Alltag

6:00 Uhr BUMM! Ein lauter Knall reißt dich jäh aus dem Schlaf. Benommen versuchst du, dieses „Bumm“ einzuordnen: Gasexplosion, Dritter Weltkrieg?? Bevor du noch zu Ende denken kannst, tönt ein lautes „Mama, das Flugzeug ist abgestürzt!“ aus dem Kinderzimmer. Flugzeug?!? Die Tatsache, dass dein Kleines gar kein Spielzeugflugzeug besitzt, läßt dich Böses ahnen. 'Will ich jetzt wirklich nachschauen gehen?', fragst du dich noch unentschlossen, als der Lieblingsnachwuchs mit dem nagelneuen CD-Player das Zimmer stürmt- zumindest mit dessen Überresten. 'OK, es ist zu früh zum Aufregen. Erst mal nen Kaffee und wachwerden...' Noch nicht ganz zu Ende gedacht, macht sich ein kleiner Chaos-Teufel daran, dein Nähschränkchen nach brauchbaren CD-Player-Ersatzteilen zu durchforsten. Vorsichtig manövrierst du dich durch verstreute Nadeln, Knöpfe und Aufnäher, um vielleicht doch noch Schlimmeres zu verhindern. Zu spät!!! Mit lautem Getöse ergießen sich Stecknadeln, Scheren und endlose Nähgarnrollen über den Kopf deines Lieblings. Einen Wutausbruch unterdrückend klemmst du ihn dir unter den Arm und bahnst dir einen Weg ins Kinderzimmer. Kaum die Tür geöffnet, trifft dich der Schlag. Der gesamte Inhalt des Kleiderschrankes lacht dir vom Zimmerboden entgegen. „Mama, ich habe mir heute ganz alleine was zum Anziehen gesucht!“, verkündet dein Nachwuchs stolz. 'OK!', denkst du dir,'Selbständigkeit ist gut. Ordnung lernen wir noch.'


Auf diesen Schreck erst einmal ein anständiges Frühstück! Benommen machst du dir einen Kaffee und ein Brötchen. Noch genüßlich kauend und vor dich hinstarrend bemerkst du aus den Augenwinkeln, dass dein Großer vom Brötchenschmieren dazu übergegangen ist, Marmeladen-Nutella-Kunstwerke auf den Küchentisch zu zaubern. Als erzieherische Maßnahme drückst du ihm einen Lappen in die Hand:“Selber sauber machen!“ Dieser Vorschlag findet großen Anklang. Sogar so großen, dass nach getaner Arbeit auch gleich noch die Tapete, der frisch gebackene Kuchen für Oma und die Kindergartenpapiere einer gründlichen Reinigung unterzogen werden. Langsam fragst du dich ernsthaft, wie dick das Nervenkostüm einer durchschnittlichen Mutter eigentlich sein muß...

Aber jetzt erst einmal waschen, anziehen und ab in den Kindergarten! Wieder zu Hause betrachtest du dir das Chaos eingehend. Merkwürdig ruhig gerade! Irgendwie falsch, als ob etwas Wichtiges fehlen würde. Dir kommen die strahlenden Augen und das ausgelassene Quitschen in den Sinn, wenn dein Nachwuchs mal wieder erfolgreich Unsinn ausgeheckt hat; die endlosen Vorträge über scheinbar Alltägliches, bei denen du immer wieder erstaunliche Dinge erfährst und die liebevollen Umarmungen, die dich allmorgendlich beim Abschied begleiten – und dann weißt du es: hier fehlt die Seele des Hauses. Jede Minute mit deinem Kind, jedes „Mama, ich hab dich lieb“ wiegt alles Chaos tausendfach auf.


© Melanie Nagel, 2012


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Kommentare zu "Alltag mit Kind"

Re: Alltag mit Kind

Autor: noé   Datum: 27.06.2014 19:07 Uhr

Kommentar: Sehr wahr!
noé

Re: Alltag mit Kind

Autor: Uwe   Datum: 29.09.2014 9:18 Uhr

Kommentar: Und nicht lustig - aber sehr lustig geschrieben.

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