The other side of Love

Ihre Schminke war verlaufen, doch es kümmerte sie nicht. Ihr schwarzes Kleid, das sie am Leibe trug, wurde nass und selbst ihre sonst so perfekt sitzende Frisur war mittlerweile durch den Regen, den ihr Ziehvater und Herr des Himmels, heraufbeschwor, durchnässt. Doch auch das kümmerte sie herzlich wenig, denn ihr Blick lag auf dem Sarg, der soeben heruntergelassen wurde.
Ein weiterer Mann, mit dem sie so viele Gefühle geteilt hatte, war aus ihrem Leben geschieden. Momente, die sie nie vergessen würde, wie bei jedem Mann, der vor ihm war.
Sie besaß jede einzelne Erinnerung tief in ihrem Herzen, doch war dies auch der Grund weswegen es jedes Mal aufs Neue so sehr wehtat. Schmerzte. Augenblicke, in denen sie tatsächlich Hestia für ihre Jungfräulichkeit, auch ihrem eigenen Geschlecht gegenüber, beneidete. Für sie in ihrer langen Lebenslaufbahn waren diese Erfahrungen zwar nur ein Blinzeln, doch sie würde keine Einzige missen wollen, auch wenn es verlockend klang, diesen Schmerz im Nachhinein nicht über sich ergehen lassen zu müssen. Doch dann hätte sie auch nicht die schönen Erinnerungen, die immer ein Teil von ihr blieben. Die Kurzlebigkeit der Sterblichen war schlimm, ein Fluch, der sie jedes Mal aufs Neue in diese Situation brachte. Das sterbliche Leben war so … zerbrechlich, gemessen an dem der Unsterblichen, und doch musste sie zugeben war auch dies der Charme, der Reiz, der von diesen schwächlichen Lebewesen ausging.
Die Unsterblichen konnten den Platz dieser niederen Wesen niemals ausfüllen. Ein Grund, weswegen sie mehr Zeit mit ihnen verbrachte, anstatt mit ihrem Liebhaber Ares, mit dem sie solch schöne Augenblicke in all den Äonen teilte. Doch hier und jetzt handelte es sich nicht um Ares, sondern einem außergewöhnlichen Menschen, der es geschafft hatte, ihre Gunst zu gewinnen. Er hatte nie viel gehabt, und doch gab er ihr so viel mit seinem Herzen. Seiner Seele. Seinem … Sein.
Allein ihre Gedanken an ihn erfreuten sie jedes Mal aufs Neue, doch nun war er fort. Aber nicht völlig, denn sie würde ihn ein letztes Mal sehen, ehe er für immer verloren war.

„Aphrodite?“ vernahm sie seine Stimme, als er durchsichtig vor ihr erschien. Er hatte seiner eigenen Beerdigung bis soeben beigewohnt und sie hatte es geschehen lassen. Für die Zeit gesorgt, die er brauchte. Das war eine der letzten Sachen, die sie ihm noch Gutes tun konnte. Durfte.
„Ja, Liebster?“ Ihre traurigen Augen richteten sich auf ihn, als sie diese beiden Worte, liebevoll hervorbrachte.
„Es ist an der Zeit.“, versuchte sie kontrolliert weiter zu reden, doch er erkannte ihre Gefühlslage. Immer. Und dies lag nicht nur an der vereinzelten, durch den Regen gut getarnten Tränen, die gerade ihre Wange hinablief. Er hatte es als Sterblicher geschafft durch ihre Fassade zu blicken. Bei ihm konnte die Liebesgöttin sie selbst sein. Schwäche zeigen. Eine der Charaktereigenschaften, die sie vor Ares nie zeigen konnte. Oder vielmehr ... nicht zeigen wollte, weshalb auch immer.
„Werde ich unsere Tochter wiedersehen?“ mit dieser Frage hatte sie bereits gerechnet. Sie schüttelte kaum merklich ihr Haupt.
„Ich weiß es nicht.“ Er nickte. Er verstand. Auch ihre Tochter war bereits vor Jahren von ihnen gegangen. Damals hatte Aphrodite sie ebenfalls ins Totenreich gebracht und Thanatos fortgeschickt, wie sie es heute auch getan hatte. Denn ihre Töchter und Liebhaber in den Hades zu begleiten war ihre Aufgabe. Ihre selbstauferlegte Pflicht. Denn sie war nicht nur die Liebesgöttin, sondern auch Epitymbidia, die Göttin der Gräber. Liebe besaß eben auch seine Schattenseiten. Liebe und Tod waren eben doch schlussendlich Seiten der gleichen Medaille.
„Gehen wir.“ Sie nickte.
„Ich will nur, dass du weißt, das ich dich immer geliebt habe.“ Auch in seinen Augen spiegelte sich die Traurigkeit über das eigene Ableben wieder, doch er rang sich ein Lächeln ab. Eines, dass er stets in schlechten Zeiten aufgelegt hatte, um sie nicht mit seinen Problemen zu belasten, auch wenn er immer gewusst hatte, dass sie diese vermutlich lösen konnte, doch das wollte er nicht. Wenn, dann sollte es ihm aus eigener Kraft gelingen.
„Ich dich auch, meine geliebte Aphrodite. Und wenn mich die Liebesgöttin ehrlich und aufrichtig lieben konnte, war ich sicher nicht einmal solch ein schlechter Mensch.“ Erneut, diesmal ebenfalls leicht lächelnd, schüttelte sie ihr Haupt.
„Der beste.“ Sie schnappte sich mit ihren zarten, schwarz lackierten Fingern seinen durchsichtigen Arm, was sie als Totengöttin schließlich konnte, und lächelnd traten sie ihren letzten gemeinsamen Gang an. Ihre Reise in die Unterwelt.


© W-B


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Beschreibung des Autors zu "The other side of Love"

Unsterblichkeit hat auch ihre Schattenseiten, den stets muss man sich von geliebten Sterblichen verabschieden, deren Zeit gekommen ist. Besonders von diesem Umstand betroffen ist niemand anderes als die Liebesgöttin Aphrodite, die nicht nur den Job als Liebesgöttin innehat, sondern auch einen Bereich der den meisten eher Unbekannt ist. Und auch dieses mal ist es wieder soweit. Aphrodite muss sich verabschieden.

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