In den letzten Tagen gab es im Büro nur ein Gespräch. Nämlich, die höchst empfehlenswerte Erwähnung eines Lokals in der Innenstadt als echten Geheimtipp. Egal, um welche Uhrzeit ich die Küche betrat, es waren immer mindestens zwei Personen anwesend, die dieses Lokal in der einen oder andere Form würdigten.
Die Kollegin vom Nebenzimmer schwärmte gerade vom herrlichen Essen, das in dem noblen Ambiente noch besser schmeckte als woanders. Ihr pflichtete eine andere Kollegin bei und führte noch an, dass zu dem Drei-Hauben-Menü auch noch der passende Wein serviert wird, ohne dass sich der Preis extrem erhöhen würde. Selbst die Schreibkraft kannte dieses Lokal und bestätigte es als Geheimtipp mit exzellenter Küche, ausgezeichneten Weinen im wahrsten Sinne des Wortes und erstklassigen Personal. Nein, hier ließ man nichts dem Zufall übrig, fügte der Abteilungsleiter hinzu.
Sogar im Waschraum, hörte ich durch die Tür der Damentoilette, wie sich zwei Kolleginnen total anerkennend über dieses Lokal unterhielten. Scheinbar kannten alle dieses Restaurant, nur ich nicht. Gut, das sollte sich ändern und zwar bald.
Zwei Wochen später am Freitagabend, betrat ich mit meinem Gatten das Lokal und sofort führte uns ein livrierter Kellner an einen reservierten Tisch für zwei Personen, der so klein war, dass die bereits aufgelegten Gedecke den ganzen Tisch bedeckten. Aber dafür saßen wir an der Glaswand mit Blick auf die Straße, wo uns jeder Passant ins Teller schaute. Kaum hatten wir uns in die engen, niedrigen Korbsessel gezwängt, kam ein anderer livrierter Ober und brachte die Getränkekarte, während er uns gleichzeitig auf einige mit einer speziellen Auszeichnung versehenen Weine empfahl. Mein Mann nahm die Karte entgegen und entschied, dass wir uns aus der Karte bestellen würden. Der Ober nickte, neigte seinen Oberkörper nach vor und mit einer Hand hinter dem Rücken zog er sich in der etwas steifen Haltung zurück. Als mein Mann die Getränkekarte beiseite legte, trat auch schon der Ober an unseren Tisch und fragte nach dem Getränkewunsch, verzog jedoch sofort leicht den Mund, als er hörte, dass sich mein Gatte für einen offenen Rotwein entschieden hatte und nicht seiner Empfehlung gefolgt war. Als der Ober in kurzer Zeit mit den Getränken wieder kam, brachte er zugleich die Speisekarte mit und erneut wies er uns auf das Tagesmenü hin, dessen Namen unaussprechlich klang. Das alleine war schon Grund genug, die Karte selbst zu lesen und siehe da, es fanden sich sehr wenige Gerichte, die uns vom Namen her bekannt waren, bzw. deren Beschreibung uns gelockt hätte, dieses Essen zu bestellen. Daher griffen wir auf die uns bekannteste aller Speisen in der Karte zurück und mein Mann bestellte zwei Portionen „Fleisch von der Kalbsschale in einer Hülle aus Weißbrotpanade“ sprich ein Wiener Schnitzel mit Salat.
Nicht sehr erfreut über unsere Einfallslosigkeit oder Unwissen, nahm der Ober die Bestellung auf und zog sich zurück um Fünfzehn Minuten später mit zwei riesigen Tellern, auf denen sich je ein kleines Stück Fleisch mit einer Zitronenscheibe und Kressekeimlingen verlor, wieder zu kommen. Nachdem wir unsere eher mickrigen Portionen verzehrt hatten, verlangte mein Mann die Rechnung und obwohl der Kellner noch einen Versuch wagte, uns ein Dessert anzubieten, lehnte mein Mann dankend ab und bezahlte den überhöhten Preis für Essen und Getränke.
Erleichtert erhoben wir uns aus den engen Korbsesseln und verliessen das noble Lokal. Auf dem Weg zum Auto sagte mein Gatte zu mir: „Jetzt fahren wir zu meinem Geheimtipp, von dem du morgen im Büro schwärmen kannst!“
Dann fuhren wir schweigend zu einem Würstelstand, der bekannt ist für seine ausgezeichnete Burenwurst und Käsekrainer.


© Bluepen


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Kommentare zu "DER GEHEIMTIPP"

Re: DER GEHEIMTIPP

Autor: Sonja Soller   Datum: 17.08.2020 19:21 Uhr

Kommentar: Ob Du es glaubst oder nicht, so eine Erfahrung habe ich auch schon erlebt, liebe Bluepen. Aber solange es den "Würstelstand" gibt, ist der Abend nicht ganz verloren!!!! ;-)))

Herzliche Grüße aus dem nachfühlenden Norden, Sonja

Re: DER GEHEIMTIPP

Autor: possum   Datum: 18.08.2020 1:11 Uhr

Kommentar: Hallo liebe Bluepen,
dies hast du fein festgehalten in deinem Werk,
ich wundere mich oft wie locker Menschen hohe Preise bezahlen
wo doch am Teller nur eigenartige Genüsse zu finden sind, zumindest häufig!

Sei lieb gegrüßt!

Re: DER GEHEIMTIPP

Autor: Alf Glocker   Datum: 18.08.2020 9:01 Uhr

Kommentar: Ha, ja, sowas gibts leider...

LG Alf

Re: DER GEHEIMTIPP

Autor: Bluepen   Datum: 19.08.2020 13:59 Uhr

Kommentar: Liebe Schreiber Freunde,

danke für eure netten zustimmenden Kommentare zu meiner Glosse!

LG - Bluepen

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