Schmerz ist nicht das richtige Wort, um die peinigende Wirkung der Sehnsucht auf Körper und Verstand zu beschreiben. Schmerz entsteht durch eine Verletzung, der Körper merkt, dass etwas mit ihm nicht stimmt und sendet Warnsignale ans Hirn, welches uns den Schmerz wahrnehmen und uns leiden lässt. Die Sehnsucht ist ein viel intensiveres Gefühl, sie lenkt unsere Gedankenströme stets dem einen Zielgedanken zu, selbst wenn wir versuchen nicht daran zu denken. Das Objekt der Begierde vergessen zu wollen ist ein unmögliches Unterfangen. Ich spreche hier jedoch nicht von einem rein physikalischen, körperlichem Verlangen, sondern einem Verlangen, dass in uns sogleich Erinnerungen weckt, welche in uns wachrufen wie wir in diesen Augenblicken, Momenten, vielleicht auch Tagen oder Wochen aufleben konnten, unser Hirn braucht diese Glücksgefühle wieder, versucht den Körper mit guten Erinnerungen zu beruhigen, was allerdings das Leiden noch unerträglicher macht. Der Körper brennt nach dieser einen Person, man spürt diese Flammen, das Herz als Zentrum, welche sich im ganzen Körper ausbreiten, selbst in Extremitäten, uns die Kraft rauben, dem Hirn den Willen. Die einzige Motivation ist diese Person wiedersehen zu wollen, sonst würde man wohl in einen Selbstbemitleidungsprozess verfallen, sobald die vermisste Person nicht anwesend ist. Der Körper brennt, verfällt aber gleichzeitig in eine eisige Starre, befindet sich in einem Zustand des Ungewissen, da er sich auf die Wiederbegegnung freut, aber auch aufgrund der momentanen Trennung äusserst verzweifelt ist. Das wirft diese Gegensätzlichen Spannungen auf, welche essentiell für den Menschen sind, aber in manchen Momenten kaum aushaltbar. Die Sehnsucht nach irgendeiner Art von Kontakt beginnt zu wachsen, beginnt unsere Gedanken zu verschleiern, versucht uns einzureden dass dies die richtige Vorgehensweise sei. Wir befinden uns dann in einer Art Schwebe, drehen uns um die eigene Achse und dies in einem Raum voller Türen, die eine andere Aktion und somit eine andere Folge enthalten. Wir haben verschiedene Strömungen in diesem Raum also könnte man sagen er befinde sich unter Wasser. Die eine Strömung wird bestimmt durch die Liebe, welche für uns in diesem Augenblick die einzig richtige Entscheidung zu sein scheint. Die Liebe hat die Kraft unsern Verstand zu übersteigen, unsern Körper zu Taten zu bewegen, welche er rationell gesehen unterlassen würde. Die nächste Strömung wird durch eben unsern Verstand bestimmt, unser Hirn, das uns völlig unmissverständlich klarmachen will, was die richtige Entscheidung ist. Nun dieser Geisteszustand ist kompliziert: Man befindet sich zusätzlich zu der Orientierungslosigkeit in diesem Raum in einer noch viel aussichtsloseren Phase. Die Liebe verändert unsere Gedankenströme, es entsteht ein wahrhaftiges Labyrinth, das uns die Wahrheit erkennen, aber unmöglich anwenden lässt. Die Wahrheit ist der Ausgang dieses Labyrinths, gleich dem Licht am Ende eines Tunnels, Nun aber befindet sich dieses Licht am Ende eines Labyrinths, mit unzähligen Ausgängen und unzähligen Lichtern. Das eine, am grellsten leuchtende, dieses sofort ins Auge stechende, den Körper erfüllende Licht wird wahrgenommen, allerdings verkannt. Das Paradoxe ist, dass man genau weiss dass es so ist. Es ist als ob man diesem Licht durch das Labyrinth folgt, stundenlang, tagelang, ein Leiden durchfliesst den Körper, stärker als jeder physikalische Schmerz ist dieser physische. Man folgt und folgt, aber merkt, dass es unerreichbar ist. Die Liebe und die Sehnsucht arbeiten zusammen, hängen sich ans Bein des Leidenden, beissen ihm in die Füsse, lassen ihn nicht vorankommen und flüstern ihm gleichzeitig ins Ohr einen anderen Ausgang zu nehmen. Der Gepeinigte, in dieser ausweglosen Situation will dagegen ankämpfen, will den richtigen Ausgang wählen, ins grosse Licht treten. Aber er merkt er kann es nicht.
Denn es fällt ihm auf dass über jedem Ausgang ein Bild von sich und seiner Geliebten befindet, ein Augenblick des puren Glücks, die Bilder versprühen diese Aura über dem ganzen Labyrinth, als Helfers Helfer der Liebe und Sehnsucht, wollen sie den Verirrten aus der Bahn werfen, ihn in einen anderen Ausgang locken. Was dem Traurigen allerdings nicht auffällt, ist das grösste, schönste und persönlich durch den Arm der Liebe gezeichnete Bild, ein Bild welches das perfekte Glück des Menschen verkörpert, alle Träume in sich zusammenfasst, ihn aus der Gefangenschaft dieses Labyrinths befreit und dies auf immer und ewig. Ein Bild mit der Macht Ketten zu sprengen, Brände zu löschen, die Flammen der Liebe zu nähren, Eis zu schmelzen. Doch dieses Bild wird übertrumpft durch das grelle Licht über dem Ausgang, der Leidende erkennt das Licht sofort, es blendet ihn, er muss es mit zusammengekniffenen Augen betrachten, sein Blickfeld ist so stark eingeschränkt, dass er das Bild nicht mehr erkennen kann. Nun dieses Labyrinth ist durchquert, der Süchtige hat sich anscheinend für einen falschen Ausgang entschieden, den mit dem schönsten für ihn wahrnehmbaren Bild darüber. Wieder in den gefluteten, mit Türen übersäten, den Sehnenden um die eigene Achse drehenden Raum zurück. Die Entscheidung unmöglich. Der Gedanke klar im Kopf. Aber wie klar kann eine Gedanke sein wenn man nicht mal weiss wo oben und unten ist, wenn man ständig durch das Wasser aus der Fassung, und ständig in Panik, aufgrund der vielen Türen, gerät? Unmöglich. Man trifft einfach eine Entscheidung, kämpft sich mühsam zu dieser Tür vor, öffnet sie und hofft auf positive Folgen.
Nun will ich die ganze paradoxe Situation auflösen. Der Kampf gegen die Sehnsucht ist wie ohne Kleider in der eisigen Kälte zu stehen, wie der Kampf Pistole gegen Messer, David gegen Goliath, Ein-Mann-Armee gegen eine wilde Horde. Ausweglos und ohne Aussicht auf Erfolg. Nur spielt sich dieser Kampf in unsern Köpfen ab, die Liebe und die Sehnsucht, die den ganzen Körper übernehmen können, mit der Kraft tausender, einer Kraft die den Menschenverstand übersteigt. Die Liebe und die Sehnsucht, die dem Individuum das Perfekte wünschen. Gegen den Verstand. Den messerscharfen Verstand, der niemals in der Lage ist den Körper zu übernehmen, und der sich beim Versuch, das Perfekte zu verstehen ausschalten muss, weil er an die Grenzen des menschlichen gebunden ist.
Die Sehnsucht kann den Kampf gegen den Verstand nur gewinnen, denn der Verstand spielt unaufhaltsam auf menschlicher Ebene, die Sehnsucht mit der Kraft der Emotionen, gewinnt auf er göttlichen Ebene, die bereits den Verstand übersteigt.
Luca DiCantina


© Luca DiCantina


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