Ein Hoch auf die anderen

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

ich mache das hier zum ersten Mal und weiß deshalb nicht so ganz, ob ich das alles richtig mache. Aber ich habe gerade das dringende Bedürfnis, meine Gedanken mit jemandem zu teilen, auch wenn ich nicht weiß, ob das hier jemals jemand lesen wird. Aber nun gut, in der Hoffnung, dass es so ist, schreibe ich mir meine Wut vom Herzen: Ich habe eben, wie immer, mit meinem Nachbarn von neben an gesprochen. Was man vielleicht voranstellen muss, ist, dass er ein direkter und geradliniger Mensch ist. Er hat klare Ansichten zu allem und schert sich relativ wenig darüber, was andere zu seinen Meinungen sagen. Das ist auf der einen Seite sehr erfrischend, aber auch teilweise natürlich etwas anstrengend. Aber heute ist mir innerlich der Kragen geplatzt. Das ist auch der Grund, warum ich meine Gedanken hier mit der Welt teilen möchte.

Heute haben wir uns über die aktuelle Krise und ihre ökonomischen Folgen unterhalten. Er denkt, dass, wenn es mit dem Lockdown so weitergeht, wird unsere Wirtschaft vor die Hunde gehen. Da waren wir uns noch einig. Aber dann kamen wir zu den Berufsgruppen, die am meisten unter diesem Lcokdown leiden und da hat er sich ziemlich ausfällig über Lehrer geäußert: Diese faulen Säcke bekämen jetzt noch mehr Ferien als vorher. Denn Distanzunterricht oder, wie man es heutzutage nennt, Homeschooling ist doch nichts weiter als verlängerte Ferien. Die- also die Lehrer- hätten ja sowieso schon monatelange bezahlte Ferien und jetzt fördere der Staat es auch noch. Unglaublich! Und dann beschweren sie sich auch noch, wenn sie zur Schule sollen. Sie sollten doch glücklich sein, wenn sie im Vergleich zu vielen anderen arbeiten können! Da wäre ich ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen! Dieser Idiot! Wie kann man die Realität denn so verkennen? Ich weiß, Lehrer haben generell einen schlechten Ruf in der Bevölkerung. Aber das ging wirklich zu weit! Ich weiß, ich hätte ihm die Meinung sagen sollen. Aber ich bin halt ein Mensch, der all das erst mal bedenken muss, solche Worte vor sich aufgeschrieben haben muss. Und das hier ist halt meine Art und Weise damit umzugehen. Aber ich glaube, das nächste Mal kriegt er von mir einen richtige Tirade gepfeffert:

Zu Recht haben wir für das medizinische Personal und die KassiererInnen im Frühling und noch immer applaudiert. Ihre Leistungen waren wichtig und bedeutend oder mit einem der Wörter des Jahres, systemrelevant. Aber zu Unrecht haben wir dabei viele andere, so wie zum Beispiel die LehrerInnen, dabei vergessen. Wenn sie nicht systemrelevant sind, bedeutend für unser Land und das nicht nur inder jetzigen Krise, dann weiß ich es auch nicht! Führende Politiker werden nicht müde, herauszustellen, dass, wenn die Schulen zu sind, unsere Wirtschaft nicht funktioniert, weil Eltern nicht wissen, wo sie ihre Kinder lassen sollen. Aber keiner hat der Wichtigkeit von LehrerInnen und ErzieherInnen noch im Entferntesten den Respekt gezollt, den sie verdient haben. Denn LehrerInnen waren es, die im Frühling, als der ganze Mist angefangen hat, innoviert haben, Lösungen gesucht und erfolgreich gefunden haben, in unsicheren Zeiten ganz selbstverständlich und professionell gehandelt haben. Urlaub oder Ferien haben sie bestimmt nicht gehabt. Denn Lockdown heißt nicht, dass die Dienstpflicht ausgesetzt wird. Ganz im Gegenteil: Lockdown heißt, dass, neben der Angst um die eigene Gesundheit und diejenige seiner Lieben, die jeder verspürt, das Arbeitspensum fast ins Unermessliche steigt. Im Lockdown, der für die Schule Distanzlernen mit sich bringt, müssen SchülerInnen anders beschult werden. Dafür müssen ihnen Aufgabenpakete geschnürt werden und wieder korrigiert werden und mit einer Rückmeldung versehen werden. Bedenkt man, dass in unserem Land Klassenstärken von bis zu 30 Kindern oder noch mehr herrschen können, und auch im Hinterkopf behält, dass ein Lehrer bei einer Vollzeitstelle auf bis zu sieben Kurse und Klassen kommt, müssen LerhrerInnen einen Wochenpensum von bis zu 150 Rückmeldungen an SchülerInnen stemmen. Das ist ein Pensum, das bei Normalbetrieb noch nicht einmal in den kühnsten Pädagogenträumen erreicht wird. Aber LehrerInnen sind ja faule Säcke, mein lieber Herr Nachbar!

Aber die vergessenen Helden dieser Krise sind nicht nur LehrerInnen und ErzieherInnen, sondern auch BusfahrerInnen. So wie auch LehrerInnen, riskieren sie ihre Leben für uns und unsere Wirtschaft, wenn sie sich in überfüllte Räume begeben, Mikrorisikogebiete, potenzielle Superspreader- auch so ein tolles Wort der Krise- in denen Menschen sich nicht immer daran halten, ihre Masken zu tragen, weshalb es einen kaum wundert, dass dahingehend Kontrollen stattfinden müssen. Doch, neben den BusfahrerIn, sind es vor allem auch die Menschen, die in der Gastrobranche, der Kultur- und Eventbranche, aber auch im Einzelhandel arbeiten, die Applaus verdienen. Sie werden so stark von dieser Krise getroffen und man hat den Eindruck, Hilfen kommen, wenn überhaupt, mit großer Verspätung. Für all die angesprochenen Menschen muss man auch aufstehen. Man sollte auch für sie applaudieren. Denn sie verdienen es ganz genauso, für ihre Leistungen für unsere Gesellschaft beglückwünscht zu werden. Ein Hoch auf die anderen, auf diejenigen, die leider zu oft oder gar ganz vergessen werden! Ihr seid wichtig und ihr macht eure Arbeit super! Ohne euch, wäre das alles nicht möglich! Danke für eure Hilfe! Ich weiß, solche Worte sind bei all den Problemen nicht wirklich hilfreich. Aber wisst, dass es Menschen gibt, die an euch denken!


© Jacques Bernard


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Kommentare zu "Ein Hoch auf die anderen"

Re: Ein Hoch auf die anderen

Autor: Michael Dierl   Datum: 26.12.2020 21:33 Uhr

Kommentar: Ja, solche Diskussionen fechte ich in letzter Zeit sehr oft mit meinem Bruder aus. Er ist Ökonom und ich das grasse Gegenteil, also künstlerisch unterwegs. Das ist wie Feuer und Wasser wenn wir uns treffen. Meist gehen wir temperamentvoll an die Sache ran und dabei kann es schon mal passieren, dass man über das Ziel hinaus stößt. Er denkt an die Wirtschaft die bald am Boden liegt und ich an die Menschenleben, die vielleicht bald nicht mehr sind. Ergo, was soll dann eine Wirtschaftsnation wenn niemand mehr die Maschinen etc. bedienen kann, weil tot. Nur ein Beispiel von vielen aber es ist ein ewiges Hin und Her und keiner kann so richtig checken was noch auf uns zu kommt. Keiner kennt das Virus wirklich und Mutationen sind seit einiger Zeit auch in aller Munde. Wer weiß, was das Ding noch so drauf hat! Ich würde einfach mal abwarten was passiert. Wirtschaftslockdown oder nicht, Hauptsache ist doch es müssen nicht weiter so viele Menschen sterben aber diese Aussage legt schon wieder meinen Standpunkt fest und ist leider für Ökonome angreifbar. Schlimmer wäre allerdings ein echter Krieg und wollen wir mal nicht hoffen, dass daraus ähnliches entstehen könnte, dann dann sind wir wirklich im Ar.......! Wünsche Dir eine noch nette Restfeiertag! Ach, noch eines! Keiner hat ein Patentrezept gegen dieses Virus. Hoffen wir mal auf den Impfstoff! Alles andere bleibt Spekulation und ist Diskussionsstoff aber führt nicht wirklich zu einer Lösung!

LG Michael

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