Auf dem Küchentisch stand eine leere PET-Flasche Evian Wasser. „Bist Du zu gut, um die PET-Flasche selbst zu entsorgen?“, fragte ich lautstark als Edward die Küche betrat. „Ja, guten Morgen. Muffig wegen einer PET-Flasche, geh spazieren und beruhig Dich wieder“, antwortete er lässig. Früher liebte ich seine Schlagfertigkeit, heute hasse ich sie. Es ging alles so schnell nachdem Edward und ich uns kennenlernten. Wir waren beide anfangs dreissig. Ein paar Monate später zogen wir schon zusammen, ein Jahr später wurde ich schwanger. Als Tim 1 Jahr alt wurde, heirateten wir im kleinen Kreis. War es wirklich die grosse Liebe? Oder war ich einfach nur froh, dass ich gerade noch rechtzeitig jemanden kennenlernte, um den gesellschaftlichen Normen gerecht zu werden? Ich fühlte mich nun schon längere Zeit eingeengt und gefangen in dieser Bilderbuchfamilie.
Vor ein paar Wochen lernte ich dann Dave über Freunde kennen. Er war genau das Gegenteil von Edward. Er reiste viel und hatte keinen Plan für sein Leben. Das faszinierte mich. Dave bot mir an einfach mal ein bisschen Abstand vom Alltag zu nehmen und in die Berge zu flüchten; er hätte eine kleine Hütte in Davos. Aber das machte mir Angst; denn ich wollte ihn unbedingt küssen. Und auch mit ihm schlafen; die Anziehung zu ihm war kaum zu widerstehen.
Nach der kleinen Auseinandersetzung wegen der PET-Flasche fasste ich kurzerhand einen krassen Entscheid. „Du hast recht. Ich geh spazieren. Und zwar bis morgen! “ sagte ich beleidigt mit verschränkten Armen. „Du kannst auf Tim aufpassen. Ich geh zu meiner Schwester nach Basel und komme Morgen wieder nach Hause“ fuhr ich fort. „Schatz, nimm doch nicht alles so ernst. Aber vielleicht tut es Dir wirklich gut mal ein bisschen wegzugehen. Mach Dir um uns keine Sorgen und geniesse Dein Wochenende.“ Es tat weh, als Edward so verständnisvoll antwortete, ohne zu ahnen, welche Hintergedanken ich hatte. Gleichzeitig war ich aber auch sauer, weil es für ihn okay war, dass ich gehe; er sollte mich eigentlich anflehen zu bleiben.
Ich schrieb Dave an und fuhr nach Davos zu der Hütte. Am Samstag küssten wir uns zunächst, in der Nacht auf Sonntag schliefen wir miteinander. Es war sehr intensiv, ich fühlte mich nach langem wiedermal richtig begehrt und war wie verzaubert. Der Zauber hielt jedoch leider nur bis etwa Sonntagmittag. Beim Branchen waren wir plötzlich sehr distanziert und die Stimmung war eher unangenehm. Dazu kam noch eine SMS von Edward „Du hast mir gestern gefehlt. Ich freue mich Dich heute wiederzusehen“. Diese Nachricht zerriss mich. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause und mit Edward reden. Fest entschlossen, diesen Ausrutscher zu beichten, fuhr ich gleich am Nachmittag wieder nach Hause. Als ich zu Hause ankam war die PET-Flasche auf dem Küchentisch nicht mehr da, dafür lag ein Zettel; darauf stand: Deine Schwester hat mich vor einer halben Stunde angerufen, weil sie Dich mit einem Spontanbesuch überraschen wollte!! Ich habe nun Tim zu den Eltern gefahren. Wenn ich zurückkomme, reden wir!!! In diesem Moment fiel ich zu Boden und weinte nur noch.


© Yetigirl


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Beschreibung des Autors zu "Kurzschlussentscheidung mit Folgen"

Der Alltagstrott macht Lisa zu schaffen und stellt ihre Ehe in Frage. Ein kleiner Ausrutscher hilft ihr zu erkennen, wem ihr Herz wirklich gehört. Doch das halt Folgen...

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