Bericht aus dem Großreich der lebenden Leichen

© Alf Glocker

„la-la-la-la-la-„ sagt Leiche Li und staunt, von seiner 12qm-Luxuswohnung aus die Wolkenkratzer der Umgebung an. „Ha“, sagt La und „le“ sagt Wa, doch Wu ergänzt noch „lu“, dann kommt Ta und meint „ja“. Dabei drängen sich voller Angst die Seelen im Jenseits dicht zusammen und jammern: „Dort wollen wir aber nicht auf die Welt kommen“. Doch das ist gar nicht so einfach, denn 2 von 3 Babys werden ins Großreich der lebenden Leichen geschickt. Der Rest zieht in die Müllhaufen der Haselmenschen und nur ein paar – die auf Erden nicht einmal gerne gesehen sind – geraten, aus Versehen in die Trutzburgen der Binos in Al, wo sie ein Dasein in Luxus frönen können…allerdings nur unter größten Sicherheitsvorkehrungen, denn die Binos in Al sind ständig von allen Seiten bedroht!

„Hi“, sagt Ha und „ho“ sagt ebenfalls "Hi – „heute dürfen wir wieder dem größten Vorsitzenden aller großen Vorsitzenden zur Hand gehen, wir müssen uns sputen!“ Dann geht es im Laufschritt über die Straße, die nur von modernsten Elektroautos befahren wird, in den Betrieb, wo man 14 Stunden für das Wohl des Großreiches arbeiten muss? Nein, kann! Denn vor 50 Jahren mussten die lebenden Leichen noch hungern und wurden oft schnell zu richtig toten Leichen – was aber nichts ausmachte, denn 2 von 3 Babys der Welt kommen im Großreich der lebenden Leichen zur Welt…dort, wo das Leben keine besondere Bedeutung hat – abgesehen von seiner Arbeitsleistung, die es erbringen kann. Dafür bekommt man dann ja auch eine 12 qm-Luxuswohnung!

In der 12qm-Luxuswohnung, mit Etagenklo und Gemeinschaftsdusche auf’m Gang, werden dann, in den paar Freistunden, Kolonisatoren für die überseeischen Provinzen gemacht, Soldaten für die Riesenarmee des Großreiches, Arbeiterinnen für die zahlreichen Fortschrittsfabriken und Bauern auf den verpesteten Feldern, wo die guten Lebensmittel für die Leichen wachsen sollen. Dank einer uralten Verordnung von Annodazumal ist der Regierung jedoch, durch die sogenannte „Einkindehe“ gelungen, die Bevölkerungszahl von 500 Millionen lebenden Leichen, auf 1,5 Milliarden (Tendenz steigend) konstant zu halten. Beim Morgenappell freuen sich alle darüber, während sie stolz die Nationalhymne singen…

„Ha“, sagt No und „ha“ ruft, La, wobei Wi, Wä, und Wau noch ergänzen: „Ha“. Zusammen ergibt das dann „Hahaha“ und ist Ausdruck der großen Freude, im Großreich der Lebenden Leichen, das vom größten Vorsitzenden aller Zeiten weise regiert wird, damit mehr supermoderne Größtstädte, nach dem Muster der Binos aus Al entstehen können, wo eines Tages genug Arbeiter und Soldaten leben werden, denen es dann möglich sein wird, die Ghettos der letzten Binos, im anstehenden 5-Jahresplan der Regierung, die für das Jahr 4724 vorgesehen ist – in Binojahren wäre das 2030 - auszulöschen! Bis dahin gilt es noch fleißig zu sein.

Wenn dann die Welt eines Tages ganz von den lebenden Leichen beherrscht wird, wird alles besser sein. Der Wohnraum pro Familie wird stetig ansteigen und sich schließlich auf 15qm einpendeln. Die Wolkenkratzer werden 1500 Meter hoch sein und es wird genug Arbeiter und Arbeiterinnen geben, die Obstbäume von Hand bestäuben wollen, weil die Bienen ja längst ausgestorben sind. An ihre Stelle sind verantwortungsbewusste Ersatzinsekten getreten, die einem Staatsoberhaupt treuestens ergeben sind. Was will man mehr? Dies wird das Paradies der Werktätigen und der Funktionäre werden und Verbrechen wird es, dank einer, noch von den Binos erfundenen Technik, nicht mehr geben können.

Was dann mit der Vielzahl der Haselmenschen, die ja auch noch auf dem Globus herumlungern, geschieht ist noch nicht entschieden, aber in den Gremien wird bereits heftig darüber nachgedacht. Die Lebenden-Leichen-Funktionäre haben alle Hirnzellen voll zu tun, damit das Ergebnis möglichst endgültig ausfällt. Unterstützt werden sie dabei von den baldigst sogar überall eingesetzten Bio-Robotern, die – ebenfalls, noch in der Bino-Ära angedacht waren und schließlich von Ingenieuren des Großreiches gebaut wurden. Sie haben den absolut relevanten Denkstil, der auf unnötige Gefühle, keinerlei Rücksichten nimmt.

Angedacht sind 24-Stunden Schichten im Unterage-Bergbau, wo die Haselmenschen keine Zeit mehr für unwichtige Lebensaufgaben, wie Fortpflanzung, mehr finden sollen. Die Gebetsteppiche hierfür sind in den Staatsknüpfereien schon vorverknüpft worden, damit sie jederzeit zur Verfügung stehen, sobald sie gebraucht werden sollten. Der größte Vorsitzende aller großen Vorsitzenden hat das Vorurteil abgesegnet, mit den Robotern besprochen und die entsprechenden Frühlingsrollen für die anstehenden Einsätze, an die ausführenden Organe verteilt, die momentan unentwegt ihren späteren Einsatz üben. Hierbei werden sie von den künstlichen Denkanlagen tatkräftig unterstützt.

Die Bio-Roboter sind nach dem Prinzip der total toten Leiche, die aber – in Einzelteilen wohlgemerkt – dennoch lebt, konzipiert und stellen für die obersten Funktionäre, für die Leitung des Staates der lebenden Leichen, Vorbilder für momentan noch unnötigerweise wirklich lebende Kreaturen da, die jedoch schon nicht mehr merken dürfen, daß dem so ist. Sie sind ausersehen eines Tages die Masse derer zu stellen, die den Planeten bewohnen um den menschenähnlichen Wesen wenigstens die schwersten oder auch die wichtigsten Aufgaben in Sachen Entwicklung und Lenkung abzunehmen. Viel ändert sich ja dadurch nicht!


© Alf Glocker


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