(Märchen für Vögelkundler)


Einmal, im fernen Nahland, war unter den Vögeln, eine komische Hirnepidemie ausgebrochen. Die vögeln hatten dort seit Menschengedenken immer eine Unmenge Nester gebaut und diese mit Eiern bestückt. Doch im Jahr des großen Blitz- und Donnervogels waren sie des Eierns müde geworden, weshalb die Nester auch oft nur noch halbvoll waren.

Davon bekamen aber Kuckucke auf der ganzen Welt Wind und alle kamen sie nach Nahland, weil sie wussten, daß sie dort, völlig sorgenfrei Eier in fremde Nester legen konnten, so viel sie nur wollten. Das wiederum gefiel dem landeseigenen Pleitegeier sehr gut, denn der stand praktisch fortlaufend am Rande des propagierten Ruins.

Und so quollen die Nester der Nahlandvögel bald über mit fremden Eier – und, oh Wunder, die, auf diese Weise beschenkten Vögel, hegten und versorgten die fremde Brut aufs Eifrigste. Das wiederum sprach sich schnell herum, so daß nahezu sämtliche komischen Vögel aller Herren Vögelländer, oder aller komischer Vögel Herrenländer, kamen um ihre Eier ausbrüten zu lassen.

Angesichts dieses unerwarteten Kückenreichtums wurden rauschende Feste gefeiert, deren eindeutiger Mittelpunkt das Wappentier des Landes, der Pleitegeier war. Er hüpfte herum und freute sich maßlos – und dazwischen krächzte er heiser: „Daß ihr mir ja nicht auf den Gedanken kommt die armen Kuckucke aus dem Nest zu verpicken!“

Denn manche der armen, zusätzlich reich mit fremden Eiern beschenkten Nahlandvögel, hegten bereits ernste Zweifel, wer denn wohl die nächste Generation der fleißigen Nestversorger darstellen würde, denn ein Kuckuck konnte wohl schlecht seine Eier in das Nest anderer Kuckucke legen, denn Kuckucke bauen bekanntlich keine Nester.

Aber das merkten die meisten Nahlandvögel erst, als nur noch zerfledderte Nestruinen in den Bäumen hingen und die Kuckucke anfingen lautstark zu protestieren. „Was ist denn plötzlich mit euch los?“ wetterten sie, „warum finden wir denn hier keine offenen Nester mehr?“ Aber die letzten Nahlandbewohner in Vogelgestalt antworteten nur: „Weil wir bald ausgestorben sind!“

Und richtig – die Kuckucke hatten ja nicht nur ihre Eier in die fremden Nester gelegt, damit dort ihre Jungen umsorgt und fleißig gefüttert wurden…die geschlüpften Kuckucke hatten darüber hinaus auch die Brut der eingeborenen Vögel auf den Waldboden geworfen, wo sie kläglich verenden musste. Warum? Weil es der weise Pleitegeier so haben wollte!

Denn der Pleitegeier „liebte“ alle Vögel, und je komischer sie waren, desto mehr liebte er sie. Seine Liebe legte sich, einer riesigen Lachgaswolke vergleichbar, auf das ferne Nahland, so daß jeder, der es betrat, oder einflog, respektive eingeflogen wurde, so laut lachen musste, daß er die Welt, die er nur noch verschwommen vor Augen sah, nicht mehr verstand.

Da aber brach plötzlich die Hirnepidemie zusammen, die nur die Vögel des fernen Nahlandes befallen hatte und überall, zwischen den Nestruinen, saßen die Kuckucke herum und sie riefen ihr „Kuckuck, Kuckuck“, hinein in den Wald, bis es wieder daraus hervorschallte. Wie es eben das mittlerweile vergessene Sprichwort auch schon besagt. „Kuckuck“.

Die Bremser Dorfmusikanten machten daraus ein schönes Jammerlied, das von den letzten Nahländer Singvögeln intoniert wurde. Man hörte ihm an, daß es aus sehr schwachen Kehlen kam – und so wurden aus den ehemals fleißigen Singvögeln Sinkvögel, die schließlich ihren über alles geliebten Pleitegeier in ihre Mitte nahmen, um für immer davon zu schwirren.

Das Nahland aber verwaiste zusehends, denn auch die Kuckucke suchten sich nun einen neuen Wirt, bei dem sie sich problemlos einnisten konnten. Im Gehen hackten sie sich noch gegenseitig sämtliche Augen aus, verwiesen aber dabei auf die Notwendigkeit ihrer angestammten Lebensweise, mit der sie bislang immer gut gefahren waren, als es noch fleißige Nestvögel gab.

Inzwischen waren jedoch alle Länder der Erde zu Ländern für komische Vögel geworden! Gegenseitig belauerten sie sich und warteten darauf, eines Tages wieder so einladende Nester wie im fernen Nahland zu finden und einen so willfährigen Pleitegeier, der so unerhört weise eine Region der Erde regierte, daß alle Vögel eine Bleibe finden konnten, egal was sie für Eier legten.


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Es war einmal im fernen Nahland"

Re: Es war einmal im fernen Nahland

Autor: Maline   Datum: 12.07.2019 9:41 Uhr

Kommentar: Wahrheit phantasievoll verpackt. Gut!

Schönen Tag! Maline

Re: Es war einmal im fernen Nahland

Autor: Alf Glocker   Datum: 12.07.2019 12:11 Uhr

Kommentar: Ich danke Dir - Die Wahrheit erkennen kann nicht jeder...
Und wenn doch, dann erschrecken die meisten

Viele Grüße
Alf

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