A goddess learns to swim

„Ich begreife nicht, warum das nötig ist“, murrte Aphrodite und kreuzte ihre Arme vor der Brust. Ihre lange Haarmähne fiel über ihre Schultern und verdeckte ihren missmutigen Blick vor ihrem Geliebten.
„Außerdem tut die Sonne meiner Haut nicht gut“, fügte sie hinzu, wusste aber, dass ihr sterblicher Freund nicht lockerlassen würde. Es war Hochsommer, und ihr Freund, Kyle Jenkins, ein gut gebauter und braungebrannter Hüne von einem Mann, dem sie ihre wahre Identität nicht vorenthalten konnte, war auf die Idee gekommen an den ihr geheiligten Ort zu reisen. Nun, es gab aber zwei Orte. Zypern und Kythera, doch schlussendlich hatten sie sich für zweiteres entschieden, da dies doch der Geburtsort der Göttin war. Und hier in Griechenland war die Wärme bis ins Unermessliche gestiegen. Apollon schien es, ganz zu ihrem Leid, in der alten Welt besonders gut zu meinen was den Sommer betraf. Ganz begeistert hatte Kyle die komplette Insel erforscht, bis er diesen kleinen geheimen Ort gefunden hatte, von dem noch nicht einmal Aphrodite gewusst hatte, dabei war die Insel nicht einmal sonderlich groß und zudem … ihre Insel. Eigentlich hatte sie sich an diesem Ort am besten auszukennen. Aufgeregt wie ein kleines Kind hatte der Dunkelhaarige ihr von diesem versteckten Quellteich berichtet, der kristallklares, eiskaltes Wasser führte. Ein kleines Rinnsal floss daraus ab und bildete in einiger Entfernung einen kleinen Bach. Ohne ihr zu sagen, wohin er sie brachte, hatte er es aussehen lassen wie einen Spaziergang. Und nun standen sie hier: Kyle, nur bekleidet mit einer kurzen Badehose knietief im Wasser und Aphrodite mit verschränkten Armen am Ufer.
„Dite, es ist viel zu heiß zum Diskutieren. Komm jetzt, hierher verschlägt es niemanden“, sagte er und deutete auf sie. Natürlich dachte er, sie hätte Angst, irgendein verirrter Spaziergänger könnte sie im Wasser entdecken. Wie wenig Vertrauen er in ihre Fähigkeiten hatte, dabei war sie doch eine Göttin. Sie könnte einfach eine Illusion um sie legen und niemand würde den See entdecken. Aber er hatte recht, es war nur allzu unwahrscheinlich, dass jemand hier vorbeikam.
„Wir können ihn durchschwimmen!“, rief er, nachdem sie nicht antwortete.
„Du vielleicht“, murmelte die Göttin und bereute es sofort, denn sie hatte es etwas lauter ausgesprochen, als sie beabsichtigt hatte. Sie sah, wie er zunächst kritisch aussah, dann aber zu einer Erkenntnis kam und schnaufte.
„Du kannst nicht schwimmen“, sagte er.
„Nein“, gab sie zu und wartete seine Reaktion ab. Statt belustigt zu sein, sah er eher entsetzt aus. Er ließ die Arme sinken, die er zuvor noch einladend hochgehalten hatte, und stieg aus dem Wasser. Es wunderte sie. Eigentlich hätte sie erwartet, dass er wenigstens ein bisschen in sich hineinlachen würde, schließlich war sie eine Olympierin. Eine der obersten Gottheiten. Eine so triviale Blöße an ihr zu entdecken, hätte so manchen belustigt. Die Wahrheit war, dass sie Angst hatte. Sie hatte schon viele gute Männer und Frauen in die Tiefen von Poseidons Reich sinken sehen. Liebhaber und ihre eigenen Kinder waren unter den Opfern. Freundinnen, die sie so sehr schätzte. Das Wasser hatte ihr bereits so viel geraubt. Auch traute sie ihrem Ziehonkel nicht besonders, was das anging. Und zudem hatte sie, die doch stets so perfekte Aphrodite, niemandem gegenüber die Blöße zugeben wollen, was sie natürlich getan hätte, wenn sie jemanden hätte bitten müssen, ihr das Schwimmen beizubringen. Natürlich war sie in Badehäuser gegangen, schließlich war dies angenehm und zu alten Tagen sogar sehr beliebt. Sie wäre eine schöne Göttin gewesen, wenn sie diesem Trend nicht gefolgt wäre. Zudem konnte man sich die Zeit, die man dort verbrachte sehr viel besser in der Sauna vertreiben, oder bei einer Massage.
„Wieso bist du in das Boot gestiegen?“, fragte Kyle, der die Fähre meinte, die sie auf diese Insel gebracht hatte, da sie keinen Direktflug auf den Flughafen dieser Insel erhalten hätten, und packte sie grob bei den Schultern. Sie hob eine perfekte Augenbraue.
„Welches Boot, Kyle? Ich bin in meinem Leben schon auf so vielen Booten gewesen, dass ...“, sie hielt abrupt inne, als er sie unterbrach.
„Dite!“
„Was, Kyle?“ Sie presste die Kiefer aufeinander. Sein Verhalten irritierte sie mehr als alles andere und sie hatte dieses Thema von vornherein nicht diskutieren wollen.
„Egal welches, Dite. Warum gehst du auf ein Boot, wenn du nicht schwimmen kannst?“ Sie konnte die Aufregung in seiner Stimme zunächst nicht verstehen, aber als sie schließlich begriff was ihn so in Rage brachte, stieß sie belustigt die Luft aus den Lungen. Er hatte Angst, dass sie tatsächlich versehentlich ertrinken könnte.
„Es ist nicht lustig, Dite.“ Er sah ernsthaft verärgert aus.
„Kyle, ich mag nicht schwimmen können, aber ich bin immer noch eine Göttin. Und nicht irgendeine, sondern eine von den zwölf Olympiern, die Liebesgöttin. Ich bin unsterblich, ich KANN gar nicht ertrinken. Hab' etwas Vertrauen. Ich hätte jederzeit einen Delphin herbeirufen können. Ein Stück Treibholz verzaubern. Bei Zeus: einen gutaussehenden Seemann! Ehe ich auf dem Meeresboden versinke, ertrinken die Fische im Wasser“, sagte sie. Sie legte eine Hand an seine Brust und strich mit dem Daumen sanft über die Narben, die seine Haut zeichneten. Narben, die er von seiner Arbeit bei der US Army besaß. Missionen, die schon längst vergangen waren, und die ihm auch die ein oder andere alltägliche Situation verdarben in Form von schlechten Erinnerungen, auch wenn er ihr gegenüber immer so tat als wäre nichts, doch sie bemerkte es. Immer. Er entspannte sich sichtlich und atmete tief ein. Ganz überzeugt schien er aber dennoch nicht zu sein.
„Wieso?“, fragte er.
„Wieso was?“
„Wieso hast du es nie gelernt?“ Er konnte sofort sehen, dass er einen Nerv getroffen hatte. Ihr Gesichtszüge wurden hart und ihre Schultern verspannten sich.
„Nicht von Belang“, stieß sie aus, hob den Kopf und trat einen Schritt zurück.
„Für mich schon“, sagte er ernst. Ihre Blicke trafen sich und sie seufzte.
„Ich habe bereits ein unsterbliches Leben hinter mir. So viele Männer und Frauen, die mir wichtig waren, starben. Seeschlachten. Unwetter, da Poseidon wieder wütend war, oder mein Ziehvater Zeus. Dann gab es diejenigen unter ihnen die, ebenso wie ich, nicht schwimmen konnten und sich, ebenfalls wie ich, nicht von anderen helfen lassen wollten. Selbstständig dies lernten, vergeblich“, schloss sie, ihr Blick in weiter Ferne. Weit in der Vergangenheit.
Er presste seine Lippen auf ihre.
„Lass es mich dir beibringen.“
„Nein.“
„Lass mich diese Erinnerungen lindern“, flüsterte er in ihr Haar.
„Nein.“
„Bitte, Dite.“

Sie richtete ihren Blick auf den See. In ihm spiegelte sich der stahlblaue Himmel und die Spitzen der Birken.
Kyle lächelte sie an und hielt ihr seine Hand hin. Mit einem letzten Seufzer schnipste sie mit ihrer linken Hand, und ihr helles Gewand löste sich in einem silbrigen Schein auf. Einzig ihr Dessous blieb übrig. Trotzdem war sie nun etwas unsicher.
Sie verbannte den Gedanken und ließ sich von ihrem Geliebten ins Wasser ziehen.
„Spann' die Muskeln an und bleib gerade. Du darfst die Körperspannung nicht verlieren“, sagte er. Der Dunkelhaarige war so weit ins Wasser gegangen, dass er gerade noch stehen konnte. Sie blieb ein ganzes Stück hinter ihm, ihre Körpergröße war doch beträchtlich geringer als seine. Dann stieß der Soldat sich ab und tat einige kräftige Züge mit Armen und Beinen. Kyle war immer ein guter Schwimmer gewesen, als Kind schon.
Aphrodite stand noch immer im kühlen Nass und beobachtete, wie seine Muskeln sich bewegten. Sie war nicht begeistert davon, dass er ihr das Schwimmen beibringen wollte, aber sein kräftiges Muskelspiel im Wasser beobachten zu können, daran könnte sie sich schnell gewöhnen. Er vermied es, mit nacktem Oberkörper gesehen zu werden. Oh – natürlich nicht vor ihr. Aber draußen, denn es erschreckte die Leute. Es widerte sie an und ekelte sie. Das war er als alter Veteran des Militärs schon längst gewohnt. Sie bedauerte es, denn das extravagante Narbenmuster seiner Haut hatte sie immer fasziniert. Sie konnte Stunden damit verbringen, ihre Finger über die Unebenheiten und Krater seiner Haut streichen zu lassen – es wurde ihr nie überdrüssig.
„Dite“, meldete sich Kyle, welcher wieder vor ihr stand. „Was ist?“
„Ich war in Gedanken“, sagte sie und schenkte ihm ein anzügliches Lächeln.
„Später vielleicht“, murmelte er und blockte ihre Taktik ab indem er sich rücklings zurück ins tiefere Wasser fallen ließ, nachdem er einen Kuss auf ihre Lippen gepresst hatte.
„Also“, fuhr er fort, „bereit?“
Sie gestikulierte Zustimmung. Ihr würde ohnehin nichts anderes übrigbleiben. Kyle stellte sich neben sie.
„Lass dich nach vorn fallen“, sagte er. „Ich halte dich erst fest.“
Aphrodite nahm einen tiefen Atemzug und tat, was er sagte. Er fing ihren Körper im Wasser auf, indem er von der Seite eine Hand an ihre Körpermitte legte und sie stützte. Sie mochte eine Göttin sein und nicht körperlich arbeiten, aber dennoch war sie in Form und er konnte spüren, wie ihre Bauchmuskeln sich anspannten, als sie seine Bewegungen nachahmte. Er hatte keinen Zweifel daran, dass sie nicht lange brauchen würde, es zu lernen, immerhin hatte sie schon hunderte Male Menschen schwimmen sehen. Sie hatte es nur nie versucht.
Bald darauf brauchte sie seine Hilfestellung kaum noch. Es störte sie zwar, dass ihre Bewegungen noch nicht so elegant waren, wie sie es an Land gewesen wären, aber dazu würde sie noch kommen.
Kyle schwamm neben ihr, als es geschah. Eine vom Wind getriebene Welle überschwappte die Göttin. Ihr rationales Denken sagte ihr, das sie nur den Kopf nach oben recken und atmen brauchte, aber sie konnte es nicht verhindern: sie geriet in Panik. Ihre Augenlider waren fest aufeinandergepresst als sie ihre Konzentration verlor und bald darauf auch ihr Verständnis für oben und unten.
Sie hatte nicht mehr Luft holen können und nun brannten ihre Lungen, schrien nach Sauerstoff. Sie schlug um sich. Das Wasser würde sie nicht bekommen. Nicht sie. So viele waren ihr geraubt worden, und nun war sie an der Reihe? Nein. Sie spürte das Wasser, als würde es an ihren Gelenken zerren. Sie umgreifen, während sie stetig um sich schlug. Das Reich des Meeresgottes war so viel stärker als sie. Es drückte, es zerrte. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, also …
„Dite. Atme!“, wurde sie gerufen. Es war Kyle. Kyle Jenkins, ihr Soldat und Freund.
„Dite!“, rief er wieder. Sie wurde ins seichte Wasser gezogen und stolperte, aber er hielt sie aufrecht. Das kalte Wasser lief an ihr herunter, aber sie konnte die Wärme seines Körpers spüren.
„Es ist alles in Ordnung“, sagte er leise, dicht an ihrem Ohr. Ein Arm hielt sie umschlungen und sie fühlte seine Hand an ihrer Wange. Sie hustete und sog gierig die Luft ein, nahm viele tiefe Atemzüge, ehe sie die Augen öffnete. Kyle stand vor ihr. Sie blickte direkt in seine braune Augen. Er schenkte ihr ein Lächeln.
„Es ist alles in Ordnung, Dite. Du bist nur in Panik geraten. Das ist alles.“
„Verzeihung“, sagte sie leise. „Es war bloß eine schlechte Erinnerung“, fuhr sie fort. „Vielleicht sollten wir morgen wiederkommen.“ Es war nicht so schlimm, dachte sie. Das Schwimmen zu lernen. Eigentlich war es doch ein ganz vergnüglicher Zeitvertreib für den Sommer. Sie hatte nur nicht erwartet, dass ihre Erinnerungen sie nach all der Zeit noch so heftig treffen würden. Die Göttin hatte angenommen, dass sie das hinter sich gebracht hatte.
„Natürlich.“ Er lächelte, dann nahm er ein großes Handtuch und wickelte sie damit ein. Ihr nasses Haar klebte an ihrem Gesicht und sie nahm noch immer tiefe Atemzüge in der Nachmittagssonne. Kyle fand, dass sie nie schöner ausgesehen hatte.
„Ich bitte dich, Kyle. Ich gerate in Panik, huste und würge und das ist es, was du denkst?“, sie zog eine Braue in die Höhe. Er grinste verlegen, nicht daran denkend, dass sie, wenn sie wollte, seine Gedanken lesen konnte.
„Du bist wunderschön, Dite. Egal was du tust.“
Sie schnaubte belustigt. „Charmant wie immer“, sagte sie und ging betont langsam auf ihn zu – dann ließ sie das Handtuch fallen und legte einen Arm um seinen Nacken. Er hatte seine Jeanshose wieder angezogen, aber sein Oberkörper war weiterhin frei. Eine Hand presste sie in sein Kreuz, die andere lag noch immer um seinen Hals. Schließlich presste sie einen Kuss auf sein Schlüsselbein. Er ließ es geschehen und einer seiner Arme wanderte um ihre Taille, um sie fester an sich zu ziehen. Sie wussten es beide. Es war der perfekte Platz, und der perfekte Ort für sie. Und nun, hier, an der Geburtsstätte der Liebesgöttin, in ihrem gemeinsamen Urlaub, gehörte dieser Moment ihnen. Dieser Moment der Zweisamkeit, an einem ruhigen Ort, an dem sie sich lieben konnten. Diese Erinnerungen würde ihnen stets bleiben, und niemand konnte sie ihnen nehmen.


© W-B


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Beschreibung des Autors zu "A goddess learns to swim"

Die Göttin der Liebe kann vieles. Schließlich hat sie viele Leben Zeit gehabt, sich einiges anzueignen, vor allem Erfahrung. Und doch gibt es ein Element, das sie wohl mit am ehesten Meidet. Wobei Element an sich ist das falsche Wort, den Baden tut sie unglaublich gerne. Doch das Wasser, überall wo sie nicht stehen kann, ist ihr nicht geheuer. Und im Urlaub mit ihrem Freund muss sie einer wahrheit ins Auge blicken, die sie bisher stets für sich behielt: Sie kann nicht Schwimmen.

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