Kreationismus – Grüße aus Pisa

. . . zunehmend irritiert verfolge ich die Diskussion zwischen den Anhängern der Kreationismus-These und den Vertretern der Evolutions-Theorie in den USA und vielleicht demnächst auch bei uns.
Wo liegen die Motive und können wir einen Nutzen aus dieser Kontroverse ziehen ?
Ich bin weder Wissenschaftler noch gläubiger Christ, gehöre also keinem der beiden „feindlichen „ Lager an – emotional beteiligt, wenn man so will, bin ich aber als ehemaliger Schüler eines Giessener Gymnasiums.( Abitur 1970)
Lassen Sie mich mit dem Jahr meines Abiturerwerbes beginnen, um die Beziehung zur Überschrift dieses Beitrages herzustellen. Ich hatte einen Biologielehrer an der Liebig Schule, Charly Heidt, noch heute vielen bekannt und in seinem Engagement herausragend.
Unvergessen wird mir bleiben, wie er uns Jugendlichen in den 60igern die Geschichte von Watson und Crick und deren Ehrung mit dem Nobelpreis 1962 für die die Entdeckung der Doppelhelix vermittelte. Nie wäre Heidt auf den Gedanken gekommen daraus abzuleiten, dass mit zunehmender Aufklärung der Vorgänge im Erbgut unser Menschsein weniger wertvoll wäre, oder dass die Idee von Gott dadurch an Bedeutung verlieren könnte. Diese Anekdote soll zeigen, dass der konstruierte Widerspruch zwischen Wissenschaft und Religion unnötig ist.
Wissenschaft ist niemals der Versuch, die Welt zu deuten. Wissenschaft ist sich immer Ihrer Grenzen bewusst und definiert exakt ihr Instrumentarium. Das wichtigste Instrument ist der menschliche Geist, Kreativität, Ideenreichtum, Enthusiasmus, Scharfsinn etc.
Wissenschaft ist ideologiefrei ! Die entstehenden Ergebnisse und Theorien sind für jeden Menschen überprüfbar, offene Fragen werden stets als solche beschrieben. Entstehen Unstimmigkeiten, treten Korrekturmechanismen in Kraft – ein mühsamer Prozess, an dem die fähigsten Köpfe unseres Menschengeschlechtes bis heute teilnehmen. Ist dieser banale
Sachverhalt in der Diskussion in Vergessenheit geraten?
Es ist immer die Rede von der Wissenschaft, die in Konkurrenz zur Religion tritt. Wie muss ich den Bildungshintergrund von Menschen bewerten,die diese nachweislich falsche Deutung von Wissenschaft im Umlauf halten. Ist da nicht zynisch böse Absicht im Spiel? Oder ist es schlicht Pisa? Spielen wir wieder das alte Spiel: Wer die Deutungshoheit hat,hat die Macht? Ist die segensreiche Trennung von Kirche und Staat, die europäische Aufklärung nichts mehr wert? Kann man vor dem Hintergrund schlechter Bildung, die diese mühsame Geschichte außer Acht lässt,und als Folge des Schulunterrichtes von zum Teil wenig oder falsch inspirierter Lehrern, die unmündige Masse wieder leichter mit Vorurteilen aufladen? Das wäre fatal – es sei denn, man strebt die Dominanz totalitären und fundamentalistischen Denkens an. Haben übrigens Wissenschaftler jemals Gläubige erschlagen, auf Scheiterhaufen verbrannt in Kreuzzügen ( 22 Millionen Opfer ) niedergemetzelt, in von den Kirchen angetriebenem kolonialen Wahn ganze Kontinente verwüstet? - war nicht falsches Religionsverständnis und dessen Instrumentalisierung in den letzten zwei Jahrtausenden das größere Problem? "Macht euch die Erde untertan . . . der Missionbefehl etc ". Katastrophal !
Wie klein und unbedeutend muss übrigens ein Gott sein, den man in Stellung bringen muss gegen Astrophysik, Genetik, Evolutionslehre etc. Gott „ will“ keine Speichellecker, deren Zweck und Ziel schon vor der Geburt definiert ist – Wir sind in der Verantwortung. Der Sinn des Lebens erschließt sich erst in seinem Verlauf und hängt im Wesentlichen davon ab, wie wir ihn definieren. Er ist abhängig vom Intellekt und Werdegang des Individuums. Wenn Religion Sinn machen soll, kann sie hierbei helfen.
Sie kann die Fragen zu unserer Existenz, die von der Wissenschaft nicht beantwortet werden können, aufgreifen.
Warum ist nicht Nichts? Ist es sinnvoll oder zwingend Ethik von Religion abzuleiten? Wie vermittelt man Toleranz im Konflikt mit dem Islam? Haben Ökologie und Glaube eine Beziehung zueinander?
Wie kann Religion zur Lösung nationaler und globaler sozialer Fragen im Zusammenhang
Mit der Globalisierung beitragen? Wie können wir ohne Angst leben und sterben?
Das Gebot der Bergpredigt, seine Feinde zu lieben, beeindruckt mich tief.
Das Leiden und Sterben des Jesus von Nazareth am Kreuz erfüllt mich mit Gefühlen höchster Anteilnahme – ich werde still . . .
Der Kreationismus jedoch erfüllt mich mit Scham,und er erschüttert mich zutiefst ob seiner Ignoranz vor der erhabenen Schönheit des Universums und der Tiefe des menschlichen Geistes.
Obsta principes !


© ulli nass


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Beschreibung des Autors zu "Kreationismus-Diskussion"

geschrieben 2007 - es gab dazu eine große Diskussion in Gießen

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Kommentare zu "Kreationismus-Diskussion"

Re: Kreationismus-Diskussion

Autor: BUECHERRMANN   Datum: 05.03.2014 11:11 Uhr

Kommentar: Es ist schlimm, was da abgeht!

http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/kreationismus-in-deutschland-vor-uns-die-sintflut-a-437733.html#

Aber nicht nur die Kreationisten, Verschwörungstheoretiker verschiedener Richtungen arbeiten zusammen, sogar angeblich feindliche (Kreationisten mit Hardcore-Muslimen) Neonazis, "Reichsdeppen" (sie erkennen die Bundesrepublik nicht an, nicht deren Regeln (Führerschein, Rechtssystem usw.) Esoteriker, Naturheilkundler, UFO-Gläubige und - non plus ultra - Chemtrail-Gläubige, die behaupten, mit den Kondensstreifen der Flugzeuge würden Gifte versprüht, die schlussendlich dafür sorgen sollen, dass nur 500 Millionen Menschen weltweit überleben …

Wie weit diese Zusammenarbeit und die "Baggerei" der verschiedenen Gruppierungen gediehen ist, das macht das Volksbegehren in der Schweiz deutlich. Dort hat man hauptsächlich über Internet die Befürworter überzeugt …

Treffpunkt aller VTler —► Kopp-Verlag —► http://www.kopp-verlag.de/


Das ist übrigens der einzige Verlag in Deutschland/deutschsprechendem Raum, der - trotz z. T. extrem hoher Buchpreise exorbitante Steigerungen vermelden kann …

Re: Kreationismus-Diskussion

Autor: Karsten Stapelfeldt   Datum: 05.03.2014 12:03 Uhr

Kommentar: Auch wenn es 2007 geschrieben wurde, ist es traurigerweise immer noch aktuell. Ich habe nichts gegen Menschen die einen Glauben haben oder an irgendetwas glauben, aber was mich mit kalter Abscheu erfüllt sind Menschen, die blindligs den diktierten Wahrheiten folgen, die ihenen von Predigern, religiösen Institutionen oder einem 3000 Jahre alten Buch vorgeschrieben werden.
Für mich scheint es so, als würden diese einfachen Dogmen besonders von denen begierig aufgenommen, die zu feige oder zu faul geworden sind für sich selbst zu denken.
Daher stimme ich deinem Titel "-Grüße aus Pisa" voll und ganz zu.

lG Karsten

Re: Kreationismus-Diskussion

Autor: ulli nass   Datum: 05.03.2014 12:11 Uhr

Kommentar: danke Karsten,

dein Kommentar bereitet mir einen guten Tag, auch wenn es ein ernstes
Thema ist.
lG
ulli

Re: Kreationismus-Diskussion

Autor: axel c. englert   Datum: 05.03.2014 12:37 Uhr

Kommentar: Hallo Ulli,
kann mich den Vor – Schreibern (nur chronologisch gemeint)
bloß anschließen.
Das ist ein kluger und leider permanent aktueller Text.
Das traurige Exempel George W. Bush hat bewiesen, was bei so
was raus kommt.
Principiis obsta! – ein Zitat von Ovid –
Für alle Verschwörungstheoretiker: wenn man „Ovid“ rückwärts
liest (den Namen, nicht die Schriften!) - dann entsteht doch...

LG Axel

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