Es geht schon morgens entmutigend los. Als ich aufwache und meine Frau frage: „Träumst du auch manchmal, du wärst ein Mann?“, kommt die knappe Gegenfrage: „Du etwa?“.

Mein Sohn kommt vorbei mit Strupp, seinem kleinen Hund, den man aufgrund seine Größe auch mit einem Meerschweinchen verwechseln könnte. „Er frisst nicht mehr richtig, Papa. Kannst Du mit ihm heute mal beim Tierarzt vorbeigehen?“.

Dann beim Tierarzt. „Ich werd ihm mal auf den Zahn fühlen“, sagt der, „da müssen wir jetzt durch!“

„Durch den Hund? Um ihm auf den Zahn zu fühlen?“ frage ich, „Geht das nicht auch von vorne?“ Ich werde misstrauisch, denn der Tierdoktor hat ja auch schon Gummihandschuhe an. Zum Glück geht's dann doch von vorn. Nix Ernstes. Zahnstein eben.

Dann stehe ich vor dem Fahrstuhl und werde mit einer weitere Absurdität konfrontiert. Nämlich mit dem Schild: „Die Beförderung von Personen ist in Fahrstühlen verboten, die für die Beförderung von Personen nicht zugelassen sind“.

Aha! Jetzt weiß ich natürlich ganz genau, ob ich mit diesem Ding fahren darf! Eigentlich hätte mir ein Schild „Personenaufzug“ mehr geholfen, oder eben eines mit den Worten „Nur Lastenaufzug“.

Mittags höre ich Deutschlandfunk. In einer politischen Diskussion regen sich mehrere Anrufer über die von Greta Thunberg in Gang gesetzten Schülerstreiks auf. Schließlich herrsche in Deutschland Schulpflicht – auch freitags. Ach so, und ich dachte immer, dass Politiker Staatsbeamte sind und auch nicht streiken dürfen. Tun sie das in Sachen Umweltschutz aber nicht schon seit Jahren? Und nicht nur freitags?

Das erinnert mich an eine Situation, in der ich mal einen mit Akten umher rennenden Beamten nach Raum soundso bei einer Behörde gefragt habe und er geantwortet hat: „Bin ich eine Auskunftei?!“. „Nein“, habe ich ihm geantwortet, „Sie sind mein Diener“. Ihm ist die Kinnlade runtergefallen und er war sprachlos. Dann habe ich zu ihm gesagt: „Sie sind doch Staatsdiener. Und weil sie dem Staat dienen, dienen Sie auch mir, denn ich bin Teil dieses Staates“. Er zog empört ab. Offensichtlich noch nicht reif für die höhere Beamtenlaufbahn.

Ich gehe in die Stadt, um etwas zu besorgen. Auf der anderen Straßenseite hat eine kleine Reparaturwerkstatt aufgemacht. Groß steht auf einem Schild das Wort „Unfallinstandsetzung“. Instandsetzung von Unfällen? Also, ich bin froh, dass mein Auffahrunfall vor einem halben Jahr vorbei und geregelt ist. Warum sollte ich meinen Unfall wieder instandsetzen lassen? Muss ich ihn dann noch mal erleben? Als ich näher komme, steht auf dem Schild auch noch: „Reifen aller Fabrikate. Leise, langlebig, reibungsfrei“. Wie kann man eigentlich mit Reifen bremsen, wenn sie reibungsfrei sind? Eine Absurdität reiht sich an die andere.

Dann sehe ich auf der Straße eine Frau, die sich über einen Kinderwagen beugt und mit heller Kinderstimme immer wieder den Satz wiederholt:“Ja, wo isser denn? Ja, wo isser denn?“ Schade, dass das Baby noch nicht sprechen kann, sonst würde es sicher sagen: „Hier bin ich, Du blinde Wachtel. Schau doch einfach mal richtig hin!“

Ich will noch einen kleinen Spaziergang durch den Hirschgarten machen. Ich gehe an der Donnersberger Brücke zur S-Bahn hinunter. Nachdem ich unter ein Schild mit der Aufschrift „Die Tauben nicht füttern“ im Vorbeigehen noch schnell mit Filzer geschrieben habe „und was ist mit den Blinden?“, betrete ich den Bahnsteig.

Aus den Lautsprechern erklingt eine quäkige Ansage: „Auf Gleis 1 fährt ein die S8 nach Herrsching, der Zug hält auf Abschnitt von B bis C“. Was denkt sich wohl ein Asylant mit noch lückenhaftem Deutsch bei einer solchen Durchsage? „Die Deutschen sind echt ein brutales Volk, die lassen einen Zug auf einem Abschnitt von Babies Zeh anhalten. Auf einem niedlichen kleinen Baby-Zeh! Schrecklich!“

Am Nachmittag hole ich dann noch das Kind meiner Nachbarin aus der Mittagsbetreuung für sie ab. Der kleine Maxi kommt mir entgegengerannt und in diesem Moment läuft ein über und über tätowierter Mann vorbei, Maxi winkt mir, dass ich mich zu ihm runterbeugen soll. Er flüstert mir ins Ohr: „Peter, ob der Onkel mich die Bilder ausmalen lässt? Oder schimpft er dann mit mir?“

Doch alle kleinen und größeren absurden Erlebnisse dieses Tages werden überboten von der Bemerkung unseres Nachbarn, eines zwar schlichten, aber dennoch liebenswerten Menschen, als wir ihm mitteilen, dass die Beerdigung unseres Opas, zu der auch er kommen wollte, nicht am nächsten Tage stattfinden würde, sondern drei Tage später. Er meinte: „Ach so, dann geht’s ihm wohl wieder besser!?“

Und zu guter Letzt komme ich auch noch an einem Schild vorbei „Betreten verboten!“. Ich bin aber betreten. Schon den ganzen Tag über bin ich betreten.


© Peter Heinrichs


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Kommentare zu "Chronik eines absurden Tages"

Re: Chronik eines absurden Tages

Autor: possum   Datum: 25.04.2019 23:54 Uhr

Kommentar: Lieber Peter deine Chronik gerne gelesen, lieben Gruß!

Re: Chronik eines absurden Tages

Autor: Bruno de Bary   Datum: 15.08.2019 14:11 Uhr

Kommentar: Lieber Herr Mychrissie,
(verzeihen Sie die vertrauliche Anrede), ich bin erst seit kurzem hier aktiv. Ich habe einen Essay eingestellt - Langer Schatten der Steinzeit -, aber vor allem interessieren mich die Beiträge der anderen Autoren, zunächst im Genre Essays. Ihre Texte erlebe ich als sehr intelligent, mit Witz und Scharfsinn, geradezu benei-denswert gut. Werde auch bei Ihren Gesch., Ged. nachschauen.
Herzliche Grüße, Bruno de Bary

Re: Chronik eines absurden Tages

Autor: mychrissie   Datum: 15.08.2019 16:02 Uhr

Kommentar: Lieber Bruno,

Du kannst mich – wie in diesem Portal üblich – ruhig Peter nennen. "mychrissie" ist mein Username und von meinem Sohn abgeleitet, der Christian heißt. Aber mein Klarname lässt sich ja unschwer aus meinem Copyright ableiten.

Klar, wenn es Dich interessiert, dann lies auch mal in meinen Gedichten nach. Ich habe sehr vieles dabei, was in klassischen Formaten, vorallem in Sonettform umgesetzt ist.

Wenn Dir dieses und jenes davon Spaß macht, freue ich mich.

Liebe Grüße, Peter Heinrichs

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