So das wars. Geschafft. Der Letzte Reißverschluss ist nun auch zu.
Zufrieden blicke ich auf meine zwei Koffer und meiner Reisetasche, die ich schon zu meinen Volleyballzeiten hatte. Schon komisch, wenn man seinen gesamten Kleiderschrank in nur zwei Koffern und einer Reisetasche packen konnte.
Okay, ich gebe es ja zu. Ich gehörte nie zu den Art Mädchen, die allein an die 300 Paar Schuhe besaßen.
Den Großteil meines Kleiderschrankes machten Jeans, T-Shirts, Tops, Pullover und Sneakers aus.
Kleider besaß ich fast keine, warum auch? Ich sah keinen Grund darin welche zu besitzen, wenn ich sowieso nie die Gelegenheit dazu hatte eines zu tragen. Ich wurde nie von meinen Mitschülern zu ihren glamourösen Festen eingeladen und verbrachte meine Sonntage nicht damit auf irgendwelchen x-beliebigen Charity Veranstaltungen zu gehen.
Das hieß nicht, dass ich keine Freund in der High School hatte, im Gegenteil ich hatte massenweise.
Es ist nur so, dass diese nicht mit irgendeinem protzigen Sportwagen zur Schule fuhren wie ein Großer Teil unserer Mitschüler. Wir gehörten nun wie soll ich es sagen zu Bodenständigen. Genau das war das Richtige Wort um uns zu beschreiben und ehrgeizig, darf ich nicht vergessen.
Diese Zielstrebigkeit hat mir schließlich ermöglicht an der Howard University in Washington D.C. angenommen zu werden, wo ich den kommenden Herbst auch studieren werde. Ich will Anwältin werden.
Warum ich jetzt schon packe, wenn mir bis zum eigentlichen Universitätsbeginn noch vier Monate bleiben?
Darauf habe ich zwei Erklärungen. Eine Offizielle und eine Inoffizielle.

Die Offizielle lautet, dass ich mir vor Studienbeginn noch etwas dazuverdienen will. Um dies zu erreichen, werde ich nach England reisen und dort in einer sehr reichen Familie als Babysitterin tätig sein. Außerdem gibt mir das die Möglichkeit endlich die U.S.A. zu verlassen. Versteht mich nicht falsch ich liebe meine Heimat über alles, aber ich habe eben noch nie etwas anderes gesehen. Ich war noch nie in Europa. Die weiteste Reise, die ich je unternommen habe, war von Los Angeles, meiner Heimatstadt, nach St. Francisco und das konnte man nun wirklich nicht als Weltreise ansehen.
Die Inoffizielle Erklärung ist viel kompliziertet und hat etwas mit meiner bisherigen Lebensgeschichte zu tun. Meine Eltern waren beide sehr jung, als sie herausfanden, dass meine Mutter mit mir schwanger war. Sie versprachen sich beide, dass sie es dennoch versuchen würden. Meine Mutter stammte aus England und war nur auf längeren Besuch in Amerika. Außerdem war sie Mitglied einer sehr wichtigen und adeligen Familie. Ihr Vater war ein Lord. Meinen Vater selbst erwartete eine vielversprechende Karriere als Profibaseballspieler, was er auch wurde. Heute ist er einer der Berühmtesten Spieler der New York Yankees. Da passte eben eine Tochter nicht ins Bild. Als ich knappe drei Monate alt war, beschlossen sie dass es das Beste für alle wäre, wenn meine Tante Sally und mein Onkel Tom mich adoptieren und ich bei ihnen aufwachsen würde. Die beiden wünschten sich schon seit langem Kinder, konnten aber keine eigenen bekommen. Mein Vater konnte sich somit auf seine Karriere konzentrieren und meine Mutter konnte nach England ohne mich zurückkehren, wo sie nur 2 Jahre später einen Millionär heiraten sollte.
Natürlich hätte es kein gutes Licht auf ihre Familie und Sie geworfen, wenn sie von ihrer Amerikareise mit einem Mädchen zurückgekommen wäre, was für ein Skandal!
Wie schon vorhin erwähnt, war diese Entscheidung die Beste für alle Beteiligten. Für alle, außer für mich. An mich hat niemand gedacht und noch weniger an meine Gefühle.
Versteht mich nicht falsch, ich liebe Onkel Tom und Tante Sally. Wirklich. Sie waren es, die sich um mich gekümmert haben, wenn ich mal wieder mit einer Grippe im Bett lag. Sich gefreut haben, wenn ich eine A+ nach Hause gebracht habe. Sie und nicht meine leiblichen Eltern.
Meinen Vater habe ich insgesamt drei Mal gesehen und wenn ich ehrlich war, ist es mir egal. Die drei Mal, die er sich für mich Zeit genommen hat, waren milde ausgedrückt etwas grauenvoll. Immerhin hat er sich dazu bereit erklärt mir mein Studium zu finanzieren.
Aber was ich nicht verstehen konnte, wie meine Mutter es über sich bringen konnte mich einfach zurückzulassen. Ich war doch ihre Tochter. Ihr eigenes Fleisch und Blut. Ich musste sie sehen. Musste einfach. Ich musste wissen, warum sie sich vor achtzehn Jahre dazu bereit erklärt hat ihr Kind aufzugeben. Ich musste den Grund ihres Handelns aus ihrem Mund hören.
Und meine zukünftige Arbeitsgeberin wird mir helfen genau das zu erreichen. Bevor ich mich für diese Stelle beworben habe, habe ich herausgefunden, dass Sie mit meiner Mutter eng befreundet ist. Also war es ziemlich wahrscheinlich, dass ich ihr in einer Zeitspanne von vier Monaten mehr als nur einmal begegnen würde.
Onkel Sam und Tante Sally hatten nicht die leiseste Ahnung und ich wollte auch dass es so blieb. Ich würde ihnen davon erzählen sobald ich wieder zu Hause sein würde.

Auf ein Klopfen an der Tür erfolgt die Stimme meiner Tante Sally: „Beth, kann ich reinkommen?“
Ich: „Ja“, Sally betritt daraufhin mein Zimmer und setzt sich neben mich aufs Bett: „Hast du fertig gepackt, hast du alles was du benötigst?“ Äußerlich betrachtet könnten Sally und ich nicht verschiedener sein. Sie ist von mittlerer Statur, ist schlank und hat rotes Haar. Und sie hat die schönsten grünen Augen, die ich je gesehen habe. Ich würde sogar sagen, dass sie einem Smaragd glichen. Ich hingegen hatte langes, welliges, blondes Haar, hellblaue Augen, schlank und war mit meinen 1,78 Metern ziemlich groß.
Ich: „Ich schätze schon“, während ich das sage, spiele ich an meinen vielen Freundschaftsarmbändern herum.
Sally blickt sich in meinem Zimmer um und sagt: „Wow. Schon komisch dein Zimmer so leer und ordentlich zu sehen. Ich dachte eigentlich, dass ich noch ein Paar Monate Zeit hätte, bevor ich mich an diesem Anblick gewöhnen muss“, mit dem Blick auf mein Bücherregal gerichtet fragt sie mich: „Was ist mit deinen Büchern passiert?“
Ertappt fühle ich wie ich rot anlaufe und gebe zu: „Ich habe meine Lieblingsbücher eingepackt. Du weißt schon für den Fall, dass ich in England keine Zeit haben sollte in eine Bücherei zu gehen...“
Daraufhin lacht Sally und sagt: „Kannst du dich erinnern als du Jane Austen entdeckt hast, wann war das in der Elften?“, als ich nicke fährt sie fort: „Du warst so besessen davon. Dein Onkel und ich mussten dir versprechen, dass wir dir ein Kostüm finden würden, dass deinen Ansprüchen gerecht werden könnte. Du hattest eine genaue Vorstellung davon wie du als Elisabeth Bennett aussehen wolltest. Gott du warst damals schon unglaublich starrköpfig.“
Da mir das ziemlich unangenehm ist, sage ich: „Tut mir Leid, ich versuche mich zu bessern.“
Doch Tante Sally schüttelt den Kopf und antwortet: „Entschuldige dich niemals für die Person, die du bist Beth. Deine Starrköpfigkeit ist ein Teil von dir. Teil deines Charakters. Sie macht dich aus. Sie ist eine der Gründe, dass du es an die Howard University geschafft hast.“ Sie schluchzt auf und fährt fort: „Dein Onkel und ich lieben dich sehr, dass weißt du nicht war?“
Jetzt erst blicke ich zu ihr hoch und bemerke, dass über ihre Wangen Tränen fließen. Ich beuge mich zu ihr, um sie zu umarmen und flüstere: „Ich weiß. Ich liebe euch auch.“
Sally lacht frustriert auf und sagt: „Eigentlich wollte ich mit den Tränen warten bis du die Wohnung verlassen hast. Und jetzt sieh mich an: Ich sitze hier und was mache ich? Ich heule.“
Ich drücke sie noch fester an mich und sage tröstend: „Ist schon okay, Tante Sally.“
Sally: „Dein Onkel und ich sind unfassbar stolz auf dich.“ Dieser Satz hat es geschafft. Mit diesem einen Satz brechen meine Dämme durch, Tränen fließen über meine Wangen. Tränen von denen ich doch so bemüht war sie zurückzuhalten und jetzt das.
Ich weiß nicht wie lange wir hier so saßen doch als ich die Stimme von meinem Onkel Tom höre: „Sally, ich dachte du wolltest mit den Tränen warten bis sie wirklich weg ist“, wusste ich, dass eine kleine Ewigkeit vergangen war.
Tante Sally befreit sich aus meiner Umarmung und sagt: „Tut mir Leid, es ist einfach so über mich gekommen.“
Onkel Tom immer noch an der Wand gelehnt nickt ahnend und teilt uns mit: „Das Taxi ist hier. Bist du so weit, Beth?“
Bevor ich „Ja“ antworte räuspere ich mich kurz und folge deinen beiden mit meiner Reisetasche nach Draußen, die Koffer trägt Onkel Tom.
Bevor ich in das wartende Taxi stieg, wurde ich noch ein letztes Mal von Tante Sally und Onkel Tom umarmt.
Umso weiter ich mich von meinem Wohnkomplex und meiner Nachbarschaft entfernte auf dem Weg zum L.A.X. Airport, desto mehr wurde mir klar, was ich gerade dabei war zu machen: Ich verlies die Einzigen beiden Menschen, die sich immer um mich gekümmert haben. Ich werde von Gefühlen überrollt und spüre wie sich Tränen wieder nach draußen kämpfen wollten. Nein ich würde nicht weinen. Ich musste stark sein, dass war ich mir schuldig.
Bald, schon bald würde ich erfahren, weshalb mich meine Mutter vor so vielen Jahren verlassen hatte.


© Andyperle


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