Die Farbe der Freiheit

Am vergangenen Wochenende nahm ich an einem Schreib-Workshop teil. Das große Thema: Freiheit.
Als ich diese angekündigte Freiheit zum ersten Mal in der E-Mail las, wollte es mich nicht so richtig packen. "Zu pauschal" dachte ich und"betrifft mich nicht - ich bin ja frei".
Tatsächlich habe ich bei Wikipedia nachlesen müssen, um mir eine engere Vorstellung des Begriffes machen zu können. Ich habe mir vorher kaum Gedanken darum gemacht. Mir war bewusst, das ich das Glück habe, in einer Demokratie zu leben, was eine größtmögliche Freiheit bedeutet. Es fehlte mir die Phantasie mir ein unfreies Leben vorzustellen. Vielleicht war auch nur die Ahnung davon so schrecklich, dass ich einen Versuch niemals wirklich gewagt habe.
Ich war immer frei. Konnte machen was ich wollte und habe das auch immer getan.
In mir lebt ein mächtiger Uranus, ein rebellischer Geist, der es unmöglich macht, mit der Masse zu schwimmen. Immer muss es gegen den Strom sein. Schon aus Protest.

Als Jugendliche hatte ich einen Freund, dessen Vater ein Flugzeug besaß. Das war eine tolle Sache! Ich dachte, dass Fliegen die größte Freiheit überhaupt sei. Aber der Flugverkehr, so lernte ich schnell, ist überall so unglaublich geregelt. Wann darf man starten? Wann landen? Wo fliegen, wohin und wie hoch, wie...?
Nix ist, mit freiem Flug...
Ich las die Geschichte von der Möwe Jonathan. Das Fliegen machte sie nicht nur frei, sondern auch einsam. Ich mag die Geschichte bis heute nicht wirklich.
Die eigene Freiheit endet an den Grenzen der anderen. Da kommt man nicht so weit...
Eine Weile sah ich schwarz für meine Freiheit.

Danach sah ich rot!
Das war die Farbe meiner neuen Freiheit. Eine, die ich nicht wirklich wollte und die mich auch gar nicht frei machte. Eine geradezu erzwungene, ja: aufgezwungene Freiheit.
Ich entschied mich, die Rolle der Ex-Frau einfach nicht zu übernehmen. In dieser Phase änderte sich die Farbe meiner Freiheit zu einem dunklen Violett.
Ich würde die Rolle umdrehen. Ich stieg nirgendwo aus, sondern ließ mich auf Neues ein. Es hieß nicht länger: "Frei sein von...", sondern "frei sein zu....". Von nun an würde ich mir die Freiheit nehmen zu fühlen, zu wünschen, zu wählen und zu nehmen.

Sehnsucht
ist der Anfang
von Freiheit

Heute ist die Farbe meiner Freiheit ein zartes himmelblau, von weißen Wolkenschleiern durchzogen. Kühl und frisch.
Blau ist nicht meine Lieblingsfarbe. Eher ihr Gegenteil. Aber zum Thema Freiheit scheint sie mir jetzt die einzig richtige zu sein.
Der Himmel ist blau und, auch wenn es selten zutrifft, wird dem Meer diese Farbe zugeschrieben. Elemente der Freiheit.
Freiheit hat keine kuschelig warme Schutzfarbe. Für sie muss man viel aufgeben und manchmal ist Einsamkeit der Preis. Und auch die könnte für mich nur hellblau oder weiß sein. Nicht rot oder orange. Nicht mehr.
Freiheit ist kühl und ein wenig unnahbar.
Schon Wasserhähne sind so gekennzeichnet, dass es jeder versteht: rot = heiß und blau = kalt.
Aber zum Aufwachen benutze ich kaltes Wasser. Es erfrischt und öffnet die Augen.
Heute ist meine Freiheit blau.

Und am Ende des Workshops war das Wort dann kein Fremder mehr für mich. Eher ein....Begleiter, mit dem ich mich arrangiere.

Vielleicht ist Freiheit für diejenigen, die sie physisch besitzen, eine Frage der Einstellung.


© Verdichter


14 Lesern gefällt dieser Text.



Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher

Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher

Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher

Unregistrierter Besucher

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Die Farbe der Freiheit"

Re: Die Farbe der Freiheit

Autor: humbalum   Datum: 05.05.2018 0:02 Uhr

Kommentar: Ich habe mich mal in meiner Jugend an die Autobahn gestellt. Mit knapp 900 DM damals. Ich hatte keine Wohnung mehr. Familie hatte ich eh nie. Und am Ende war ich in Sri Lanka. In Kaschmir hat mich eine reiche Familie für Wochen eingeladen. In Indien kam ein Restaurantbesitzer an meinen Tisch. Und alles war umsonst für mich. Und ich war Monate unterwegs. Und hatte immer Glück mit Menschen. Da habe ich meine Freiheit entdeckt. Die Freiheit wie überflüssig Angst ist. Unnötig. Denn der Mensch hat wahnsinnig viel Kraft. Er ist sich dem nur nicht bewusst. Klaus

Re: Die Farbe der Freiheit

Autor: Ezra Ypsilon   Datum: 05.05.2018 12:53 Uhr

Kommentar: Wow, das ist einfach richtig toll! Immer lässt du uns teilhaben an deinem Leben, aber ebenso immer steckt eine Lebensweisheit in deinen Texten, um die dich so mancher beneiden kann.
Ich bin geflasht. Bei dem Thema springe ich leicht mit auf, aber es hat sich auch überaus gelohnt! Kompliment!
Gruß, Ezra Y.

Re: Die Farbe der Freiheit

Autor: Ikka   Datum: 05.05.2018 19:39 Uhr

Kommentar: Liebe Verdichter, nun habe ich dein Essay mit Interesse gelesen und die Schlüsselstelle ist für mich: "Frei sein von ... und frei sein zu ...".
Gruß zum frühen Abend,
Ikka

Kommentar schreiben zu "Die Farbe der Freiheit"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.