Er lag neben mir, murmelte Sätze mit „Schlaf“, „Liebe“, „Nacht“.
Ich hörte ihn nicht, war taub. Das zuvor Gesprochene hatte mir genug gesagt. Es war dunkel. Durch den Spalt des angekippten Fensters konnte ich den Nachthimmel sehen, versuchte seine Farbe zu erkennen. Die Wolken, in denen sich die Lichter der Stadt zu spiegeln schienen, waren sie grau? Waren sie gelb? Oder braun? Es gab für diese Farbe wohl noch keinen Namen. Ich nannte sie okund.
Er lag neben mir, sagte kein Wort mehr, schlief vielleicht schon.
Zwischen dem Okund sah ich den Himmel. Als würde er zerrissene Wolkenkleider tragen. War er schwarz? War er blau? Gab es für diese Farbe einen Namen? Wenn es ihn gab, so kannte ich ihn nicht. In dieser Nacht trug die Farbe des Himmels den Namen Ruvent.
Er lag neben mir, atmete ruhig, schien zu träumen.
Durch den Fensterspalt, zwischen okund und ruvent blinzelte mir ein einzelner Stern zu. Er zwinkerte in weiß, blau, rot. Er verschwand zwischen den Wolken, tauchte wieder auf, blinzelte weiter. Welche Farbe er hatte? Tiral.
Er lag neben mir, schlief nicht, stand auf. Er schloss das Fenster. Okund, ruvent, tiral verschwanden hinter der Jalousie. Er gab mir einen Kuss, legte sich neben mich, nahm meine Hand. Ich schloss die Augen.


© Molly Landré


2 Lesern gefällt dieser Text.



Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Welche Farben hat die Nacht?"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Welche Farben hat die Nacht?"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.