Bruno habe, so verlautete kürzlich, in einem kleinen Kreis zugegeben, dass er in diesem Jahr dem Weihnachtsfest weit voraus sei, dass er, Bruno, sich schon vom ersten Advent an nicht mehr um Weihnachten und um die Dinge um Weihnachten herum sonderlich Sorgen machen müsse. Das, worauf es ankäme, sei vorzeitig erledigt. Dabei sah er zufrieden und gefestigt in die Runde.

Bruno, so wurde erzählt, sei nun von allen Seiten mit Fragen bestürmt worden. Ob er alle Geschenke für seine Mitmenschen schon ausgedacht habe. Ob er alle Geschenke schon besorgt habe, vielleicht sogar schon in Geschenkpapier verpackt und mit Seidenschleifen kunstvoll drapiert habe. Ob er alle Basteleien schon gefertigt habe, alle Lieder und Gedichte noch einmal gelernt, den Weihnachtsbraten schon vorbestellt habe, womöglich sogar schon zubereitet, ob er den Weihnachtsbaum schon ausgesucht, schon gefällt, schon gekauft habe, ob er ihn gar schon geschmückt habe, ob er Zuckerwerk und Plätzchen bereits eingekauft, womöglich schon hergerichtet und gebacken habe, ob er schon Weihnachtskarten besorgt habe, womöglich schon beschriftet, vielleicht gar schon abgesandt, ob er den Weihnachtsleuchtschmuck im Garten, im Vorgarten, am Haus schon angebracht habe, womöglich schon nachts leuchten lasse, vielleicht sogar tagsüber. Ob er alle fälligen Weihnachtsbesuche schon getätigt oder aber alle Einladungen schon ausgesprochen, möglicherweise seine Gäste schon empfangen habe, ob er alle Weihnachtsmärkte der Umgebung schon aufgesucht, überall schon alle Glühweinsorten ausprobiert habe, ob er alle Medikamente gegen Sodbrennen, Bauchschmerzen, Durchfallerkrankungen und andere Weihnachtsvöllereien bereits eingekauft habe, diese vielleicht sogar schon bereit lägen, womöglich schon eingenommen seien. Ob seine Spenden an wohltätige Organisationen bereits sein Konto verlassen hätten. - Auf alle Fragen antwortete Bruno ruhig und gelassen immer dasselbe, nämlich: "Nichts dergleichen."

Als keine Fragen mehr gestellt wurden, habe Bruno sich freundlich und ein wenig von oben herab bemüßigt gefühlt mitzuteilen, dass er in diesem Jahr seiner Zeit voraus sei, weil er schon am 1. Advent sein übliches Weihnachtsgewicht vorweisen könne. Seine Waage belege es zweifelsfrei.


© Rolf Kirsch


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