Wir sassen schon im Auto, als Vater sich auf den vorderen, linken Sitz setzte. Er begann am Lenkrad herum zu hantieren und brachte das Auto zum fahren, während er immer wieder diesen komischen Hebel in der Mitte der beiden Sitze vor und zurückschob, dessen Nutzen ich noch nie verstanden habe, auch wenn ich ihn schon einmal danach gefragt habe und er es mir dann erklärt hatte. Vater hatte uns gesagt, wir würden einen Film anschauen gehen, weil Mutter im Krankenhaus arbeiten müsse. Ich freute mich, denn mein Bruder und ich waren uns einig, dass Vater nicht oft mit uns weg ging und heute deshalb ein besonderer Tag sei, weil er mit uns ins Kino einen Film anschauen kam. Während der Autofahrt, die mir erstaunlich lange vorkam, schaute ich zum Fenster hinaus und fuhr mit dem Finger den kleinen Regentropfen nach die über die Scheibe glitten und stellte mir vor, sie wären kleine Flüsse. Ich überlegte ob wir wohl in die Stadt fuhren, was ich Vater dann auch frage, er mir aber keine Antwort gab, weil er einem manchmal einfach nicht zuhörte. Als wir beim Kino ankamen sagte Vater zu uns, bleibt hier stehen, ich komme gleich wieder, und ging dann zum Schalter, um uns Tickets für den Film zu besorgen. Im Kino war es warm und roch nach Popcorn. Wir setzten uns in einen der mit blauem Samt bezogenen Sessel, in welchem ich einsank und so nur noch die Hälfte der Leinwand sehen konnte. Es lief gerade eine Werbung über eine Uhr, die aussah wie jede andere Uhr, aber wenn die Leute sie anzogen begannen sie wie wild zu tanzen und ich fragte mich, ob das wohl eine spezielle Tanz Uhr war. Als dann alle Lichter ausgingen und der Film begann, stupste ich meinen Bruder an, der die ganze Zeit über mit seinem kleinen Stoffhund gespielt hatte, welchen er heimlich Zuhause eingesteckte, als Vater nicht hingesehen hatte, und teilte ihm mit, dass der Film anfing. Er blieb dadurch jedoch völlig unbeeindruckt. Im Film ging es um ein grosses Schiff was ich toll fand, denn ich war auch schon einmal auf einem Schiff über einen See gefahren. Auf diesem Schiff gab es ganz viele Leute, deren Namen ich mir nicht merken konnte, weil es so viele waren, sie manchmal immer wieder vorkamen oder eben nach ihrem Auftritt spurlos verschwanden. Als ich einmal zu meinem Bruder hinüberschielte, war er eingeschlafen und ich starrte ihn einige Sekunden lang an ohne zu blinzeln, bis meine Augen tränten und ich mich wieder dem Film zu wand. Auf der Leinwand war gerade ein Mann zu sehen, der eine Frau auf ein Blatt Papier zeichnete, und sie redeten und lächelten sich ab und zu an. Nach dieser Szene war Pause und Vater kaufte mir ein Erdbeereis, wovon meine Finger klebrig wurden. Ich musste kurz aufs Klo und als wir danach wieder in den Kinosaal kamen konnte man schlecht atmen weil es so stickig war. Die zweite Hälfte des Filmes gefiel mir bedeutend weniger. Gegen Ende rannten plötzlich alle Leute, deren Namen ich nicht kannte auf dem Schiff hin und her, so dass mich das Bild an einen Ameisenhaufen erinnerte. Leute schrien und dann war da überall Wasser, das alles überschwemmte und ich stupste meinen Vater mit dem Ellbogen an und fragte, was ist denn da los, wieso ist überall Wasser, und er antwortete mir, das der Kapitän des Schiffes, was auch immer ein Kapitän war, mit dem Schiff gegen einen grossen Berg aus Eis gefahren sei, und das Schiff jetzt sinken würde. Offenbar konnte dieser sogenannte Kapitän keine Schiffe steuern, wenn er damit gegen Berge fuhr dachte ich bei mir und überlegte mir, ob Berge aus Eis vielleicht so durchsichtig seien, dass man sie nicht sehen konnte und der sogenannte Kapitän deshalb in einen solchen eisigen Berg gefahren sei. Plötzlich waren da wieder diese Frau und der Mann, welcher sie abgezeichnet hatte. Die Frau lag auf einem Stück Holz und der Mann schwamm neben ihr im Wasser und versuchte sich an der Oberfläche zu halten. Dann redeten sie wieder miteinander und die Frau weinte ganz schrecklich, bevor sie die Hand des Mannes los liess, welcher dann untertauchte. Ich verstand nicht, warum die Frau ihn losgelassen hatte, denn er hätte doch zu ihr auf das Holzstück liegen können, aber dann war der Film ganz plötzlich fertig und ich kam zum Schluss, dass die Leute die den Film gedreht haben das bestimmt ausprobiert hatten. Wir blieben noch ein bisschen in den weichen Kinosesseln sitzen, bevor wir wieder nach Hause fuhren.


© faella


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Beschreibung des Autors zu "Ein Kinobesuch"

Ein Text aus der Sicht eines Kindes zum Buch "Friedliche Zeiten" von Birgit Vanderbeke.

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