Ich hab ihn gepfählt mit meinem dicksten, besten Bleistift, einem Schreiblernstift für Schüler der ersten Klasse. Er hat kaum Widerstand geleistet, es floss kein Blut.

Aber zurück zum Anfang der Geschichte:

Er überfiel mich. Heute früh. Schon wieder. Diesmal erwischte er mich mitten auf der Straße. Und wie üblich kam er aus dem Off. Der feige Hund. Oder, besser gesagt, mein bester Feind. Ich kenne ihn seit der Volksschulzeit.
In meinem Kopf gibt es einen passenden 16-mm-Low-Budget-Film. Der ist uralt, zerkratzt, mit tausend Macken. Aber er spult sich bei jedem Überfall automatisch ab. Er geht so:

Klappe. Einstellung läuft [Totale, hoher Winkel]:
Ich [frisch gekämmt, lange Zöpfe, brauner Lederranzen auf dem Rücken, verrutschte Kniestrümpfe] stehe lauschend im Flur der Schule. Durch ein Buntglasfenster fallen die ersten goldenen Sonnenstrahlen. Die frisch gebohnerten Steinfliesen glänzen im Morgenlicht.
Zu hören ist sein Flüstern [heiser, schmierig]: ?DU willst hier nicht mitspielen!?
Ende der Einstellung. Schlussklappe

Er hatte Unrecht. In mir war ein wildes Sehnen. Ich wollte mitspielen. Aber ich durfte nicht. Ich hasste diese Schule so sehr, wie mein siebenjähriges Herz hassen konnte.

Später stellte sich heraus: ER war nur ein Geruch. Der Geruch eines billigen, scharfen Putzmittels, der sich eine Rolle in meinem Leben anmaßte. Immer wieder. Selbst als ich längst erwachsen war, hörte er nicht auf mich zu belästigen. Und er kam immer unerwartet. So wie heute Morgen.

Jetzt hab ich ihn gekillt mit meinem dicksten, besten Bleistift.
Endlich hat er Ruhe!


© mon


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