Die Geschichte vom letzten Menschen

© Alf Glocker

„Guten Morgen neue Generation“
„Guten Morgen Birnenkopf“
Ein großes Wesen mit durchgehend schwarzen Augen ohne Iris und Pupille steht vor der Klasse. Es denkt hörbar. Die Klasse antwortet sprechend.

„Heute wollen wir uns noch einmal mit dem Thema `Scheitern durch Humanität` beschäftigen. Dazu sehen wir uns wieder Szenen aus unserem Leitfilm `Der letzte Mensch` an. Vorige Woche hatten wir ja schon seine sozialen Kontakte, vornehmlich die im Gefühls-, respektive die im sexuellen Bereich, kritisch betrachtet und analysiert. Heute wollen wir uns mal anschauen wie es ihm in punkto `Geldverdienen` erging. Was `Geld` ist wissen wir inzwischen auch“.

Auf ein Handzeichen des Birnenkopfs dunkelt das wabenähnliche Zimmer ab. Auf ein weiteres taucht ein kleiner Mensch in der Klasse auf, der etwas zu suchen scheint. Seine Augen wirken verträumt. Irgendetwas ist ihm wohl eingefallen, aber er verdrängt es offensichtlich sofort. Wahrscheinlich hat er keine Zeit.

Eine menschliche Stimme kommentiert den zunächst noch unverständlichen Vorgang – sie gibt gewissermaßen eine Kurzfassung aller in der Projektion vorkommenden Stimmungen ab.
Dann bewegt sich der kleine Mensch offenbar auf eine Arbeitsstelle zu.. Dort soll er in einer Weise gefordert werden, die nicht seinen Anlagen entspricht. Spürbar wird jedoch, daß er es allen „recht“ machen möchte und sich, den andern zuliebe, unterordnet.

„Man kann gut erkennen wie er Konflikte vermeiden will und dadurch in welche gerät“ denkt der Birnenkopf. Seine schwarzen Augen glänzen. Sie Haut auf seinem riesigen, unbehaarten Schädel zuckt ein wenig um die gewaltige Stirn herum und seine Hörfalten weiten sich für einen kurzen Moment.
Die Klasse staunt: „Widerspricht sich das nicht“?
„Die Kreaturen auf eurem alten Planeten wussten es nicht besser. Ihre Logik bezog sich vornehmlich – völlig archaisch – auf das persönliche Überleben. Alle anderen Bedürfnisse hatten sich dem unterzuordnen“.

„Was tut er jetzt“?

„Er geht zum Chef! Er hat sehr viel gearbeitet – `Überstunden` hieß das damals – und nun möchte er eine Belohnung dafür haben“.
Einer aus der Klasse: „Und warum macht er so ein besorgtes Gesicht? Er müsste doch fröhlich sein“.

Die erklärende Stimme veranschaulicht die Gedanken des letzten Menschen. „Er macht sich Sorgen, denn er glaubt daran, ein gutes Verhältnis zu seinem `Vorgesetzten` zu haben und er möchte dieses nicht gefährden“.

Ein anderer Schüler: „So etwas hat es gegeben? Sicher erfahren wir gleich wie unbegründet seine Furcht war“.

„Wir hören den Chef“. Die Gedanken des Birnenkopfs bringen das Durcheinander innerhalb der Schülerschaft wieder auf Kurs.
„Machen sie sich doch keine Sorgen um die Firmenleitung“, meint der Chef (die Gesichter der Schüler strahlen). „Der oberste Boss wohnt in seinem Haus am See, er zahlt keine Steuern, hat zahllose Geliebte, eine große Schar Kinder und mehrere komfortable Limousinen, aber das hat nichts mit ihnen, ja nicht einmal etwas mit uns zu tun. Der Betrieb muss laufen! Verstehen sie das? Irgendwie muss sich die Macht doch lohnen… finden sie nicht? Wozu hätte man sich sonst bemüht?!“

„Ich bemühe mich doch auch“, wendet der Mensch kleinlaut ein.
„Sie verkennen ihre Position! Quod licet jovi, non licet bovi! Wir können ihnen nun mal keine Sondervergütung auszahlen. Im Gegenteil – wenn sie nicht ab nächsten Monat mit einer Gehaltskürzung einverstanden sind – verbunden mit einem höheren Arbeitsaufwand ihrerseits, versteht sich – dann müssen wir ihren Arbeitsplatz leider einsparen“.

Der kleine Mensch guckt mit großen Augen in die schmalen des Chefs. Die Gesichter der Schüler sind grau geworden.

„Natürlich hat er das nicht verstanden“, erklärt die Begleitstimme.
„Seine Seele ist jetzt schwer belastet und er versucht die Sache friedlich aus der Welt zu schaffen. Das war schon seine x-te Nachfrage. Er fühlt den Druck, der auf dem Vorgesetzten lastet und er empfindet mit ihm“.

„Früher gab es auf eurem Ursprungsplaneten Bauernkriege und Aufstände von Leibeigenen“ denkt der Birnenkopf laut.
„Aha“ antwortet die Klasse in Chor.
„Ja, aber dazu kommen wir später, wenn wir in die Vergangenheit eurer Spezies zurückgehen und von dort her eine Entstehungsbeschreibung eurer Gene entwerfen“.

Der Mensch hat inzwischen resümiert und resigniert. Er sucht vorläufig wieder seinen Arbeitsplatz auf. Dort arbeitet er abwesend vor sich hin. Einige verbale Mobbing-Peitschenhiebe der Kollegen schrecken ihn nicht mehr aus seiner beginnenden Lethargie.

Zuhause setzt er sich in seinen Lehnstuhl. Die Welt um ihn beginnt zu kreisen… er weiß, daß er „unbewaffnet“ ist. Vergeblich sucht er nach seinen Ellenbogen. Als er nichts Verwendbares findet schläft er ein.
Am nächsten Morgen ist er krank!

Seinen laufenden Zahlungsverpflichtungen wird er in Zukunft nicht mehr nachkommen können. Ganz wie von selbst, hat sich seine wahre Stärke herauskristallisiert: Er wird an diesem sogenannten „Sozialen Gefüge“ nicht mehr aktiv Anteil nehmen können.
Um ihn wimmelt das Heer der Tüchtigen. Ihr Treiben entwickelt sich zu einem Endergebnis das aus der Dominanz effizienter Überlebensantriebe resultiert. Das Ende naht!

„Und der Unterricht ist für heute beendet“. Ein Lächeln schleicht sich in die kindlich ebenmäßig-schönen und edlen Gesichtszüge des Birnenkopfs.

„Morgen möchte ich dann eure Schlussfolgerungen dazu erfahren…“


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Die Geschichte vom letzten Menschen"

Re: Die Geschichte vom letzten Menschen

Autor: possum   Datum: 26.01.2019 1:11 Uhr

Kommentar: Klasse verfaßt, lieber Alf, da muß ich heut mein Kleinhirn sogleich auf Hochbetrieb bringen, erst mal noch einen Kaffee ...lieber Gruß!

Re: Die Geschichte vom letzten Menschen

Autor: Alf Glocker   Datum: 26.01.2019 10:41 Uhr

Kommentar: Lieber Gruß zurück Possum.
ich danke Dir!

Alf

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