Das Boot ächzt und stöhnt unter der Wucht der Schläge, die es von sturmgepeitschter See im Sekundentakt einstecken muss. Seit mehreren Stunden toben mit Urgewalt die Elemente, die Faust Neptuns schlägt Welle um Welle gegen die fünfzehn Meter lange Segeljacht und spült alles über Deck, was nicht angeleint ist. Fünf Männer kämpfen unter Aufbietung all ihrer Kräfte in stockdunkler Nacht gegen ein Kentern. Die Befehle, die der Skipper vom Ruderstand über das Cockpit brüllt, sind kaum zu verstehen. Die Männer sind schon oft gemeinsam im Mittelmeer gesegelt, doch so ein Unwetter haben sie noch nie erlebt. Der Regen peitscht ihnen waagerecht ins Gesicht, der Sturm zerrt an ihrem schweren Ölzeug und Welle um Welle rollt unverhofft von allen Seiten über sie hinweg. In der achterlichen Backbordkajüte, in seinen dunkelblauen Schlafsack gehüllt, liegt das sechste Crewmitglied, liegt ein Häufchen Mann zusammengerollt in Embryonalstellung und zittert wie Espenlaub seinem Ende entgegen. Sein Klagen und Flehen, sein Winseln und seine Gebete werden vom Tosen der Elemente verschluckt. Stetig und fingerdick läuft salziges Wasser über die weiße Backbordinnenwand seiner Kajüte und versickert neben seiner Koje irgendwo im Kiel des Bootes. Über eine Stunde schaut der Fredi dem Rinnsal schon angsterfüllt zu, hat die Innenbeleuchtung auf und wieder abgedreht und gehofft, dass er das alles nur träumt. Doch es war kein Traum, diese Reise war zu seinem gelebten Albtraum geworden, und er hatte ihn sich selbst zuzuschreiben.
Mit fünfzig Jahren sollte man eigentlich vernünftiger sein, in so einem Alter sollte man wissen, dass man Tabletten, die einem der Arzt verordnet hat, nicht einfach absetzen kann, schon gar nicht, wenn man sie zur Stabilisierung einer heimtückischen Krankheit einnehmen muss. Aber der Fredi tickte schon immer ein wenig anders und so glaubte er, auf diesem siebzehntägigen Überstellungstörn von Palma nach Split, im Beisein seiner Freunde, blauem Himmel, Meer, Wind und Sonne, da könnte er es wagen, da könnte er dieses Teufelszeug absetzen, dass ihn die letzten Jahre über stumpfsinnig und träge machte. Dann würde er nochmals neu durchstarten und sich von allen Sorgen befreien, die sein Ding ihm jeden Tag aufbürdet - Pustekuchen!
Jetzt rollt er im Schlafsack von einer Seite der Koje zur anderen, salzige Tränen quellen aus seinen Augen, er sieht in jeder Ecke, in jeder Ritze den nassen Tod lauern, der lachend seine schuppigen Hände nach ihm ausstreckt. Ohne den Beistand seiner Frau Petra und ohne seine Kinder nochmals in die Arme zu schließen würde er nun bald sterben, einsam und allein in sein nasses Grab abtauchen.
Als urplötzlich ein Brecher das tonnenschwere Boot trifft, es wie einen Korken über die fünf Meter hohen Wellen tanzen lässt, heult der Fredi zornig auf und gräbt seine Fingernägel in die dunkelblaue Matratze. Jedwede Hoffnung schwindet aus seinem Blick, weicht einem wütenden Funkeln in seinen Augen. Es müsste schon ein Wunder geschehen, denkt er, sollte die Bellissima diesen Sturm überstehen, zumal der Wassereintritt in seiner Kajüte kein Ende zu nehmen scheint und das Boot insgesamt gesehen in einem erbärmlichen Zustand war.
Er presst sein Gesicht in das modrig riechende Polster und die Tränen passen gut zur salzigen Feuchtigkeit seiner stockdunklen Kajüte, in der ein Geruch vorherrscht, als würde irgendwo eine Dose Salzheringe vor sich hingammeln.
„Klopf, klopf...“, sagt der Sturm und die tosende See streckt gierig ihre Hände aus, um Boot und Mannschaft in die Tiefe zu ziehen. Der Fredi fährt wutentbrannt hoch, nimmt die Taschenlampe und schaltet sie ein. Er hält sie sich unter das Kinn und rollt wild mit den Augen.
„Komm schon, Klabautermann“, schreit er zum Bullauge ins Heck, „hol mich doch, du feige Sau, worauf wartest du? Um mich ist es ja nicht schade! Nimm mich halt, aber lass die anderen am Leben, hörst du!“ Mutig und dem Wahnsinn nahe hat er dem Tod sein Angebot unterbreitet, wohl wissend, dass man mit dem nicht verhandeln kann. Er schaltet die Taschenlampe wieder aus, betrachtet eine Weile die weißen Gischthauben, die am achterlichen Bullauge lecken, blickt zu dem feuchten Rinnsal, das immer noch die Wand herab rinnt, dann rollt er sich schnaufend in seinen Schlafsack und presst sein Gesicht in das feuchte Polster.

Warten, warten, warten ... auf den Tod warten!

Ich fahr die Meile entlang ... fahr die Meile entlang! Wo bleibt er nur? Wo bleibt er nur, der nasse Tod?

Warten, warten, warten ...

Er hasste diese Warterei, die ihn die letzten Jahre über zermürbt hatte und die ihn wie den Ast einer knorrigen Eiche gebrechlich werden ließ.

Verdammte Warterei!

Ach du Schande, jetzt bin ich ja schon mittendrin in meiner Geschichte und du willst sicher wissen, wie diese abenteuerliche Reise begann und wer dieser Tränen sabbernde Leichtmatrose ist, der sich da in seiner Koje fast in die Trainingshose ... Na ja.

Pass auf ... Ich erzähle sie dir von Anfang an. Es ist die Geschichte eines Überstellungstörns, bei dem sechs Obersteirer von Palma de Mallorca nach Split – also durch das Mittelmeer von West nach Ost – segeln wollten. Aber vor allem die Geschichte eines Freizeitmatrosen, der voller Euphorie in Palma an Bord ging, weil er sein Ding loswerden wollte, sein Leben in den Griff bekommen wollte und von den Elementen, seinem Eigensinn und seiner Unvernunft auf das Wildeste zurechtgestutzt wurde.


© Alfred Stadlmann 2012


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Beschreibung des Autors zu "Gegen den Wind - Gegen jede Vernunft"

Dies ist der Prolog zu meinem neuesten Roman: Gegen den Wind - Gegen jede Vernunft.


Kurzbeschreibung:



Das DING war leise gewesen, hatte sich heimlich herangeschlichen und war urplötzlich über ihn hergefallen. Das DING hatte Manfred Prenners Leben pulverisiert und klebte seit drei Jahren an ihm, wie das Harz an den Bäumen. Es hatte Prenners Ehe an den Rand des Abgrunds gezerrt und ihn zu einer lethargischen Hülle verkommen lassen. Er hatte sich zurückgezogen und sein Hobby, das Schreiben, ließ ihn zusehends vereinsamen. Jede Minute, die er mit Nachdenken verbrachte, wie er diese Situation ändern könnte, machte ihn ärgerlicher. Und das war eines Mannes nicht würdig. Egal, er hatte aufgegeben, er war kein Mann mehr!

Die überraschende Einladung zu einem Überstellungstörn von Palma nach Split soll die Wende in Prenners Leben sein. Er nimmt sich vor zurückschlagen, will sein Leben und seine Ehe retten und das DING im Mittelmeer über Bord werfen und ersäufen. Doch bei seinem Vorhaben stehen ihm die raue See und ein desolates Boot gegenüber, ein mysteriöses Telefonat mit seiner Frau lässt ihn den Glauben an ihre Liebe zu ihm verlieren und schon entwickelt sich der vergnügliche Trip, im Kreise seiner fünf Freunde, zu einer lebensbedrohenden Erfahrung.


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