Warum halte ich mich auf, wo ich mich aufhalte? Nein, damit meine ich nicht mein Haus, meine Stadt, Mitteleuropa, die Erde, das Sonnensystem, die Milchstraße, den Galaxienhaufen, das Universum, sondern das Jetzt. Hier, im Jetzt, ist es ganz schön unheimlich! Denn das Jetzt ist eine winzige Stelle in meinem Lebenslauf, die sich nicht einmal festhalten lässt.

Es ist wie ein Lichtpunkt auf einem String, wie ein kleines Blitzlicht, im Stroboskopgewitter des Bewusstseins, ein Lichtpunkt, der alles dransetzt mir nicht zu gehören! Warum? Nun, weil ich manchmal sage: „Ich sehe die Zeit folgendermaßen...“. Dann kommt irgendwer, oder auch eine ganze Meute und entgegnet mir: „Du irrst dich“!

Danach frage ich mich ob ich verrückt geworden bin. Sofort teste ich meinen Geisteszustand. Ich mache vielleicht ein dummes Spiel, wie Sodoku, Schach, Mühle, Dame, wer wird Millionär, oder ich versuche eine Liebeserklärung, um mir zu beweisen, daß ich einen Sachverhalt einigermaßen richtig eingeschätzt habe. Doch dann kommen mir schon wieder Zweifel...

Alle meine Bestätigungsversuche basieren entweder auf Routine, oder/und auf Glück, was ganz besonders auf die Liebeserklärung zutrifft, die zwar möglicherweise noch befriedigender ausgehen kann als eine gelöste Schachaufgabe, aber eben nicht muss. Was, frage ich mich, basiert noch auf Routine und/oder auf Glück?

Um dies zu klären führe ich mir die „großen“ Menschen vor Augen, denen ich entweder schon begegnet bin, oder die mir im Schulunterricht Angst und Ehrfurcht eingejagt haben. Leider muss ich dann feststellen, daß sie viel kleiner waren, als ich sie mir vorgestellt hatte. Alle waren sie Kreaturen in einem Jetzt. Auch sie haben versucht, ihre Beobachtungen zu verifizieren...

Wenn überhaupt – manche waren einfach nur „groß“ und sonst leider gar nichts. Und immer wenn das der Fall war, haben sie Leuten wie mir gesagt, daß sie ganz andere Beobachtungen machen, zu ganz anderen Erkenntnissen kommen als die anderen, die an nichts etwas ändern können. Das ist dann für alle zusammengenommen: ein Jetzt!

Das Jetzt steht zwischen Geburt und Tod und es lässt sich nur dadurch, nachweisen, daß man es empfindet – jeder für sich und jeder anders. Es lässt sich, wie gesagt, nicht festhalten, außer man dokumentiert es für sich selbst, mittels Fotografie, Malerei, Schreiben, Erfindungen, eine Zeugung, etc. Dann kann man es der Kritik der anderen aussetzen, die es sehen wollen oder nicht.

An solche Jetzts darf man sich noch einige Zeit , also viele Jetzts lang erinnern (um seine Seele versammeln), durch den Genuss den ES (das jeweilige Jetzt) auslöst, oder durch seinen praktischen Gebrauch...solange es nicht aus der Mode ist. Dadurch verstärkt sich der Eindruck des Ablaufs, aber auch der einer gewissen Unsicherheit, was die Gegenwart angeht.

Denn durch die Vergänglichkeit begreifen wir, daß unsere Eindrücke, was ein Haus, ein Land, eine Erde, ein Sternsystem, einen Galaxienhaufen, oder ein Universum betrifft, rein spezifisch sind, aber keinen endgültigen Beweis für eine Realität zwischen Geburt und Tod darstellen. Realität war nur die gelöste Schachaufgabe, die Liebeserklärung, die „Richtigkeit“ einer Schlussfolgerung, denn das haben wir persönlich erlebt.

Den Ablauf im Ganzen haben die anderen erlebt, die sich einreihen wollten, in die Prozessionen eines Gesamtgeschehens das nichts weiter war, als der Zug der Kinder hinter dem Rattenfänger von Hameln, von X oder Y, von wie es euch gefällt, oder von was ihr wollt. Dieses Jetzt ist identitätslos, menschenunwürdig und eigentlich nicht der Rede wert ( die ohnehin nur wirkungslos im Zeitstrom verhallt).


© Alf Glocker


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