über die Kallias-Briefe von Schiller (Zeitschrift)

In den Kallias-Briefen beschäftigte sich Schiller mit theoretischen Reflexionen, in denen er den Inhalt des Ästhetischen als auch das Wesen von ästhetischen Hervorbringungen begreifen wollte. Da die ästhetische Theorie seiner Form nach keine systematisch verfasste Programmschrift ist, sondern uns viel eher eine Pluralität an Begriffbestimmungen bietet, ist sein Denken mit Bezug auf das Ästhetische, welches die unterschiedlichen Begriffe mit denen wir das Schöne verstehen wollen, ein dynamisches und vielschichtiges Denken, welches versucht die Bedeutungen, sowie das sich modifizierende Auf-Einander-Bezogen-Sein erkenntlich zu machen.

An Goethe hatte er einmal geschrieben, dass er nur eine kleine Familie an Begriffen habe. Dieser Umstand hinderte ihn jedoch nicht daran, die vorhandenen Begriffe stets neu auf einander zu beziehen und sie somit zu neuen Sinnverbindungen zu verknüpfen. Wir können z.B. bei Ihm lesen: „Die Schönheit ist nur die Form einer Form.“ „Schönheit also ist nichts anderes, als Freiheit in der Erscheinung.“ „Schönheit ist eine objektive Eigenschaft der Dinge.“ „Schön also heißt eine Form, die sich selbst erklärt.“ „Schönheit ist Natur in der Kunstmäßigkeit.“

Schiller will nicht wie Kant, die Art und Weise untersuchen, wie wir durch eine erkenntniskritische Betrachtung unseres ästhetischen Urteilsvermögens die Schönheit von Kunstwerken in Begriffe bannen, um dadurch sowohl verbindliche als auch allgemeingültige Geschmacksurteile mit Bezug auf das Ästhetische versprachlichen zu können. Es scheint ihm vielmehr eine innere Pflicht zu sein, mithilfe der von Kant verwendeten Begriffe, den ästhetischen Blick für die Schönheit des Dargestellten zu erweitern.
Und so eröffnet er: die Perspektive der sinnlichen Objektivität.

In den Briefen an seinen Freund Körner will er nicht die reflexive Urteilfähigkeit durchleuchtet, wie wir das Schöne als Schönes begrifflich bewerten, auch betreibt er keine „Rehabilitierung der Sinnlichkeit“ als eine Möglichkeit zur Erkenntnisgewinnung, sondern wendet er sein theoretisches Auge auf die inneren Gesetzmäßigkeiten für das Schöne und die Schönheit an sich. Dafür formuliert er theoretische Bestimmungen der vielfältigsten Art, was der angeschauten Form nach als ein grundlegend gelungenes, aus sich selbst heraus bestimmtes und ästhetisch gebildetes Kunstwerk anerkannt werden kann. Es ist keine definitorische Theorie von Begriffsinhalten, bei der gleichsam dasjenige, was er zu bestimmen versucht, in den Begriffen wie eingesperrt bleibt, sondern unterliegen sämtliche markanten Begriffe, die er in seiner Argumentationsstruktur verwendet (wie der Begriff der Schönheit, der Vernunft, der Natur und der Kunst) einer in den Briefen passierenden ständigen Neudeutung, wodurch er die Begriffe gewissermaßen aus ihrer statischen Semantik befreit und mithin dynamisiert.

„Nun hat Kant darin offenbar recht, dass er sagt, das Schöne gefalle ohne Begriff.“

Doch wenn wir etwas als etwas Schönes beurteilen, präferiert Kant ein Urteil mit Bezug auf das Ästhetische aus der Distanz heraus, d.h. er will in seinem Geschmacksurteil nicht in der Sache selbst sein, (Inter-esse = lat.: dazwischen sein, dabei sein, Zwischen-der-Sache-Sein) sondern genügt ihm ein von außen betrachtendes „interesseloses Wohlgefallen“, um beurteilen zu können, was als schön und was als nicht schön gelten könne. So schreibt Kant: „Man muss nicht im Mindesten für die Existenz der Sache eingenommen, sondern in diesem Betracht ganz gleichgültig sein, um in Sachen des Geschmacks den Richter zu spielen.“

Zwar legitimiert Schiller die kantische Einsicht, dass der primäre Bestimmungsgrund für ein ästhetisches Urteil das Empfindungsvermögen sei, will sich aber von dem kantischen Subjektivismus weitestgehend trennen, um den subjektiven Blick für die Objektivität von sinnlich wohlgeformten und ästhetisch anmutsvollen Kunstschönheiten zu schärfen. Schiller nimmt gegenüber Kant die Binnenperspektive künstlerischer Schönheitsbildung ein und er urteilt aus der Erfahrung selbsttätiger Kunstproduktion. Kant hat lediglich den kühlen und kognitiven Blick eines Kritikers, eines Kunstrichters und nicht den eines selbst praktizierendes Kunstschaffenden. Schiller philosophiert in seinen ästhetischen Reflexionen mit dem erfahrenen Blick eines Künstlers, der sowohl auf die formalen Bedingungen als auch auf die Wirkung ästhetischer Werke achtet. Kant hingegen ist durch und durch Verstandesmensch, abstrahierend, generalisierend und partiell unästhetisch.

Das Schöne hingegen wird primär nicht erkannt, sondern sinnlich wahrgenommen empfangen und empfunden.

Signifikant für das weitere Verständnis der Argumentation von Schiller ist die Relation von Vernunft und Natur. Alle Vernunftswesen handeln aus ihrer Vernunft heraus. Alle Naturwesen handeln aus ihrer Natur. Allerdings sieht Schiller bereits, dass bei einigen Naturlebewesen eine gewisse Art von Vernunft, d.h. eine natürliche Vernunftsähnlichkeit wirksam ist. Und weil bei ihm Vernunft und Freiheit eng zusammen gedacht werden, schreibt er den Lebewesen in der Natur eine Art Freiheitsähnlichkeit zu. Und so schrieb er:

„Freiheit in der Erscheinung ist eins mit der Schönheit.“
Diese Schönheitsdefinition können wir sowohl auf die Naturkörper als auch auf die unterschiedlichsten Kunstkörper übertragen. Wenn das ästhetisch zu beurteilende Objekt den Eindruck evoziert, dass es aus sich selbst heraus so geworden ist, wie es tatsächlich in seiner Erscheinung sich dem wahrnehmenden Bewusstsein präsentiert, dann vermittelt sich der Anschein, dass uns etwas begegnet, was die zwei Determinationsgrößen, wie Natur und Vernunft harmonisieren konnte. Es entwickelte sich somit eine Symbiose, eine Zusammenwirkung, von diesen beiden Einflüssen, welche auf die Lebewesen einwirken, eine gemeinsam miteinander seiende und wechselwirkende Relation, eine die Einseitigkeit verlassende Emanzipation.

Jedes gute Werk, das einen ästhetischen Wert verkörpert, hat ebenso eine Wirkung auf unser Gefühlsvermögen. Dabei geht Schiller von einer optimalen Symbiose zwischen Form und Stoff aus, bei dem das Kunstwerk gewissermaßen nicht mehr als Kunstwerk erscheinen will, sondern den Eindruck erweckt, als habe sich die natürliche Kreativität eine zweite Natur gesucht, als sei es durch den Künstler ein gemachter Ausdruck selbstgesetzter und natürlich anmutender Stoffeinformung. Im Betrachten solch einer Kunstschönheit, analog dem genussvollen Betrachten von Naturschönheiten, werden durch das aufmerksame auf sich Wirken lassen, lebendige Empfindungen der Lust erweckt, die in uns die Sinnlichkeit mit der Vernunft harmonisieren und ein lebendiges Wohlgefallen erzeugen. Hier bezieht er sich positiv auf Kant, indem er schreibt: „Natur, sagt er, ist schön, wenn sie aussieht wie Kunst. Kunst ist schön, wenn sie aussieht wie Natur.“ Wir könnten es in diesem Sinne als eine Art freie Selbstentfaltung durch autonom gesetzte Regeln begreifen, oder als eine gesetzmäßige Selbstverwirklichung zur freien Gestalt seines Inhaltes. Das Schöne ist somit ein geformter Stoff scheinbar kunstlos gewordner Kunst, welches wie eine natürliche Hervorbringung autonom gewordener Freiheit erscheint, das Resultat einer schöpferischen Tätigkeit ist, die wiederum als selbstbestimmt auftritt und einen selbstgewählten Ausdruck desjenigen darstellt, der den Stoff mithilfe einer bestimmten Technik zu einem sinnlich ansprechenden und freiheitsdarstellenden Kunstwerk erzeugt. Dies begründet die Originalität eines Kunstwerkes.

Das schönheitswahrnehmende Subjekt ist gleichsam wie durchdrungen von der sinnlichen Wirkung der ästhetischen Erscheinung, die etwas Befreiendes in sich verkörpert. Ebenjene Verwirklichung der Freiheit als eingeformtes Phänomen gilt für Schiller als Inbegriff objektiver und sinnlich erfahrbarer Schönheit.

Sein Denken dachte nicht nur das Schöne mit Bezug auf die Kunst, sondern fasst sein Schönheitsbegriff sogar das praktische Handeln und den Charakter der Menschen mit ein. Dieses Denken beschreibt er in den Briefen zur ästhetischen Erziehung. Schönheit hat für ihn vorrangig nicht nur eine werkimmanente Bedeutung, sie ist auch nicht nur ein schöner Schein, den das artifiziell Geschaffene abstrahlt, um uns eine Wirklichkeit vorzutäuschen, sondern besitzt die Wirkung der Schönheit für ihn ebenso eine natürliche und praktische Dimension, in dem Sinne, dass durch das Schönheitsempfinden innere Effekte in den Subjekten geschehen, die „zur ästhetischen Verfeinerung der Menschen“ beitragen. Dabei legt er großen Wert darauf, dass die Sinnlichkeit der empfindenden Lebewesen nicht von der Vernunft und das Vernünftige nicht von den ungebildeten Naturtrieben unterdrückt werden. Zwischen dem Niederen und dem Höheren soll sich das Herrschaftsverhältnis vollständig auflösen.

Die Freiheit als Thema der Kunst ist immer zugleich auch ein Thema für das Leben. Denn in der dargestellten Freiheit soll die Möglichkeit realisiert werden, dass die gefangenen, erniedrigten und gezwungenen Subjekte ihren Fähigkeiten bewusst werden. Somit erhält die Kunst eine lebenswichtige Aufgabe, nicht nur das alltägliche Leben, den Lebenskampf und die Emanzipation durch die Darstellung zu reproduzieren, sondern das Bewusstsein der Menschen im pädagogischen Sinne zu ästhetisieren.

Die Ästhetisierung der Menschen ist bei Schiller als eine moralische Kultivierung der Menschen gedacht, eine Art Optimierung des humanistisch ethischen Vermögens. Denn „es gibt keinen anderen Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als dass man denselben zuvor ästhetisch macht.“

Quellenverzeichnis:
٠ Kallias, oder von der Schönheit – Briefe an Körner, aus Schiller, Friedrich: Werke und Briefe, 8. Theoretische Schriften, Frankfurt a.M.: Dt. Klassiker Verlag, 1992
٠Analytik der ästhetischen Urteilkraft. Aus: Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Hamburg: Meiner, 1990,
٠Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen


© Alexej


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