72. Schritt


Ich bin auf der Flucht? Ich bin auf der Flucht! Sprich mich nicht darauf an, ich bin auf der Flucht! Nirgends bin ich lieber als auf der Flucht, denn der Flucht-Weg ist zwar kein Ziel, aber ein Mittel, sich von allen Zielen zu entfernen, die vorgeben welche zu sein, gleichzeitig aber so abschreckend auf ehrliche Menschen wirken, daß es angesichts der Übermacht des Wahnsinns – überall hoch gelobt und laut propagiert als Lebensinhalt – nur die Flucht geben kann.

Was aber ist die Flucht? Straßen fliehen in eine Weite aus Melancholie, in welcher nur Wesen wohnen können die kein Zuhause haben. Stirnen fliehen, einerseits in die Urzeit und andererseits in die Uhrzeit, wo sie nichts finden als eine Neuauflage der Urzeit, oder einen Sinn aus Hammerschlägen, aus der puren Funktion des Seins, als Da-Sein. Ich bin da – und was noch? Nichts weiter! Das muss genügen! Nein, da ist noch was: Ich bin da um das Da-Sein derer zu ermöglichen, die durch mein Dasein verkörperlicht werden können. Die Wissenschaft nennt das „Reproduktion“. Höre ich Hammerschläge? Wie nenne ich das? Sinngebung? Nein, Fluchtgründe! Wenn es nichts weiter geben sollte als den Sinn, anderen zu ermöglichen was mich nicht befriedigt, dann lockt das Weite.

Die unendliche Weite des Weltraums? Nein! Die unermesslichen Möglichkeiten des Geistes? Nein! Das effiziente Eingeengtsein in die Un-Weite der beschränkten Angebote, in die Bereitstellung des Machbaren, das zwar machbar, nicht aber vertretbar ist – dazu fehlt ihm einfach der aufrechte Gang der Dinge.

Hintertürchen sind gefragt! Einmal eingetreten durch die Hauptportale der Mausefallen, des Specks oder Käsestückchens ansichtig geworden und den Schnappmechanismus erkannt, bricht einem der Schweiß aus, wenn man nicht sehr mutig ist. Selbstverständlich könnte man jetzt sagen: „Wo ist die Verantwortung, also, wo ist das Klavier, damit ich sie/es tragen kann?“ Dann wäre man ein Held! (Oder die manifestierte Einfalt?) Auf jeden Fall wäre man integriert ins All, ohne zu wissen wie es beschaffen ist… Aber darin liegt ja das offene Geheimnis!

Zieh deine Kreise und bleib in der Bahn! Wage es nicht auszuscheren! Man wird entweder deinen Vogel für frei erklären und dich jagen wo man dich trifft, oder du begreifst, daß du bereits auf der Flucht bist und setzt deinen Weg total beirrt fort. Dann ist die Flucht dein Mantel geworden, der dich immer solange warm hält wie du in Bewegung bleibst. Wenn du stehenbleibst, einschläfst droht der Tod durch Erfrieren! Die Blicke werden dich treffen und dich vereisen, denn du bist eine Salz-Eule!

Das Salz des Lebens und die Weisheit in Person, du bist dir kein Anfang und kein Ende der Flucht wird jemals in Sicht kommen. Darum bemühe dich nicht ganz genau zu verstehen warum du fliehst. Du müsstest es dir immer nur so erklären: „Weil ich nicht stark genug bin die Launen des Schicksals zu ertragen“. Den Tyrannen kann ich nicht ermorden, dem Kaiser kaum geben, was des Kaisers ist und was Gottes ist habe ich noch nicht zweifelsfrei herausfinden können“.

Wüsste ich, daß es etwas anderes ist als die Flucht, dann würde ich nicht mehr in Betrachtungen versinken, die einerseits von meinem Standpunkt und andererseits von meinem Charakter abhängen. Ich würde einfach vergehen, mich auflösen in der ursprünglichsten aller Ideen und dem Sein oder dem Nichtsein, im Nichtvorhanden-Vorhandenen, irgendwo zwischen den Zeiten, den An- und Absichten, dem Materiellen, dem Immateriellen, kurz: dem tiefen Begreifen ohne äußere Form. Wohin würde ich dann wohl fliehen? Zurück in die Zu-Flucht?

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: axel c. englert   Datum: 07.03.2015 10:07 Uhr

Kommentar: An jeder Ecke "Fluchtweg" steht -
Keiner weiß, wohin (d)er geht...

LG Axel

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: Alf Glocker   Datum: 07.03.2015 11:40 Uhr

Kommentar: hoffentlich nach Rom...

LG Alf

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