Es morgens um 7. Die Welt ist in Ordnung. Tante Angela macht die Türe zum Kindergarten auf und die Winzlinge strömen herein. Die Zeiger der Uhr stehen auf 7! Die Uhr hat keine anderen Ziffern als die 7… „Aaaachtung!“, brüllt Onkel Thomas, „die Welt ist in Ordnung!“ Onkel Heiko nickt lächelnd mit erhobenem Zeigefinger. Bei ihm schlägt‘s 13!

Da meldet sich Max: „Aber Onkel Thomas, ich habe gestern gesehen, wie…“ „Schweig!!“, brüllt Onkel Heiko, „die Welt ist in Ordnung – hast du das denn nicht begriffen?!“ Max erschrickt und versteckt sich hinter Moritz. Tante Angela aber zeigt sich versöhnlich. Sie deutet auf die Uhr: „Ihr seht doch, es ist 7 Uhr, da muss die Welt wohl in Ordnung sein!“

Jetzt kommt Stimmung in die Bude – zwei Clowns treten auf, Onkel Ralf und Onkel Martin torkeln herein. Beide machen scheußliche Grimassen, die sie für überaus lustig halten. Lieschen Müller fällt in Ohnmacht und die Ohnmacht scheint sich unter den Winzlingen wie ein Lauffeuer zu verbreiten. Jetzt tanzen Onkel Martin und Onkel Ralf auch noch…

Daß es der Veitstanz ist merkt keiner, denn die Winzlinge sind unmündig genug, um auf die allein seligmachende Uhr zu blicken und dort steht ja, klar und deutlich: Es ist sieben Uhr und die Welt ist in Ordnung! „Heute haben wir wieder mal eine Art Unterricht, verkündet Onkel Frank-Walter, wir erzählen euch Märchen und ihr müsst alle das Rotkäppchen spielen.

Wer ganz brav ist darf Hänsel oder Gretel. „Und wenn ich nicht mitspielen möchte?“, ruft ein identitätsloses Kind aus der hintersten Reihe. „Dann bist du ein…(böses Wort). „Was ist das denn?“ fragt Milchmädi (wirklicher Name unbekannt). Das waren deine Großeltern! Gut, daß sie tot sind! Wenn du nochmal fragst bist du auch ein…

Um ganz sicher zu gehen ruft Tante Angela jetzt ein paar weitere Horrorclows herein. Sie tragen schwarze Kutten und sie wirken sehr einschüchternd auf die Kinderschar! Die Mädchen schämen sich, weil ihnen die Clowns erzählen, daß sie von Eva, der Sünderin abstammen. Und die kleinen Jungs türmen aus Vorsicht in die Toiletten. Man weiß…

Nein, man weiß gar nichts, nur, daß es Morgens um 7 und die Welt in Ordnung ist. Über dem Kindergarten braut sich eine tiefschwarze Wolke zusammen… Die Kinder singen ein fröhliches Lied: Zeigt her eure Hirnlein, zeigt her eure Seel‘, wir wollen sie waschen, draus macht man ein Hehl…“ Dann dürfen alle zum Spielen in den Garten. Ein Blitz zuckt.

Die Kinder erschrecken. Der zweite Blitz trifft eines von ihnen. Es ist auf der Stelle tot! „Aaaachtung!!“ , brüllen jetzt alle Onkels und Tanten – die sicherheitshalber im Haus geblieben sind – „die Welt ist in Ordnung!! Die Uhr zeigt Morgens um 7!“ Die Kinder weinen, dürfen aber nicht hinein. „Liebe Tante Angela“, meint das identitätslose Kind, „schau doch bitte!“

Aber Tante Angela lächelt, zusammen mit den lieben Onkels und den Clowns und beruhigt mütterlich die Kleinen: „Was habt ihr denn?- ich sehe nichts!“ „Die Wolken über dem Kindergarten werden immer dunkler!“, heulen Max und Moritz, Lieschen Müller und Milchmädi, deren wirklicher Name unbekannt ist, aber sie werden zurechtgewiesen.

„Wer sagt, daß der Himmel über unserem schönen Kindergarten immer dunkler wird, der ist ein…(böses Wort). Habt ihr das verstanden?“ Der Himmel lacht die Kinder aus – es beginnt zu schütten…es regnet junge Hunde, Schlangen, Gürteltiere, Krokodile, Färberfrösche und zuletzt Tigofanten, Arabesken, Zellofoten und Skandaliten: Armageddon?

Nein, die Uhr im Kindergarten steht auf 7 Uhr. Dabei steht sie gar nicht – es kann auch sein, daß ihre Zeiger sich zwischen 7 Uhr und 7 Uhr befinden. Das ist die Zeit zwischen dem Zustand wo die Welt in Ordnung und wo sie in Ordnung ist. Immer mehr Kinder liegen inzwischen, vom Blitz, oder den Hunden erschlagen auf dem Boden. Das Gras wächst!

Bald ist es über alles gewachsen – und der Vorhang fällt. Das Wetter klart auf, der Vorhang geht wieder hoch und Kasperl betritt die Bühne. Der Kindergarten ist verschwunden. An seine Stelle ist die Welt der Erwachsenen getreten. Tante Angela und ihre guten Onkels hat der Teufel geholt und den verhaut nun der Kasperl nach Strich und Faden!


© Alf Glocker


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