Nun ist der Moment gekommen. Noch erinnere ich mich an den Blick aus dem heimischen Fenster hinaus auf die menschenleeren Straßen, die Ruhe jedoch, die mich dabei erfasste, ist vorüber. Die Teamkollegen haben sich auf der Bowlinganlage versammelt und ein wenig unschlüssig stehen sie im Kreis zusammen. Jetzt gibt es nur das Warten und mit jeder Minute füllt sich die Halle mit Spielern der anderen Mannschaften. Manche von ihnen kenne ich seit Jahren und man nickt sich zu, legt dem einen oder anderen die Hand auf die Schulter, unterhält sich im lockeren Ton, lacht ein wenig, reicht einander die Hände und doch enden all diese Versuche mit dem Satz „Wir sehen uns nachher.“ Jeder weiß was damit gemeint ist.
Noch stehen die sechs Spieler unbestimmt zusammen, zwar einheitlich im gelben Hemd und blauer Hose gekleidet und doch als individuelle Person, die bis zu diesem Zeitpunkt ihr eigenes Leben führte und es ab morgen auch wieder tun wird. Viele von ihnen sind keine Freunde, es sind Gefährten. Ein Begriff, der in der heutigen Welt Erwachsener seine Bedeutung verloren hat. Ein Schatten vergangener Jugendtage. Reisende in einer unendlichen Galaxie, voneinander abhängig und mit dem tiefsten Vertrauen zueinander geimpft.
Es ist schwer, sich daran zu erinnern. Noch nicht, nicht jetzt. Nicht in dem Augenblick, wenn der Kapitän die Mannschaftsaufstellung bekannt gibt und einer von ihnen zum Ersatzspieler wird und auch nicht mit dem Beginn der Einspielzeit.
Jäh wird die Stille des Morgens unterbrochen. Man hört das dumpfe Geräusch der Kugel, wenn sie die Bahn berührt und zum ersten Mal den hölzernen Aufprall der Pins, die einander touchieren.
Es ist der Moment des Erwachens. Langsam löst sich die Spannung im Kopf und der Morgen, der stille Moment des Tages verabschiedet sich unbemerkt.
Dann beginnen die Spiele. Das Bemühen des Einzelnen ist spürbar, fast zum Greifen nah, wenn die Hände ein letztes Mal am Handtuch abgetrocknet werden und der Spieler mit bedächtigen Schritten zum Kugelrücklauf schreitet. Einen sicheren Anwurf gilt es hinzulegen. Einen ersten Wurf, der die Unsicherheit aus den Köpfen spült und die Atemlosigkeit erfasst die Teamkameraden, während sie ihren Mann am Anlauf beobachten. Er weiß das genau und doch ignoriert er ihre Blicke. Nun hat er einen neuen Weggefährten entdeckt, seine Kugel, nur ein Stück rundes, festes Plastik, das er in beide Hände nimmt und aufmerksam mit dem Handtuch säubert. Die Kugel benötigt diesen Akt nicht, wohl aber der Kopf des Spielers. Das Warten ist nun vorüber.
Und später, dann wenn die Spiele schon lange andauern, wenn die Mannschaft bereits in einige kritische Situationen geraten ist und sich vielleicht nur mit Mühe hinausmanövrieren konnte, spätestens dann sind all diese Gedanken vergessen.
Und mit ihnen jeglicher Gedanke an die Welt außerhalb der Türen jener Bowlinganlage, die für diesen Sonntag eine geschlossene Welt darstellt. Regen und grauer Himmel verlieren ihre Bedeutung, es gehört nicht zu der Existenz dieser Mannschaft, deren Horizont sich auf 18 Meter begrenzt und in dessen Welt maximal zehn Personen leben.
Und jegliche Erinnerung außerhalb dieses Kreises gerät in Vergessenheit. Die Gedanken uniformieren sich, werden eins, simplifiziert in ihrem Wollen, deren Ziel einzig eine gute Serie geworden ist. Ein selbst spielen und helfen. Ein Stützen und Führen. Oder ein geleitet werden. Ein Vertrauen in all seine Gefährten, die nur gemeinschaftlich das Ziel zu erreichen suchen. In Jubel oder Trübsinn, jedenfalls in Gemeinschaft ihres Geistes.


© Mark Gosdek


5 Lesern gefällt dieser Text.







Beschreibung des Autors zu "Beim Team"

Dieser Text besteht aus drei Teilen. Vor dem Team, Beim Team und nach dem Team. Fast dreißig Jahre habe ich im Bowlingverein in Ligawettkämpfen gespielt. Die drei Texte zusammengenommen beschreiben die Empfindungen eines typischen Sonntagspieltages.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Beim Team"

Re: Beim Team

Autor: noé   Datum: 15.04.2014 22:21 Uhr

Kommentar: Dieser Textteil bringt mir das Miteinander nahe, das einen mannschaftssport auszeichnet. Kein Übertrumpfen des Einzelnen, ein gemeinsames Streben.
Sehr dicht erzählt, Mark.
noé

Re: Beim Team

Autor: Mark Gosdek   Datum: 16.04.2014 5:08 Uhr

Kommentar: Danke schön, Noé. Es ist auch so. Für ein paar Stunden ist man zusammen auf der Bahn eingepfercht und macht eine Menge Gefühlswelten miteinander durch und versucht in erster Linie, einander zu helfen. Über sechs Stunden ist das Miteinander schon ziemlich intensiv. Mark

Kommentar schreiben zu "Beim Team"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.