Kapitel 1

Vor Leonards Augen verschwamm alles.
Er zuckte unaufhörlich und beäugte die drei Gestalten am Graben.
Und so, wie die Dunkelheit sich ausprägte, so schwand die Hoffnung und die Verzweiflung brannte in ihm. Hilflos stemmte er sich gegen einen morschen, alten Baum und versuchte sich aufzurichten.
Sein Vater war mit dabei gewesen.
Er hat es zugelassen, er hat es zugelassen, dass Taylor seine Mutter umbrachte.
Diese widerliche Katze!
Bei dem Versuch zu schreien brach seine Stimme ab und er fand sie nicht mehr wieder.
Tränen kullerten über seine kalten Wangen und humpelnd und zittrig ging er zurück in das Schloss. Er hätte nichts ausrichten können. Hätte er wohl, bloß er war zu schwach, zu zimperlich und dumm.
Eben ein kleine, zimperliches Kind. Nun wütete er. Wehmütig und erschüttert von den letzteren Geschehnissen taumelte er durch das lange Schlossgarten und fragte sich nun, welcher Vorwand ihn dazu geführt haben musst, auf diese Lichtung zu gehen.
Zorn brannte in ihm auf, und Leonard gab sich selbst das Versprechen, dass dies die letzte Träne sei, die über seine Wange lief.
Verständnislosigkeit hemmte den Geruch des Blutes in seiner Nase, den er immer noch aufzunehmen schien und wie ein Video auf Band folgten die Bilder dieser widerlichen Katze.
Die spitzen Zähne diese Krallen und dann der tödliche Sprung und der Biss.
Leonard musste diese Bilder ausblenden. Immer wieder versuchte er sich einzureden, dies sei nur ein Traum, ein blöder Alptraum - vergebens!
Sein Kopf schwirrte. Wankend verlor er das Gleichgewicht und lies sich in das feuchte Gras im Schlosstoren sinken. Von der Dunkelheit heraus schimmerte das Gesicht seines Vaters.
Abrupt geriet Leonard in eine gefährliche Kauerstellung und fing instinktiv an zu knurren.
Er nahm das Geruch des Blutes wieder auf, und auf unerklärliche Weise spreizten sich seine Finger nach vorne. Eine Woge unhaltbarer Jagdinstinkte durchströmte ihn.
Gedankenverloren drehte er sich um. Alles gegenständliche um ihn herum glühte weiß, nur der Himmel war in schwarzer Farbe getaucht. Die vage Erinnerung Taylors trieb ihn erneut an. Dieses Mal reckte er unwillkürlich sein Kopf nach vorne und lauschte. Nun ging Leonard selbstsicher und auf zwei Beinen auf die Tore zu;er stellte fest, sie war verschlossen. Augenblicklich ermannte in ihm die Ungeduld und etwas in ihm zerrte an seinen Empfindungen. Diese ganze Sache war seiner Meinung nach irrational. Wutentbrannt hämmerte er mit der flachen Hand gegen das Schlosstor. Mit jeder Sekumde,die er vergeudete,vermehrte sich seine Unkontrollierbarkeit. Die nächste Handlung war wieder einmal intuitiv. Mit schnellen Bewegungen glitten seine angespannten Fingerspitzen an das metallene Gitter der Tore. Flink und ohne Schmerz zu verspüren riss er das kiloschwere Metallgitter Klinge um Klinge herunter. Seine Finger bluteten, doch irgend ein Impuls zwang ihn dazu weiterzumachen. Inständig kämpfte er gegen den Schmerz an, der sich zuweilen von seinen Fingerspitzen bis zu den Handflächen ausbreiteteund und ließ einen erschreckenden Schrei von sich geben.
Im nächsten Moment riss er sich schmerzverzehrt zu Boden.
Dieser Schrei widerhallte in seinem Brustkorb. Widerwillig und dennoch blitzartig sprang er auf und schleuderte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Außenmauern rings um das Burgtor.
Er kratzte mit den Fingerspitzen an den kühlen Steinen und beförderte die Füße ebenfalls auf dem Boden, doch der Versuch die Außenmauer zu besteigen, scheiterte und abermals schrie er vor Schmerz und Zorn auf und versuchte sich hochzustemmen. Einmal schaffte er eineinhalb Stockwerke hoch, fiel dann jedoch hinab und schrie fürchterlich auf. Er musste versuchen sich zu besinnen, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Sich zu fragen, was mit ihm los sei.
Sie würden bald zurückkommen, er müsste sich also beeilen. Leonard schloss die Augen, dachte an seinen Vater, an Taylor und schoss hoch in die Luft und vergaß den Schmerz.
Er flog durch die Luft und konnte sich rechtzeitig mit seinen Krallen an einem Baumstamm hoch in den Ästen eines Baumes abfangen.
Doch nun war er mit seinen Kräften am Ende.
Sein Körper war zu schwach und viel zu ausgelaugt um noch einen einzigen Befehl seines eigenen zu befolgen.
Noch ein letzter Sprung auf die in sieben Meter entfernt gelegenen Höhe der Fensterbank und er wäre endlich drin.
Verstohlen blickte er noch einmal um sich. Kein weißer Schimmer war zusehen. Seine neue Atmospähre verwirrte Leonard keines Wegs. Er hatte nichts zu riskieren. Die Versuchung verführte ihn. Leonard trotzte den Widerstand seines Körpers. Zerstreut dachte er an diesen Katzensprung von Taylor und der Sprung mit der Diane erledigt wurde, den Todessprung.
Heftig Zitternd realisierte er diese Bewegung. Er ging in die Hocke, streckte seine Arme.
Doch der dünne Ast, auf dem er sich befand erschwerte die Praxis.
Die Fingerspitzen waren nach innen verzogen.
Als nächstes zog er seinen Bauch ein und trat vorsichtig einen Schritt zurück auf dem am Nächsten gelegenen Ast.
Dann legte er seinen Kopf schief, sprang ab und flog länglich mit einer Kurve nach rechts auf die entsprechende Fensterbank und landete sanft auf den marmornen Stein.
Und tatsächlich, ein unvorsichtiges Zucken später, zerbarst das Fenster in tausende Glassplitter. Dieser Sprung war tödlich. Der Sprung Dianes war demnach unvermeidlich gewesen.
Und nun hatte er die Macht Taylor das Selbe anzutun. Er war nun auch in der Lage dieses seinem Vater widerfahren zu lassen. Dann fragte er sich ob er wirklich so grausam sei und zweifelte.
So viel war Beweis genug dafür in was für eine Bestie sich Leonard verwandelt hatte.
Der Gedanke an seinen jetzigen Zustand brannte in seinen Gewissen.
Wie könnten es Menschen schaffen anhand verstärkter emotionaler Ausbrüche die durchschnittlichen eines jeden zu überschreiten.
Schwermütig und aus den Gedanken gerissen kletterte Leonard in das Turmzimmer im 3.Stock.
Sein Herz raste und ununterbrochen rang er nach Luft. Sein Vorhaben bestand nur darin, einer vertrauten Person zu erläutern, was gerade geschehen war.
Doch so langsam sickerte ihm schemenhaft eine Erinnerung, dass er sich mit Stella auf der Lichtung treffen wollte, bis passierte was passierte.
Sekundenlang überlegte es Stella beizubringen, erfolglos.
Stella war viel zu zart, zu süß, zu wichtig um sich so einer herzzerreißenden Geschichte zu widmen.
Sie dürfte es nicht erfahren.
Leonard würde es nicht über das Herz bringen ihr das anzutun. Niemals.
Sie würde das nicht verkraften er würde dafür sterben müssen.
Völlig zerstreut kauerte Leonard in einer Ecke des runden Raumes und schaute aus dem Fenster.
Er betrachtete den Mond, die Sterne, den Wald, den undenkbar schönen dunkelblauen Himmel…
Wie könnte er mit Stella leben, wenn er eine tödliche Bestie war, die scharfe Krallen und spitze Zähne besaß und dazu fähig war innerhalb von Sekunden kiloschwere Dinge oder Menschen zu zerschmettern.
Was, wenn er ihr etwas antun würde, sie verschrecken würde oder gar verletzen.
Bei dem Gedanken schauderte er schlimmer als je zuvor.
Es gab nur eine plausible Alternative, sie war regelrecht die Erlösung seiner Schattenseiten und dennoch würde es ihm große Überwindungen kosten sie zu bewältigen.
Er dürfte Stella nicht mehr unter die Augen treten.
Er müsste ständig von ihr fliehen, egal wie weit sie ihn verfolgte.
Wenn sie sich je wieder begegnen würden müsste er sich wieder von ihr distanzieren, vor allem geistig.
Er konnte sie nicht so eine Gefahr aussetzen selbst wenn er so besessen nach ihr war.
Das stand außer Frage.
Und dass er sie trotz Allem verletzen müsste und dass er sich selbst verletzen müsste, das stand nicht außer Frage.
Doch seine Gefühle zu ihr waren zu stark, nahe zu unüberwindbar.
Anderseits bestand noch eine andere Möglichkeit:
Eine einfache Bitte an Taylor, ihn von sich überzeugen zu lassen.
Taylor war ebenso eine mörderische Maschine, wie er.
Allerdings erlangte Sir Taylor diese Beschaffenheit noch viele Jahre zuvor.
Er müsste also definitiv gefährlicher sein als Leonard.
Und wenn er schaffte seine Mutter umzubringen, warum würde Taylor Leonard den Gefallen nicht
gestatten, ihm auf dieselbe Weise das Leben zu nehmen?
Stellas Sicherheit wäre das auf jeden Fall wert und selbst der Tod würde ihn nicht daran hinderd, sie irgendwie in Schutz zu nehmen, doch er kannte ihr Temperament.
Sie würde alles daran setzen ihn wiederzufinden.
Ihr Leben stand in Frage.
Stella nie wieder zu sehen würde zu schmerzhaft werden.
Nie wieder ihr strahlendes Lächeln zu erwidern.
Ihr zu winken und sie zu grüßen. Einmal als sich ihre Blicke trafen , hätte er Luftsprünge machen können. Die Intensität ,die er verspürte, wenn er ihr zu nahe war.
Wenn er jetzt daran dachte wollte er die Gedanken nur verdrängen.
Leonard rang nach Luft.
Das waren Erinnerungen, die man nicht vergessen sollte, nicht vergessen konnte.
Ihn gewährte man es nicht sie zu zerstreuen. So würde er die Zeit lieber tot und erinnerungslos absitzen, als sich bei lebendigem Leibe von diesen Erinnerungen quälen zu lassen.
Sie müsste ein normales Leben führen, ihn vergessen , eine Berufung erlangen ,sich in einen Menschen verlieben , heiraten , ein glückliches und wohlbehütetes Leben führen und wenn es vorbei war, sollte sie in einen sanften , tiefen und endlosen Schlaf fallen.
Nur das verdiente sie und nur das wünschte er sich.


© liam


1 Lesern gefällt dieser Text.



Beschreibung des Autors zu "Unerwartet"

Es geht um einen jungen Mann, dessen Familie das Geheimnis jahrelanger mutierender Menschen vor ihm geheimhielt, der sie jedoch hautnah miterlebt.
Bitte kommentieren! Es ist ein Romanausschnitt.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Unerwartet"

Re: Unerwartet

Autor: Schmusekatze   Datum: 18.11.2013 12:15 Uhr

Kommentar: kann man den roman irgendwo lesen?

Kommentar schreiben zu "Unerwartet"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.