Linetwist
von Manuel Boennen
30.12.2016
cc-by

Ich denke nicht an Rosa Elefanten. Es rauscht immer noch. Alles dreht sich sehr schnell. Mir ist schlecht. Zugleich verspüre ich eine intensive Liebe. Ich weiß etwas stimmt nicht. Die Dosis muss zu hoch gewesen sein. Vor mir wird die Wiese immer größer. Ich kann einen Grashalm erkennen. Wenige Mikrosekunden durchzieht ein stechender Schmerz meinen gesamten Körper. Ich weiß ich bin tot.

Eine Propinol-Gruppe. Eine kleine niedliche Propinolgruppe sorgt dafür, dass ich LSD legal bestellen, bezahlen, besitzen und transportieren kann. Ich kann es noch immer nicht glauben. Der Beat hämmert aus den In-Ear-Kopfhöhrern direkt in meinen Kopf. Ideen schießen ein, warten darauf aufgeschrieben zu werden und verschwinden wieder im Äther einer sich impulsiv verändernden Gedankenwelt. Ich klicke auf den Bestellknopf. Schon bald wird sich mein Leben grundlegend wandeln. Ich bin mir sicher. Ich werde nicht mehr allein sein. Das ist es was zählt. Nähe. Bindung. Mein Handy klingelt. Ich hebe ab. "Ach wie gut, dass niemand weiß," melde ich mich," dass ich Rumpelstilzchen heiß." Sie lacht ins Telefon. Ihre Stimme beruhigt mich. Ich nehme den anderen Kopfhörer aus dem Ohr und ziehe den Klinke-Stecker aus der Buchse. Der Beat scheppert laut durch die Laptopboxen. "Ich gehe jetzt los.", sagt Sie. Ich freue mich auf den Abend. Wir werden ausgehen.

Das Papier ist relativ dünn, aber alle Sicherheitsmerkmale korrekt. Für den einen Tag wird es reichen. Ich bin mir sicher. Ich verstaue die gefälschte Lizenz im Portmonee. Die Vorbereitungen sind getroffen. Der Rucksack steht bereit. Darin eine Wasserflasche, gefüllt mit Leitungswasser. Das gefälschte Sprungbuch befindet sich in einer Innentasche. Drei Streifen befinden in einem kleinen selbstgefalteten Papierumschlag. 300 Mikrogramm. Meine Hände zittern bei dem Gedanken an das, was mir bevorsteht. Ein letztes in mich Hineinhören. Ich lege mich auf mein Bett, schließe die Augen. Ein Mensch ganz in weiß steht mir gegenüber. Ich weiß, dass ich es bin. Es ist an der Zeit Rechenschaft abzulegen. Ich fühle mich schuldig. "Tu es!" Höre ich mich sagen.

"Irgendwie komisch ist es ja jetzt schon."
"WAS?"
"IRGENDWIE KOMISCH IST ES JA JETZT SCHON!"
"WAS? WIESO KOMISCH?
"NAJA DAS ERSTE MAL UND DANN AUCH NOCH AUF LSD!"
"WAS?"
"300 MIKROGRAMM!"
Ich stehe an der Ausstiegsluke. Solospringer. Die Tandems sind schon raus. Hinter mir warten die Gerätespringer. Noch ein kurzer Augenkontakt mit dem Mann an der Luke. Ich lasse mich in die Wogen aus Luft fallen. Wünschte ich hätte jetzt einen Beat. Drop It Human von Audio. So laut dass es weh tut. Sofort beginne ich wie wild mit den Armen zu rudern. Das bringt nichts. Ich lege die Arme an und versteife meine Beine wie für einen Kopfsprung. Der Wind pfeift jetzt ungeheuerlich laut. Plötzlich setzt das LSD mit voller Wucht ein. Es ist so mega Laut. Und ein wenig kühl. Ich bin zu schnell aber das ist mir inzwischen egal. Meine Arme lösen sich vom Körper und die Beine lockern sich. Sofort werde ich langsamer. Auch das ist mir egal. Die Sekunden vergehen in Zeitlupe. Ich muss an den Witz denken, der keiner ist. Es ist noch immer sehr laut. Plötzlich der Griff an der Schulter. Ein Mensch. Es ist mir egal. Noch ein Griff. Diesmal an meinem linken Bein. Ich denke wieder an den Witz. Alles ist so laut.
"Was macht ein Hoden ohne Beine?"
Oder war es kein Hoden?
"Ziehen!"
HAHAHAHAHA ZIEHEN!!! VERSTEHST DU ZIEHEN!!!
Bernd zieht am Joint und reicht ihn weiter.
Meine rechte Hand zerrt an der Reißleine.
Der Schirm öffnet sich. Es reißt mich nach hinten. Der Mensch von eben fällt weiter. Es tut ein wenig weh. Ich kann die Welt von oben sehen und nun auch weider erkennen. Sie ist wunderschön. Es ist unnatürlich, dass wir getrennt voneinander Leben. Wir sind doch Menschen. Wir sollten miteinander leben anstatt gegeneinander. Natürlich sind die Ressourcen begrenzt. Aber wenn man sich ein wenig abspricht, anstatt mithilfe eines rigiden Systems jenen wegzunehmen, die am wenigsten haben und es am dringendsten brauchen, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genug da, um jedem und ich meine JEDEM Menschen eine schöne Zeit auf dem kleinen blauen Planeten zu ermöglichen. Ich kann die Sonne sehen. Acht Minuten und zwanzig Sekunden braucht das Licht, ausgesandt durch eine Kernfusion, um sich durch den Raum zu bewegen, die Atmosphäre zu durchdringen und schließlich auf meine Netzhaut zu treffen. Bereits in der Netzhaut beginnen erste Verschaltungen. Kantenerkennung zum Beispiel. Elektrische Signale wandern über das Chiasma Opticum (wo sie sich die Bahnen kreuzen) in das Sehzentrum. Wie alle Wahrnehmung passieren die Informationen nun den Thalamus. Meine Amygdala ist geflutet. Der Stress. Das LSD. Die Information gelangt direkt in den Hippocampus. Die Informationen sind langzeitgspeichert. Ich weiß es war nicht umsonst.

https://www.youtube.com/watch?v=J7IYhmcUAGs

"Willkommen"
Wir befinden uns in einem weißen unendlich großen Raum. Ich kann die Enden zumindest nicht sehen. Ich sitze auf einem weißen Stuhl an einem weißen Tisch. Der Tisch ist rund und an ihm sitzen drei weiße Wesen. Ein männliches, ein weibliches und ich. Ich kann ihre gesamte Aufmerksamkeit und Konzentration spüren. Verstehe mich nicht falsch. Es ist nicht unangenehm. Es ist nur sehr viel Aufmerksamkeit. So wie noch nie zuvor in meiner gesamten Erinnerung. Nichtmal als Baby durch meine Mutter.
"Du hast das Gefüge verändert.", beginnt das männliche Wesen das Gespräch.
"Das ist weder moralisch verwerflich noch schadet es irgendjemandem.", fügt sie seinem Satz hinzu.
"Es ist nur sehr ungewöhnlich." sagen sie im Chor als hätten sie es geübt. Wir lachen gemeinsam.
"Wir können dich mitnehmen" sagt sie. "Dir alles zeigen."
Ich erhebe mich. Zugleich ist es, als hätte ich nie gesessen. Der Tisch hat plötzlich Stehhöhe und auch die Wesen befinden sich mit mir auf Augenhöhe.
"Ich bin bereit" erkläre ich.
Die Wesen lösen sich in eine Art Dunst auf. Eine Art Nebel oder Rauchschwaden, die sich tanzend bewegen. Mit einem 'Satz, so wie der Einsatz des Music-Drops in einem lauten Tanzsaal durchfährt es meinen Geist und ich sehe die Welt, wie sie wirklich ist.


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