In Omnia Paratus

© Simone G

Kapitel 1 - Der Unfall


„Meinst du wirklich Sie kann uns hören?“, fragte Lorelei ihren Mann.

„Ich habe mal gehört, dass Koma Patienten alles hören können.“

„Hm… dann sollte ich ihr wahrscheinlich erzählen was seit gestern passiert ist. Oder was meinst du?“

Das Krankenhaus wirkte kalt und leblos – genauso wie ihre Tochter. Lorelei sah besorgt zu ihrer geliebten Tochter, die vor ein paar Stunden einen schweren Autounfall hatte. Ein Unbekannter hatte ihren Wagen von der Straße gedrängt und dabei verlor sie die Kontrolle über das Fahrzeug. Das Fahrzeug prallte frontal gegen einen Baum, der neben der Straße stand. Seit ein paar Stunden bangte Lorelei um das Leben ihrer Tochter Leighton. Leighton Körper hat eine Art Schutzmechanismus entwickelt und aus diesem Grund lag sie im Koma, so hatten die Ärzte Lorelei das zumindest erklärt. Ihre Verletzungen am Körper und Beinen waren bei weitem nicht gefährlich. Eine schwere Gehirnerschütterung, mehrere Schnittverletzungen und ein paar Brüche waren die leichteren Verletzungen. Den Ärzte machte es mehr Sorgen, dass ihr Gehirn eine leichte Schwellung hatte.

Lorelei Grimes schaute voller Trauer auf ihre geliebte Tochter. Vorsichtig setzte sie sich auf die Bettkante und griff nach der Hand ihrer Tochter. Mit dem Daumen strich sie behutsam über ihren Handrücken. Ihr Mann Lucas saß auf einem Stuhl am Fußende des Bettes und schaute die beiden Frauen stumm an. Das unentwegte Piepen der Geräte störte die Stille und dieses Piepen machte die besorgte Mutter unruhig.

Seit einer Stunde saß das Ehepaar nun bei Leighton und schaute ihr zu wie sie in ihrem Krankenbett lag. Der Geruch von Desinfektionsmittel lag in der Luft und obwohl Lorelei diesen Geruch nicht ausstehen konnte, hatte sie sich in den letzten Stunden daran gewöhnt.

„Schatz, gestern Abend war wirklich viel zu tun.“, begann sie und musste einen Kloß in ihrem Hals runter schlucken. „Kannst du dir vorstellen, dass Michael es tatsächlich schaffte freundlich zu sein?“, fuhr sie mit ruhiger Stimme fort.

Doch die dunkelhaarige Lorelei konnte nicht weiter sprechen und obwohl man Lorelei als eine redselige Person kannte. Ohne Punkt und Komma zu reden hatte sie in ihren 48 Jahren perfektioniert. Lucas hatte sie so kennen und lieben gelernt. Vor sechseinhalb Monaten gaben sie die Beiden das Ja Wort, doch so hatte Lucas seine Frau noch nie gesehen.

„Leighton ist doch eine gute Fahrerin.“, drang Loreleis Stimme durch die Stimme.

„Sie konnte nichts dafür.“

Ihr Mann hatte recht. Leighton konnte wirklich nichts dafür. Das bestätigte auch die Polizei. Die Polizei fand Bremsspuren auf einer Länge von 10,7 Meter, die man Leightons Fahrzeug zuordnen konnte. Aber da in der letzten Nacht nass war, rutschte Leighton über den Asphalt in den Graben und nur der Baum konnte das Fahrzeug stoppen. An der Unfallstelle sicherte die Polizei ein paar Glassplitter und es besteht der Verdacht, dass ein paar Glassplitter zu dem unbekannten Fahrzeug gehört. Man nahm Lorelei jedoch die Hoffnung, dass man den unbekannten Fahrer finden würde.

Lorelei stellte sich immer wieder vor wie schrecklich das gewesen sein musste, wenn man die Kontrolle verliert und auf einen Baum zusteuert. Seit Stunden kreisten dieser Gedanke immer wieder in Kopf herum.

Lucas beugte sich nach vorne auf das, legte seine Arme auf den Bettrand und seufzte. Er hatte ein langes Gespräch mit den Polizisten geführt um auf den Laufenden zu bleiben. Aber auch ihm sagte man, dass die Chancen schlecht standen den flüchtigen Fahrer zu finden. Besorgt schaute Lucas auf seine Frau. Lorelei hatte mittlerweile dunkle Augenränder und ihre Augen waren ausdruckslos.

Während Lorelei mit ihren Tränen kämpfte, klopfte es leise an der Tür und Dr. Hadley betrat kurz darauf den Raum. Lucas nickte dem Arzt zu als er sich erhob. Dr. Hadley war um die 50 Jahre alt und so langsam bekam er graue Haare. Seine dunkelgrauen Augen waren freundlich und seine Worte waren stets einfühlsam.

„Miss Grimes?“

„Dr. Hadley.“, antwortete Lorelei und schaute ihn an.

„Wir haben die Auswertungen des CTs gerade bekommen. Die Schwellung im Gehirn ist unverändert.“

Die 48 Jährige musste ihren Blick von dem Arzt abwenden, denn das wollte sie nicht hören. Sie hatte die Hoffnung gehabt, dass die Schwellung zurück gehen würde.

„Okay. Was bedeutet das für die Beiden?“, erkundigte sich Lorelei.

„Der Gynäkologe meint, dass wir nicht länger warten sollten. Wir haben beschlossen ihre Tochter jetzt noch zu operieren. Wir holen das Baby und kümmern uns dann um ihre Tochter.“

„Verstehe.“

Den Blick auf ihre Tochter gerichtet, dachte sie an die Frage, die man ihr vor ein paar Stunden gestellt hatte. Die Ärzte wollten wissen, wem sie helfen sollten. Ihrer Tochter oder dem Baby. Eine solche Entscheidung wollte Lorelei nicht treffen, denn sie wollte das man Beiden hilft.

Mit zusammen gepressten Lippen schaute sie ihren Mann und dann Leighton an.

Leighton war noch fast im siebten Monat schwanger. Die Ärzte hatten das Ehepaar ausführlich darüber aufgeklärt, welche Risiken eine Frühgeburt mit sich bringen würde. Wenn man das Baby holen würde, müsste man es in einen Brutkasten legen, damit es gewärmt und unter Umständen mit Sauerstoff versorgt wird. Zudem musste man damit rechnen, dass das Baby mit einer Sonde ernährt wird. Die Ärzte hatten auch angedeutet, dass die Lungen und das Herz des Babys noch nicht vollständig entwickelt sein könnten.

„Wie lange wird es dauern? Wann können wir dann unser Enkelkind sehen?“, fragte sie Dr. Hadley und schaute bei ihren Worten ihre Tochter an.

„Das kann ich nicht genau sagen. Es wird ein paar Stunden dauern und ihr Enkelkind können sie sehen sobald wir ihn untersucht haben.“

Lorelei nickte. Diese Entscheidung wollte sie eigentlich nicht alleine treffen. Ihr Mann stand ihr zwar bei, aber er war der Meinung, dass sie alles für das Baby tun sollten. Dieses Thema hatte in den letzten Stunden bei dem Ehepaar für einen Streit gesorgt. Doch jetzt stand dieses Thema nicht mehr zur Diskussion. Ihre Tochter musste operiert werden und vorher wollten die Ärzte das Baby holen. Jedoch war Lorelei noch immer der Meinung, dass der Vater des Kindes Bescheid wissen müsste. Ihr Mann sah das anders. Er war der Meinung Leighton müsste diese Entscheidung selbst treffen. Lorelei hatte Lucas erzählt, dass sie wusste wer der Vater war, doch sie hatte es ihrem Mann vorenthalten. Leighton wollte ihr Kind alleine groß ziehen, so wie ihre Mutter es gemacht hatte und das respektierte Lorelei auch bis vor ein paar Stunden.

Dr. Hadley schaute noch kurz auf die Monitore und notierte einige Werte auf der Krankenakte ehe er dann das Krankenzimmer verließ. Lorelei setzte sich wieder zu ihrer Tochter auf das Bett und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Vor zweieinhalb Stunden war noch alles in Ordnung.“, sagte sie leise.

Lucas seufzte und ehe er etwas sagen konnte, kam eine Krankenschwester in das Zimmer.

Sie versuchte freundlich zu lächeln als sie auf das Krankenbett zu ging. Die Schwester bereitete alles vor bevor eine weitere Schwester mit grüner Kleidung das Zimmer betrat.

„Ich nehme ihre Tochter jetzt mit in den OP. Gehen sie sich ruhig etwas ausruhen.“

„Wenn sie… also… melden sie sich?“, stammelte Lorelei.

„Wir rufen sie an, wenn sie aus dem OP kommt.“

Das Ehepaar nickte. Bevor man Leighton aus dem Zimmer fuhr verabschiedeten sich Lorelei und Lucas bei ihr. Die Schwestern fuhren dann das Bett aus dem Krankenzimmer und Lorelei ging bis zur Tür mit. Etliche Tränen rannten ihr über die Wange und etwas unbeholfen versuchte sie die Tränen mit dem Handrücken weg zu wischen.

 

Mit seiner Frau im Arm ging er zum Aufzug. Während sie auf den Aufzug warteten betrachtete Lucas seine Frau. Er liebte sie und ihren Frohmut und ihre spezielle Art. Doch seit ein paar Stunden sah man davon nichts mehr. Seine Frau sah müde und erschöpft aus. Ihre Fröhlichkeit hatte sie verloren. Allerdings hatte er Lorelei bei ihrer Hochzeit versprochen immer an ihrer Seite zu sein. In guten wie in schlechten Zeiten, so hieß es in ihrem Ehegelübde. Das Ping des Aufzug ließ ihn in die Realität zurück kehren.

Nachdem das Ehepaar im Aufzug stand und Lucas auf den Knopf für das Erdgeschoß gedrückt hatte, schaute Lorelei ihren Ehemann an. Ihr Mund öffnete sich und schloss sich direkt wieder. Lucas bemerkte nicht, dass seine Frau etwas sagen wollte, denn er schaute auf die Anzeige über den Türen. Lorelei hingegen dachte nach. Sie erinnerte sich an ein Gespräch zwischen ihrer Tochter und ihr ein paar Tage vor ihrem Unfall. Bisher hatte sie Lucas davon noch nichts erzählt gehabt, da sie wusste, dass Lucas sich aus diesem Thema halten würde. Er hatte sich bisher noch nie zwischen den beiden Frauen gestellt und würde es in Zukunft auch nicht tun.

Das erneute Ping holte diesmal Lorelei in die Realität zurück. Doch anstatt das Krankenhaus direkt zu verlassen ging die 48 Jährige zu der Cafeteria. Auch wenn es mitten in der Nacht war und die Cafeteria eigentlich geschlossen hatte konnte man Kaffee an einem Automaten ziehen.

“Ich brauche nur einen Kaffee und dann können wir fahren, ja?”

Lucas nickte, denn er wusste das er keine Chance gehabt hätte seine Frau direkt zum Gehen zu überreden.



Nachdem Lorelei einen Kaffee hatte gingen die Beiden zum Ausgang. Lorelei atmete die frische recht kühle Luft tief ein. Es war eine sternenklare Nacht und der Mond schien hell am Himmel. Lucas ging in Richtung Wagen während Lorelei sich kaum vom Krankenhaus trennen konnte. Sie drehte sich nochmal zum Eingang um und schaute die Fassade empor. Das Krankenhaus hatte zwar nur 7 Etagen, aber es erschien ihr riesig. Die meisten Fenster waren dunkel und nur die Leuchtbuchstaben über dem Eingang erhellten die Fassade.

“Vielleicht können wir ja warten. Es dauert ja vielleicht nicht so lange.”

Lucas seufzte und ging wieder zu seiner Frau um sie in den Arm zu nehmen.

“Lorelei jetzt komm. Wir sollten uns ein Hotel suchen und uns etwas ausruhen.”

Nur widerwillig ließ sie sich von ihrem Mann zum Wagen begleiten. Als sie im Wagen saß sah sie zum Eingang. Wie in Trance nippte sie an ihrem Kaffee als Lucas den Wagen startete und sich auf der Straße einfädelte.

Während ihr Mann nach einem Hotel Ausschau hielt, starrte Lorelei die vorbeifahrenden Gebäude stumm an. Immer wieder hörte sie die Worte von Dr. Hadley in ihrem Kopf. Immer wieder gingen ihr tausende Sachen durch den Kopf. Das schlimmste war, dass Leighton oder ihr Kind die Operation nicht überstehen würde. Als Lucas um viertel vor eins nachts rechts an den Straßenrand fuhr schaute Lorelei Lucas fragend an.

“Das hier ist nicht weit weg und sieht ganz nett aus.”, erklärte er.

Fragend runzelte sie ihre Stirn ehe sie ihren Blick von ihrem Mann ab wendete und auf ein Hotel schaute. Doch Lorelei sagte nichts. Stumm stieg sie aus dem Wagen aus und schaute wieder an eine Fassade empor. Lucas eilte um seinen Wagen und nahm Lorelei wieder in den Arm.

Arm in Arm betraten sie das Hotel. Die kleine Lobby war gemütlich eingerichtet. Zwei Sofas, ein Tisch und ein Sessel standen rechts von dem Eingang und links war die Rezeption. Die Wände waren in einem dezenten Beige gestrichen und auf einer Höhe von circa ein Meter zwanzig war ein Cappuccinofarbiger Streifen, der die Lobby etwas auflockern sollte. Nicht eine Menschenseele war zu sehen als die Beiden zur Rezeption gingen. Auf dem Tresen stand eine kleine Klingel auf die man drücken musste. Es ertönte ein Ping als Lucas darauf drückte. Wenige Augenblicke später stand eine freundliche Dame vor ihnen.

Nach fünfzehn Minuten hatten sie Beiden ein Zimmer bekommen und betraten gerade das Zimmer. Das Zimmer war weiß gestrichen und über dem Kingsize Bett hang ein modernes Bild. Eine wilde Malerei, auf der man nicht erkennen konnte was es eigentlich darstellen sollte. Doch es lockerte das Zimmer auf. Vor dem großen Fenster, mit dem kleinen Balkon stand ein Sofa mit einem Tisch, zwei Sesseln und an der Wand gegenüber hing ein LCD Fernseher.

Da das Ehepaar vor ein paar Stunden ohne Sachen losgefahren waren mussten sie nichts auspacken. Lucas wollte nur noch ins Bett um zu schlafen, doch Lorelei ging viel zu viel durch den Kopf.

“Lorelei komm ins Bett.”, bat er seine Frau.

Lorelei hatte sich auf das Sofa gesetzt und griff nach der Fernbedienung.

“Schlaf du ruhig. Ich schaue noch etwas fern und gehe dann ins Bett.”

Lucas presste seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen während er seine Frau betrachtete. Es hatte keinen Sinn mit ihr zu diskutieren. Lorelei würde sich nicht ins Bett schicken lassen. Lucas war zudem so müde, dass er eine Lorelei Grimes Diskussion jetzt nicht aushalten würde. Kaum hatte er sich auf die Seite gelegt schlief er erschöpft ein.

Lorelei zappte durch das Programm und dachte nach.


© Simone G


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Beschreibung des Autors zu "In Omnia Paratus"

Das Schicksal entscheidet über Glück und Leid. Das musste auch Leighton am eigenen Körper erleben. Doch wie geht Sie mit ihrem eigenen Schicksal um? 

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