71. Schritt


Was ich will ist leicht zu definieren? Diese Antwort stimmt nur, wenn ich es nicht weiß! Denn dann lasse ich mich treiben, dann finde ich meine Bestimmung auf einem Pilgerweg, in einem Wallfahrtsort, in einer politischen Partei, in der Ehe, am Fließband, an der Front, in einem Selbstmordattentat – wonach mir der Sinn grade steht.

Sollte ich aber fatalerweise recht genau wissen was will – ein Leben in Wohlstand, Toleranz, Unabhängigkeit und dem Drang danach die Wahrheit/das Leben zu ergründen – dann wird’s schon schwierig. Sofort stehe ich irgendwelchen Arschlöchern im Weg!

Wen interessiert denn die Wahrheit des Lebens, der Hintergrund allen Seins, wenn man vordergründig schlicht und ergreifend, Gewinne machen kann? Schließlich möchte man Atomkraftwerke betreiben, Seelen zum „einzigen wahren Glauben“ bekehren, hohe Absatzzahlen erreichen, die Ungläubigen zurückdrängen, mit Aktien spekulieren, Kinder haben – eben alles erreichen wodurch man sich, seinen Trieb, seinen Geiz oder seine Instinkte befriedigen kann.

Also lautet die einzige gleichermaßen „vernünftige“ wie auch „unvernünftige“ Antwort des Denkers darauf: „Wie kann ich dem allem aus dem Weg gehen?“ Das ist zwar eine Frage, aber das einzige was einem einfallen kann, sobald man über die Konsequenzen aus diesen Ansprüchen nachgrübelt. Man muss nichtmal grübeln. Dem Philosophen impft diese Frage schon das Bauchgefühl ein, das mulmig und nicht auszuhalten ist, angesichts der überall verdeckt lauernden Gefahren.

Nachdem, aus den oben bereits genannten Gründen, jedwede Unterstützung vonseiten der Staatswesen generell ausbleibt, damit die vorrangig primitiven Beweggründe gar nicht erst in Schwierigkeiten geraten, ist der selbständig Denkende gezwungen auf Hilfen zu verzichten und experimentelle, eigene Wege zu gehen. Hierbei lautet die erste Aufgabe: Wie finde ich heraus wie sich meine inneren Ansprüche mit den, von außen kommenden Forderungen vereinbaren lassen.

Wenn ich ausschließlich tarnen und täuschen muss, um beispielsweise Liebe zu erhalten, oder mich sklavisch untergebe, weil ich essen möchte, dann kann es gut sein, daß irgendwas in mir (und sei es der aufrechte Charakter) einfach zu Protokoll gibt: „Ihr könnt mich allesamt mal kreuzweise, halbmondförmig, oder fett lächelnd am Arsch lecken!“ Das ist auf die Dauer unerträglich – zumindest für einen ehrlichen Menschen (und nur ehrliche Menschen sind für mich wirklich Menschen!). Über Kreaturen, die, dem Überlebenswillen folgend, andere bis aufs Blut ausbeuten, rede ich vorsichtshalber überhaupt nicht.

Immerhin vergeht gewöhnlich, bei nicht Frühreifen, einige Zeit, bis dies endlich herausgefunden wird. Bei mir hat es lange gedauert! Ich bin aber auch nicht helle genug um alles sofort zu wissen…

Endlich jedoch am neuralgischen Punkt der Erkenntnis, der Erfahrungen angelangt, kommt das eigentliche Problem in Sicht. Vor allem wahrscheinlich wieder hauptsächlich bei mir. Denn, ich kann so alt werden wie ich will, wirklich vernünftig werde ich nicht. Ich bleibe was und wie ich bin: naiv! Dieser Umstand täuscht jedoch nicht völlig über die Tatsache hinweg, daß etwas anderes als immer nur der Aufrechte Charakter, alle Erlebnisse und Ergebnisse für mich wertet. Das geschieht ganz von selbst und ist von einer – außerhalb meines Charakters und meiner Sensibilität liegenden – Analyse abhängig, die sich im abstrakt-sachlichen funktionierenden Teil meines Gehirns vollzieht.

Nun, nachdem „Es“ vollbracht ist, dieses Ent-Tarnen und Ent-Täuschen, braucht der aktive Geist zumindest geschickte Ausreden, solange er weitermachen möchte. Es reicht also nicht zu sagen: „Aufgrund meiner bis hierhin angewandten Schläue (die vielleicht gar keine war?), konnte ich essen, lieben, Güter erwerben“. Man müsste einfach hinzufügen können: „Es ist mir gelungen mich verständlich zu machen, ich wurde akzeptiert wie ich bin, nicht wie mich die andern gerne hätten, oder der List entsprechend mit der ich sie übertölpeln konnte“.

Daß der Wahnsinn auf alles eine passende Antwort hat, ist nicht nur der Grund für Überbevölkerung, für Glaubenskriege, für Umweltverschmutzung, für himmelschreiende soziale Unterschiede, sondern darf einem Menschen (wir erinnern uns: nur ehrliche Menschen sind…) nicht genug sein. Vor die Alternative gestellt „ Finde dich damit einfach ab, oder krepiere“, muss er wohl in eine dritte Möglichkeit ausweichen – in die Verachtung! In die Verachtung dessen, was nicht versteht, nicht verstehen kann, weil sein Denken mental gefärbt ist, in Glaubensstrukturen gefangen, oder von Hammerschlägen – stellvertretend für alle praktischen Tätigkeiten – völlig vereinnahmt wurde. Das ist zwar vordergründig betrachtet intolerant und ungerecht, aber letztendlich die einzige Möglichkeit für einen Menschen sich selbst auch einmal in Schutz zu nehmen!

Und dies sei hier, in aller Deutlichkeit gesagt: Auch Menschen verdienen einen Artenschutz! Sie haben zwar keine Lobby und der Wahnsinn bedroht sie übermächtig – aber was ist wenn sie aussterben?

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: axel c. englert   Datum: 07.03.2015 10:00 Uhr

Kommentar: Der Artenschutz tut wirklich not -
Sonst droht der ganzen Art der Tod!

LG Axel

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Autor: Alf Glocker   Datum: 07.03.2015 11:39 Uhr

Kommentar: Ja, daß dasss niemand sieht (außer uns)

LG Alf

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