Sie liefen über kaltes, feuchtes Gras. Die Kälte kroch ihre nackten Füße hinauf als wollte sie sich das Herz der beiden Mädchen holen. Wild und unregelmäßig hämmerte es gegen ihren Brustkorb.
Es war dunkel. Nur der Mond warf ein schimmerndes, sanft wirkendes Licht auf die Erde. Der Wald und die Wiese waren von einem silbrigen Schleier bedeckt. Die Blätter der Bäume wogten leise im Wind und gaben ein feines Rascheln von sich. Vereinzelt lösten sich einige Blätter und segelten zu Boden – Vorboten des nahenden Herbstes. Stille und Einsamkeit schienen sich über das Land gelegt zu haben.
Das kleinere der Mädchen keuchte und stieß kurz darauf einen spitzen Schrei aus. Es war auf dem glitschigen Boden ausgerutscht und hatte sich das Knie an einem Stein aufgeschlagen. Blut quoll aus der kleinen Wunde, im Mondlicht sah es aus wie flüssiges Quecksilber. Taumelnd versuchte es aufzustehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Am Boden kauernd übergab es sich und stille Tränen liefen ihm die eingefallenen Wangen herab. Sie hatten seit Tagen nichts mehr gegessen und sein Magen rebellierte gegen das tödliche Tempo, das sie schon die ganze Nacht hielten. Das andere Mädchen kam zurück, sie war schneller und hatte kräftigere Beine, sie hatte sich einen kleinen Vorsprung ausgebaut. Unabsichtlich nur, sie würde das wimmernde Kind niemals alleine lassen.
Sie setzte sich zu ihm ins Gras, drückte es fest an ihre Brust und küsste es auf das dunkle, gelockte Haar. Auch ihr war schrecklich übel zumute, doch es setzte ihr nicht so zu wie der Kleinen. Langsam stand sie wieder auf, hielt das Mädchen dabei jedoch fest an sich gedrückt, damit es nicht wieder stürzte. Schrecklich dünn fühlte es sich an, da waren kaum noch Muskeln und Fett, nur noch Haut und Knochen. Umso leichter fiel es dem älteren Mädchen das Kind auf ihren Rücken zu heben, seine Arme vor ihrem Hals zu verschränken und die Beine mit ihren eigenen Armen an den Körper zu drücken, damit es nicht von ihrem Rücken glitt. „Alles wird gut.“, flüsterte sie ihr noch ins Ohr, dann lief sie los.
Lautlos schlüpfte sie in den Wald und bahnte sich einen Weg durch das Unterholz. Ihre nackten Füße waren voller Blasen und Schrammen, doch sie spürte es nicht. Harte Zweige peitschten ihr ins Gesicht und alles was sie tat, war das Mädchen so gut wie möglich mit ihrem Körper abzuschirmen. Oft stolperte sie und war versucht sich einfach fallen zu lassen, nie wieder aufzustehen, einfach einzuschlafen. Wie sehr sehnte sie sich nach Schlaf und nach etwas zu essen. Doch sie zwang sich jedes Mal weiterzulaufen. Immer weiter. Hier ging es um mehr als um ihr eigenes Leben. Um so viel mehr. Vereinzelte Geräusche durchbrachen die Nacht. Sie hörte leise klatschende Töne, die mit der Zeit immer häufiger zu hören waren, desto weiter sie lief. Ein Donnergrollen erschütterte den Himmel und erst jetz wurde ihr bewusst, dass es angefangen hatte zu regnen. Bald schon schützte das Blätterkleid der Bäume die beiden Eindringlinge nicht mehr vor der Nässe, denn sie war bereits überall. Die Kälte war fast unerträglich. Immer wieder schüttelte die Ältere ihre kleine Last sanft, damit sie nicht einschlief und sich so der Kälte auslieferte.


© Bücherdiebin


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Kommentare zu "Flucht"

Re: Flucht

Autor: Drachenblut   Datum: 17.07.2014 23:32 Uhr

Kommentar: Wow und ich meine nicht das spiel ich meine deine geschichte ich hoffe das es da mal weiter geht bittebittebitte

Re: Flucht

Autor: Bücherdiebin   Datum: 18.07.2014 11:17 Uhr

Kommentar: Danke dir! War leider nur so aus dem Blauen heraus geschrieben, aber mal sehen, vielleicht lässt sich etwas mit ähnlichen Figuren schreiben.

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