68 liefen wir, Studenten und andere, durch Westberlin
und riefen nach Ho-Tschi-Minh, einem vietnamesischen Diktator.
Einmal wurden Zeitungswagen angezündet, die liberale Presse galt
in Reden als unentschieden, schwächlich, "scheißliberal" und die auflagenstärksten Zeitungen in der Stadt nannten Sprecher "faschistisch", wenn ich mich recht erinnere.
Zeitungwagen brannten in einer Nacht.
Diese Demonstrationen liefen viele Jahre lang, glaube ich.
Sie fanden statt im ummauerten Westberlin, dass de jure von den Besatzungsmächten
regiert wurde.
Wir testeten also unsere Meinungsfreiheit aus. Liefen, trugen Plakate , schwenkten Fahnen . Ich trug einmal die Fahne der Vietkon zu meinem Balkon. Da wehte sie eine Stunde. Dann beschwerte sich die Portierfrau bei mir.
Die Berichterstattung der Zeitungen und des Fernsehens stärkte mein Mitleid mit den Vietnamesen.
Die kaltblütige und mörderische Kriegsführung und Foltertechniken der nordvietnamesischen Verbände, die sich südvietnamesische Befreiungsfront nannten,
gegen Andersdenkende,erreichte mich durch meine Zeitungslektüren nicht. In der "Welt" wurde darüber berichtet, doch die las ich damals nicht mehr.

.

Die Dresdner Demonstranten, alle, erinnern mich an die 68. Auch sie probieren vielleicht die Grenzen ihrer Meinungsfreiheit aus- solange sie friedlich bleiben und reden. Jenseits davon öffnen sich die Abgründe des Strafrechts, denke ich oft .Auch dies wurde zu den 68igern gesagt. Diese Grenzen werden von Anfängern gerne unterschätzt.
Gewalt gab es viel mit den 68igern.
Auch die heutige Nazikultur, die sich jetzt gerade friedlich gibt,in Dresden, hat schon viele Menschen in Städtchen und Dörfern zerschlagen.
Ausländer wurden gehetzt, Kranke und Arme, sowie antiautoritäre Menschen,
ohne bürgerliches Outfit, soviel ich mitbekommen habe.
Das Ausprobieren bürgerlicher Freiheiten, gegen Widerstand, scheint mir in Dresden im Vordergrund zu stehen, so verstehe ich die Leute. Kälte und Haß in den Worten
gab es auch schon 68.
Das analytische Denken war damals bei mir noch nicht Pflicht bei den Tatsachenwahrnehmungen. Eher erinnere ich mich an das Ausleben von Gefühlen,
von Übermut und Lebensfreude. Ich erinnere mich auch an das Weglaufen vor dem Arbeiten.
Westberlin und auch Ostberlin- in meiner Erinnerung, wirkten abgeschlossen wie Einmachgefäße auf mich, in dem das analytische, tatsachenbezogene Denken unzeitgemäß galt, aber allerlei dialektische Denkangebote aus Gewaltherrschaften in Vietnam und in Ostberlin Hoffnungsträger einer Utopie zu machen suchten.
Es gab sehr viel Wortangebote, sexistische, politische die mir bewußt wurden oder unbewußt blieben. Wortschwaden, geile Sprüche und das gekonnte Zerstören von Beziehungen.
Erst nach 89 konnte ich mir Dank der Stasiakten einen Reim auf viele meiner Schwierigkeiten beim Lernen und Konzentrieren machen. Aber das Erstauen über meine Denkschwächen damals bleibt mir bis zum heitigen Tag erhalten.

Vielleicht geht es ja manchen Dresdnern ähnlich, unter schwarz-rot-gold und "Lügenpresserufen". Die muslimische Gefahr? 68 hieß sie Imperialismus!


© hartmut


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