Wie beginnt man über etwas zu schreiben, was einen in Träumen quält, in Gedanken verbittert und im Alltag verfolgt? Wie beginnen mit etwas, das man mit Beschwertem in die tiefsten Abgründe des Seins warf, in der Hoffnung, dass es nie eine Erinnerung hinauf schafft, tatsächlich aber so viel nützt, wie ein durchlöchertes Floß in den Wellen des Meeres? Wie das Unaussprechbare ausdrücken, wenn dass Unausdrückbare nicht auszusprechen ist? Wie ist es zu beschreiben, den Moment, an dem alles still steht, an dem ein kleines, tinitusartiges Geräusch die ganze Welt zum Schweigen bringt, der Moment an dem dir gesagt wird, dass er gestorben ist. Was fühlt man in diesem Moment? Leere. Ein Nichts aus nichts. Taub, starr, stumpf, wie eine Hülle ohne schützbarem Inhalt, so als fiele die Seele für einen Sekundenbruchteil aus dem Körper, um sich im nächsten Augenblick wieder reinzupressen und eine schwarze Fäulnis sich über sie herzumachen scheint und sie mit einem undefinierbarem Leid vergiftet. Wie kann die Stimme, die mir noch die Woche zuvor sagte, dass sie mich liebe auf einmal für immer schweigen, wie ist es möglich, dass der Körper, der mich tausende Male umarmte jetzt in einem Loch liegt und dort ein lebloser Teil der Natur geworden ist. Tücher trocknen diese Tränen nicht - nichts trocknet sie.
Was jetzt ist, dass nenn' ich Seelenleid;
kann nicht sprechen, denn die Kehle streikt.
Nur immer wieder im Weinen: ich vermisse dich;
seh' dich neben mir, doch du bist'es nicht.
Bin alleine, füll' ganze Bäche mit Tränen;
darf niemand von dieser Schwäche erzählen.
Kann mich nicht halten, bin kraft-los und schwer;
Spiegelbild meiner Augen schwach, rot und leer.
Wie geht man also um, mit dem was so natürlich für das Alles aber so fürchterlich für ein Einziges ist? Es verdrängen und so weiter leben, so als gäbe es diese Nachricht nicht, so als hätte man sie verschlafen und ist erst danach aufgestanden, wie jeden morgen auch. Die Welt macht es doch auch nicht anders. Sie dreht sich weiter, es schneit, wie die Tage zuvor auch, die Welt arbeitet, sie lacht, sie lebt. Das ein Teil von ihr gestorben ist, bemerkt sie nicht, nur der Teil, der des Verstorbenen, der weiter lebt, lebt nicht mehr weiter, wie die Welt es tut. Man ist isoliert, gefangen in einer Ballon, indem Trance der Sauerstoff zum atmen ist. Die Außenwelt ist so weit entfernt vom Mittelpunkt der Seele. Ist es nun der richtige Weg, zu verdrängen, zu ignorieren – wer weiß das? Ich nicht! Ich weiß nur, es ist mein Weg. Alles bleibt so wie es ist, es ändert sich nichts. Wähle deine Nummer und lege wieder auf, weil sie inaktiv ist. Doch löschen tu ich sie nicht. Wie könnte ich auch, es ist einer der letzten Dinge, die ich von dir habe. Man sieht, es geht nicht, es ist nicht ignorierbar, was man zu vergessen versucht. Es kommt immer wieder, immer wenn man Bekannten-Fragen nach seinem Wohlbefinden mit „gut gut“ beantworten muss, es einfach runter schluckt, statt ihnen zu sagen was passiert ist, um sich nicht noch mehr damit beschäftigen zu müssen. Man ist überfordert mit dieser einen einzigen Frage, nun stelle dir vor hinter ihr warten Millionen von eigenen, mit dem Verlangen nach einer Antwort - wie die Frage, warum in einem ein grausamer Selbsthass aufzieht, jedes Mal wenn man lacht und für einen kurzen Moment alles vergisst. Es fühlt sich an wie die Strafe des Lachens, wenn die Erinnerung wie ein Bumerang zurück kommt und dir mit einer unfassbaren Brutalität ins Gesicht klatscht.
Ich seh' dich nicht mehr – nie wieder;
du lebst weiter in meinen Gedichten, Texten und Lieder.
Laufe, hör dich hinter mir rufen;
dreh mich um, keiner da - ich fang' an dich zu suchen.
Ich muss dich finden, kann nicht verschnaufen;
wo bist du? Wo bin ich? Hab mich verlaufen.
Merke du bist weg, die Seele sinkt nieder;
ich seh' dich nicht mehr – nie wieder.
Was tun also, mit solch einer Situation, die einem auf eindrücklichster Weise zeigt, wie viel Kontrolle wir wirklich über unser eigenes Leben haben? Die guten Tugenden des Menschen in uns weiter leben zu lassen, ihm seine Fehler zu verzeihen, sich an positiven Erinnerungen erfreuen, auch wenn es einen zu gleich Tränen in die Augen presst? Wie umgehen mit den Schuldgefühlen wegen den kleinen und den großen Streitigkeiten? Wie umgehen mit dem Schwarm an Fragen, welche nie ihr Ziel erreichen werden, so als wären sie Vögel, denen man die Flügel abschnitt. Wie umgehen mit den eigenen Fehlern und dem Unrecht gegenüber dem Menschen - wie diese Schuld ablegen? Wie? Wie?
Doch haben wir in unsere aufgeklärten und zivilisierten Gesellschaft vielleicht auch nur ein falsches Bild vom Tod? Alles wird angesprochen, diskutiert und breitgeschlagen doch über das, was uns alle eines früheren oder späteren Tages ereilen wird, spricht niemand. Sind es gesellschaftliche Kollektivängste, die uns hindern, den Tod auszusprechen? Ist unser Bild vielleicht nur verzerrt und unser aller Schicksal ist nicht das Böse, Traurige, nur sind wir viel zu weit im Meer, um das Land zu sehen? „Ich zweifele keinen einzigen Augenblick, dass wenn ich in die Ewigkeit eingehe, ich ein Lächeln auf den Lippen haben werde“, sagte Nelson Mandela. Ist dies nicht die Route, auf die wir uns wagen sollten? Schließlich ist dies hier nur der Wartesaal der Ewigkeit. Warum also daran mit allen Mitteln festhalten, wartet hinter dem Saal doch...
Was wartet nun hinter der riesigen Tür? Ein Abgrund? Die Hölle? Das Paradies? Oder Nichts? Für einen Gottergebenen fällt erst- und letztgenanntes schon weg. Also noch einmal die Frage, was wartet hinter dieser Tür, das Paradies, das Ziel jeder Seele? Doch warum die Klagen darüber, dass einer fortgegangen ist, wenn das Paradies auf ihn wartet? Sollte man sich nicht für ihn freuen, vorausgesetzt er war ein Diener unseres barmherzigen Gottes, dass er nun im Paradies ist, welches aus Gärten besteht, wo hindurch Bäche fließen und wo er für immer verweilen wird (Sure 9:72). Darf man ihm das vergönnen, nur weil man sich so sehr an dieses zeitlich begrenzte Leben festhält. Und wie sähe die Welt denn aus, sterbe niemand mehr von jetzt an. Sie würde immer voller werden, das Elend würde sich immer mehr ausbreiten, Menschen würden stundenlang aufeinander schießen und einschlagen, bis die letzte Pfütze Wasser, um die sie sich bekriegen verdunstet. Alles gerät aus dem Gleichgewicht. Es ist also ein natürlicher Prozess, dass Menschen sterben, damit neue Menschen geboren werden können. Unsere Eltern sterben, damit wir unsere Kinder gebären können. Eines Tages sterben wir, damit deren Kinder einen Fleck auf dieser Erde für sich beanspruchen dürfen. Es ist von Gott gegeben. Für das Kollektiv so selbstverständlich, für das Individuum so grauenvoll.
Was bleibt also übrig? Versuchen durchzukommen durch diese Zeit, die Wunden zu Narben entwickeln lassen und die Narben im Gesicht versuchen zu akzeptieren - und beten. Mir sagte mal jemand, dass du mit jedem Gebet, welches du für einen Toten machst, ihm im Paradies ein Stein für sein Haus schenkst. Wenn dem so ist, wenn dem wirklich so ist, wie diese Person mir sagte, so schenke ich euch jeden Monat ein Palast lieber du, liebe du.
Versuche Am Tag Es Runterzuschlucken;
(was) Mich Unter Totaler Tristes Ermahnt Runterzugucken.

David der Krieger


© David der Krieger


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Kommentare zu "Für dich und dich"

Re: Für dich und dich

Autor: Ree   Datum: 24.04.2014 19:17 Uhr

Kommentar: Die Sprache liebt dich, David. :)

Re: Für dich und dich

Autor: noé   Datum: 25.04.2014 3:06 Uhr

Kommentar: Was für ein ergreifender, aufwühlender Text! Und er gibt millimetergenau wieder, was mir alles durch den Kopf ging, als mein Mann seinen letzten Atemzug getan hatte und ich nicht glauben wollte, dass kein weiterer folgen würde.
Und dennoch ist er ins Licht gegangen...
Von Herzen Dank, Dir, für diesen Text! Ree spricht Wahrheit!
noé

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