns leisten, ja können wir zulassen? Und ihre Reaktionen legen nahe: möglichst wenig.
Unterdessen finden, abseits der Talk-Studios, Diskurse statt in dieser Klassengesellschaft, etwa zu der Frage: Wieviel Kapitalismus können wir uns noch leisten?

*) Ein besonders perfides Beispiel, wie rationale Diskussion durch Diffamierung ersetzt bzw. verhindert werden soll, war ein CDU-Plakat aus den 50er Jahren.
„Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau.“ In Rot und Schwarz liefen
gerade Linien auf einen Horizont zu, hinter dem ein überdimensionaler Kopf
eines Sowjetsoldaten, halb zu sehen, den Betrachter feindselig anstierte.
Die Manipulation bestand darin, den innenpolitischen Gegner mit dem äußeren machtpolitischen Feind gleichzusetzen. Dies verfehlte seine Wirkung nicht, weder beim bundesdeutschen Wahlvolk noch bei der braven staatstragenden SPD, die sich aller anstößigen Elemente von Sozialismus programmatisch (Godesberger Programm ff.) und praktisch entledigte.

**) Im Amerikanischen ist man ehrlicher im Sprachgebrauch. Dort wird
unbefangen von capitalism gesprochen, selbstverständlich positiv konnotiert.
Ehrlich ist auch der oft zitierte Ausspruch des Mega-Investors und -milliardärs
Warren Buffet: „There's class warfare, all right, but it's my class, the rich
that's making war, and we're winning.“ Ehrlich in seinem Zynismus.


© Björn Scherer-Mohr


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Beschreibung des Autors zu "Stell dir vor, es ist Klassenkampf ..."

Ideologiekritk an den herrschenden Medien in der Bundesrepublik.

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