Bruno hat jetzt in einem kleinen Kreis zugegeben, dass ihm schon den ganzen Tag über der linke Oberarm auf eine eigentümliche, niemals vorher gekannte Art schmerze und er, Bruno, sich keinerlei Reim darauf machen könne, was die Ursache dieses Schmerzes sei. Und, angespornt durch die besorgten Blicke der Umsitzenden, fuhr er fort, dass er schon lange keine schweren Tätigkeiten mit seinem linken Oberarm habe durchführen müssen.

Auf die Frage eines sorgenvollen Mitmenschen, ob Bruno gewiss sei, dass er Rechtshänder sei, bestätigte er nach einigen Augenblicken der Vergewisserung, dass es sich bei ihm, Bruno, in der Tat um einen ausgewiesenen Rechtshänder handele und er keinerlei Erinnerung daran habe, auch nicht, was seine früheste Kindheit anbelange, dass er jemals zielführende Tätigkeiten mit der linken Hand, geschweige denn mit seinem linken Oberarm, habe ausführen müssen. Und um dem Eindruck, bei Bruno handele es sich möglicherweise um einen verdeckten Linkshänder, der zwar alles, was es im Leben zu tätigen gebe, immer mit der rechten Hand ausgeführt habe, in Wirklichkeit aber lieber die linke Seite bevorzugt hätte, um diesem Eindruck keinerlei Vorschub zu leisten, sei Bruno fortgefahren, indem er erklärte, dass er niemals auf seinen linken Oberarm geachtet habe. Er sei existent, wie jedermann sehen könne, aber gebraucht habe er, Bruno, ihn eigentlich niemals. Insofern habe er seinem linken Oberarm auch keinerlei weitere Beachtung geschenkt, bis zu diesem Zeitpunkt eben, als dieser sich mit rätselhaften und dauerhaften Schmerzen gemeldet habe.

Genau dieses, meldete sich eine blass aussehende Dame mit weicher Stimme zu Wort, genau dieses könne durchaus die Ursache des geheimnisvollen Schmerzes sein. Sie, die Dame, wolle nun alle Umsitzenden mit ihren Kenntnissen, was Esoterik undsoweiter beträfe, nicht weiter langweilen, denn gerade auf diesem Gebiet habe sie in der Vergangenheit schon manches Unverständnis geerntet und wolle auch jetzt nicht, beileibe nicht, zum Misslingen des Beisammenseins beitragen. Aber, so gab sie zu bedenken, es sei nicht auszuschließen, dass die jahrelange Missachtung von Brunos Oberarm durch Bruno, seinen Eigentümer, selbst gerade jene unwirklichen Schmerzen hervorgerufen hätte. Auszuschließen sei das nicht, keineswegs.

Ein weiterer Mitmensch, der mit einem Arzt, einem Chirurgen gar, befreundet sei beziehungsweise befreundet gewesen sei, diese Beziehung sei allerdings, das nur nebenbei, erst vor kurzem in beiderseitigem Einvernehmen beendet worden, ein weiterer Mitmensch also gab zu bedenken, dass gerade ein Schmerz im linken Oberarm nicht unter Fernerliefen abgetan werde dürfe. Gerade der linke Oberarm, der dem Herze nahe liege, könne einige Hiweise liefern, dass Bruno in naher Zukunft auch Opfer eines Herzinfarktes, eines Schlaganfalles oder ähnlicher Widrigkeiten durchaus werden könne. Er, Bruno, solle doch mal einen Arzt aufsuchen. Bis auf einen ganz bestimmten, dessen Namen er jetzt nicht aussprechen wolle, könne er eine ganze Reihe fähiger Ärzte benennen. Falls Bruno aber zur Zeit noch nicht auf ärztlichen Rat vertraue, solle er auf jeden Fall schon einmal eines dieser modernen Blutdruckmessgeräte kaufen und täglich seinen Blutdruck messen, die Werte in die dazu mitgelieferte Wertetabelle eintragen und erst zu einem späteren Zeitpunkt zusammen mit einem Arzt, nicht aber mit diesem, dessen Namen er keinesfalls mehr in den Mund nehme, diese Eintragungen auswerten, um zu einer förderlichen Diagnose zu gelangen.

Nach dieser Einlassung hätten sich Brunos Gesichtszüge aufgehellt und er habe allen Umsitzenden gestanden, dass er schon vor zwei Tagen eines dieser modernen digitalen Blutdruckmessgeräte gekauft habe, noch bevor diese rätselhaften Schmerzen in seinem Oberarm zu spüren gewesen seien. Er, Bruno, sei so begeistert davon gewesen, dass man nun jederzeit seinen Blutdruck überprüfen könne, dass er am Tage vor diesem Beisammensein nicht umhin gekonnt hätte, seinen Blutdruck alle halbe Stunde den ganzen Tag lang zu überprüfen, und zwar, so wie es in der Gebrauchsanleitung beschrieben sei, am geeignetsten immer am linken Oberarm.


© Rolf Kirsch


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