Sein oder nicht sein?


Ficken oder nicht ficken?


Zusammensein oder nicht zusammensein?


Sein oder nicht sein: das ist eine veraltete philosophische Frage.

Wir sind seienden und alles andere ist Streitsache.


Ficken war ebenfalls klar. Du gehst zu einer Dirne, verhandelst den Preis und sofort hast du deinen Spass. Danach kommst du mit leeren Eiern und Brieftasche raus.


Doch das letzte: Zusammensein. Das ist das schwierigste für mich.


Damals war ich 30. Noch gut aussehend, alle Zähne beisammen.

Ich war nicht reich, doch vom Geld fehlte es bei mir nicht.


Aber eins fehlte mir in meinem Leben. Eine Partnerin, die mich verstand und zu mir stand. Eine Frau, die auch beste mütterliche Qualitäten vorwies.

Eine Freundin, die mit mir in jedes Abenteuer eintauchen konnte.


Ja, ich wusste es ganz genau. So eine Frau existierte nur in meinem Kopf. Das quälte mich sehr.


Es war wieder soweit. Der Tag der liebenden. Oder frisch verliebten. Das liebte die Bossen von grossen Konzern, weil sie an diesem Tag viele Ware umsetzen würden.


Gedanken zerstreuet lief ich auf der Promenade. Der Schnee von gestern lag noch häufchenweise an allen Ecken. Ein Päärchen kam in meine Richtung gelaufen. Die Frau plapperte dauernd irgendetwas und der Freund hörte ihr halbherzig zu. Zumindest schien es mir so.

Ich warf einen Blick auf ihre Hände. Sie waren fest umschlossen. Wie ein Seeknote, die sogar dem verwüstenden Sturm trotzen würde.

So gingen sie durch die Strasse händehaltend an mir vorbei.

Das Händehalten bedeutete in der Regel, dass das Paar frisch verliebt war. Denn je länger die Beziehung dauerte, deste schwacher leuchtete die Flamme der Liebe. Ja, mit der Zeit vergass das Paar, warum sie überhaupt noch zusammenwaren. Und irgendwann hörten sie auf, die Ringe zu tragen, die einst das Zeichen ihrer Liebe dargestellt hatten.

Doch hier gab es auch Ausnahmen: gestern sah ich eine Frau zusammen mit ihrem Mann. Vom Alter her geschätzt waren sie sicher über 60. Das Lustige daran war, dass sie von Kopf bis Fuss genau wie Zwillinge gekleidet waren. Als ob sie auf Gedeih und Verderb zusammen wären. Jene Art von Paaren, die ihre Sätze gegenseitig beendeten.



Ich bog nach links ab. In einem Supermarkt wollte ich mir frisches Brot und Zigaretten holen. Morgen war Sonntag und blieben alle Läden in der Stadt geschlossen.


Vor dem Laden standen zwei Bänke. Auf einer sassen zwei junge Teenager. Ein Bein vom Mädchen lag auf dem Schoss des Buben. Beide Handy in der Hand.

Sie unterhielten sich über einsteinische Gravitationstheorie. Während ich in der Schlange stand, belauschte ich ihr Gespräch.

Sie verwendeten Fachwörter, die ich nie gehört hatte. Hin und da lachten sie und ab und zu küssten sich kurz.


Ich dachte mir, eine Frau, die nicht auf den Kopf gefallen war, wäre jetzt ganz gelegen. Denn ich könnte ihr erklären, was ein kausaler Zusammenhang im Falle von Stein und Fenster. Oder warum der Cashflow für die Bilanzanalyse unentbehrlich ist.


Schweigend beobachtete ich sie. Anscheinend haben sie auf jemanden gewartet. Einer in ihrem Alter gesellte sich zu ihnen. Danach verliessen sie zusammen den Platz.


Das Brot war im Laden, deswegen kaufte ich mir meine Zigaretten und verliess den Laden. Draussen zündete ich mir eine Zigarette an. Ich zog tief daran, bis die Glut hellrot leuchtete. Ich hielt für einige Sekunden den Atem. Und bliess es aus.


Wohin mit dir? fragte ich mich. Da fiel mir die Idee auf die Brücke zu gehen. Da holte ich meine Inspiration und Mut, wenn ich wie heute mürrisch drauf war.

Ausserdem die Tankstelle war in der Nähe, dann konnte ich dort frisches Brot, plante ich im Kopf.


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Da stand ich dort. Die leichte Brise streichelte mein Gesicht. Ich schaute runter es war dunkles nichts.

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Sein oder nicht sein?


Leben oder nicht leben, dachte ich und schaute runter. . Man hörte das Wasser fliessen, aber den Fluss konnte man von hier aus gar nicht mehr erkennen.



Was wäre, wenn ich ins Nichts tauche und alles, was ich war mit mir ins Nichts mitnehme.


In diesem Moment hörte ich ihre Stimme von hinten.

"An deiner Stelle würde ich das nicht tun?"


Es war mir klar, dass ich mich nicht umbringen wollte. Da ich heute Abend allein war und mit niemanden zu schwätzen hatte, sagte ich,

"Warum nicht?"


Sie antwortete, "Ganz einfach. Weil du den Sturz überleben würdest."


"Der Brücken ist hoch genug, um sich das Genick zu brechen.", sagte ich.


"Jain," ,sagte sie, "Du bist ca. 80 Kilo schwer, die Brücke ist 6 Meter hoch. Wenn du jetzt springen würdest, dann hättest die Geschwindigkeit von 30 km/h, was immer noch schnell ist, aber nicht zu schnell, um dein Gewicht von 80 Kilo auf das Wasser zu schleudern.

Kurz du überlebst den Sturz mit Folgeschaden wie Querschnittlähmung.

"Verkrüppelt möchte ich noch nicht leben,", sagte ich, "ich komme rüber"


Ich drehte mich um, da sah ich sie zum ersten Mal. Ihre schwarzen lockigen Haare fielen mir als Erstes auf. Danach die fingerlosen Hello Kitty Handschuhe. Sie waren gestreift und rosa mit überlaufenden Farben. Genau diesen Handschuhe zog sie zu mir.


"Ich bin Maria, aber alle nennen mich Marry.", sagte sie.


Ihre Stimme klang wie die einer x-beliebigen Frau. Aber mit einem feinen Unterschied. Sie kam nicht aus dieser Gegend. Und deshalb fand ich ihren Akzent niedlich. Ehrlich ich gesagt, ich musste jedes Mal schmunzeln, wenn ich sie sprechen hörte.


"Ich heisse Thomas, aber bitte nenn mich nicht Tommy!", sagte ich


"Ich verstehe... sicher wegen der Mutter?"


"Bingo! Als ich noch Kind war, hiess es immer Tommy dies und Tommy das.

Je älter wurde, wuchs meine Aversion, sorry, meine Abneigung..."


Da unterbrach sie mich,

"Ich bin kein Bauernmädchen, ich weiss, was Aversion bedeutet."


Ach, Marry... das gefiel mir an ihr am meisten. Sie war bescheiden, doch wenn jemand ihre Ehre oder Bildung in Frage stellte, da bekam man von ihr eine geradeaus frech gerichtete Antwort zurück. Das war ihre sozusagen Koryphäe.


Ich vergas, was ich sagen wollte. Wir waren keine 5 Minuten bekannt, da bekam ich Schmetterlinge im Bauch. Vielleicht zu früh liess ich mich da reinsteigern. Doch meinem Herz war das scheisse egal.


Wir liefen auf dem Bürgersteig. Sie zog ihre Schuhe aus. Dann ging sie barfuss auf dem Asphalt. Da es 20 Grad in der Nacht war, machte ihr das Barfusslaufen nichts aus.


"Wonach suchst du in deinem Leben?", fragte sie nebenbei,

als sie versuchte auf einer Linie so zu gehen , als ob sie sich auf dem Drahtseil balancieren würde.


Nach einer Frau wie dir, dachte ich im Kopf. Doch das wäre gerade jetzt eine Beziehungskiller Nr. 1.


Stattdessen sagte ich,

"Ich würde gerne herausfinden, wie wir die Umweltverschmutzung reduzieren können. Im ersten Sektor sollte man beim Abbau oder bei der Abholzung das Territorium der wilden Tiere, die auf diese zu abholzenden Bäume angewiesen sind, Acht nehmen."


Und so hielt ich einen halbestündigen Vortrag über die Weltverschmutzung. Sie hörte zu und stellte Fragen.

Ja, genau. Erstes Mädchen, das meinen Standpunkt zur Umwelt zugehört. Und - ganz wichtig - sie hatte es auch verstanden.


Wir sassen auf der Bank. Warme Brise streifte uns am Körper. Im Winde wedelten Ihre Haare leicht. Ich weiss es nicht mehr, was ich gesagt habe, aber das brachte sie so zum laut Lachen, dass sie ihren Bauch fassen musste. Da hörte ich ihr unschuldiges kindliches Lachen. Ich lachte auch mit. Als ich aufgehört hatte zu lachen, blickte ich in den Himmel hinauf. Es war eine warme und wolkenlose Nacht. Nur die Sterne und der Mond waren zu sehen.

Und die Berge unter dem Himmel zeugten davon, wie überragend die Natur ist.


Irgendwann Mal kamen wir zum Thema, wogegen ich grosse Aversion hege. Das Thema Beziehung.


Genau das fragte sie damals,

"Hast du eine Freundin?"


Ich machte einige Sekunden Pause, da sagte ich mit leiser Stimme. "Nein. Und du?"


"Ich hatte einen Freund. Unsere Beziehung hat fünf Jahre lang gehalten. Bedauerlicherweise bin ich jetzt single."


Ach kacke, dachte ich. So ein Mädchen sitzt neben mir. Und sie ist emotional total Schaden.

Das war schade.

Ich stellte mir vor, dass das nicht die letzte Begegnung sein würde.


Ich fragte sie,

"Was macht so in deinem Leben?"


"Dies und jenes, nebst dem bin ich Schöffin."


"Chefin?", fragte ich ein bisschen verwirrt.


"Nein.", lachte sie wieder laut,

"Ich bin eine Schöffin im Gericht.

Ich darf mit dem Richter zusammen die Rechtsfälle besprechen. Nicht jeder kann Schöffe werden. Er wird ausgewählt und in dieses Amt eingesetzt."


"Und du?", fragte sie.


"Ich arbeite in einer Treuhandsfirma. Dort bin ich für die Buchhaltung zuständig."


"Hast du gewusst, dass der Cashflow für die Bilanzanalyse unentbehrlich ist?", fragte ich, um sie mit meinen buchhalterischen Kenntnissen zu imponieren.


"Ich weiss,", sagte sie und setzte fort,

"Der Cashflow zeigt den effektiven Geldfluss der Firma. In der Finanzbuchhaltung kann man das Vermögen manipulieren, aber nicht beim Cashflow."


Ich war so perplex, dass mein Mund weit offen stand.


Küssen oder nicht küssen,


dachte ich. Ich entschied mich für Letzteres.


Stattdessen fragte ich,

"Welcher Fall hat dich am meisten beeindrückt?"


Sie drehte sich zu mir um. Ein Bein legte sie auf die Bank, in so einer halben Schneidersitz.

Dann fing sie an, über einen Rechtsfall zu erzählen, wo der Angeklakte ein Drogennetzwerk im ganzen Land aufgebauet hatte.


Ich hing an ihren Lippen. Während sie mir über Rechtsfälle erzählte, betrachtete ich ihre im Winde zerzausten Haar. Ich wollte sie anfassen. Doch ich traute mir es nicht zu.

Ihre Augen waren wie zwei geschliffene grüne Diamanten. Darüber lagen die Augenbrauen, die ich besonders lieb bekam. Jedes Mal, wenn ich was Spannendes erzählte, zog sie die linke Augenbraue hoch. Diese Frau ist wild im Geiste, dachte ich.


Man spricht in solchen Fällen von Serendipität. In meinem Fall habe ich nie nach einer Frau wie ihr gesucht, aber dank dem glücklichen Zufall habe ich so eine Frau meiner quasi Träume entdeckt. Dass einer solcher Zufall tritt. Nun wollte ich diese Bekanntschaft nicht zu einer platonischen Freundschaft verkommen lassen.


Wir sassen für eine Weile ohne zu reden auf der Bank still. Ich beobachtete Marry, wie sie den Himmel betrachtete.

Da handelte ich ohne nachzudenken. Ich streckte mich zu ihr ein bisschen näher und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

Das Herz raste,


Schlag ins Gesicht oder kein Schlag ins Gesicht,


dachte ich.


Sie lächelte und stand auf. Plötzlich setzte sich auf mich. Sie ging einmal mit ihrer Hand durch meine Haare. Sie presste meinen Hinterkopf zu ihr und ihre Lippen auf meine Lippen. Das konnte ich nicht begreifen, dass diese geile Bombe mit mir gerade in dieser Realität knutschte.


Nun nach verflixten sieben sind wir immer noch zusammen. Was sage ich da... Die Frau, die mir damals den Kopf geraubt hat und immer noch tut, steht hinter dieser Tür. Und die anderen Eingeladenen. Alle warten auf mich.

Ja, ich habe vergessen zu sagen, dass ich Lampenfieber habe. Und eine Hochzeit mit 150 Gästen kostet einem eine Menge Energie, wenn man sich vor grosser Menschenmenge scheucht. Es war Marrys Idee, so viele Gäste einzuladen. Da ich sie immer noch über alles liebe, habe ich zugestimmt.

Nun, nachdem ich mich zwei Mal übergeben habe, sollte der Magen ziemlich leer sein. Jetzt kann ich reingehen und mich vor 150 Leuten blamieren, weil die Braut schon da ist und ich nicht.


Nun stehe ich vor der Tür zum Saal und denke laut,


Öffnen oder nicht öffnen?


© Sanjar Almatov


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