In Bastian schien sich Einiges aufgestaut zu haben, denn er weinte eine ganze Weile, in der Kim, der ihn weiter stumm festhielt, langsam wegdriftete. Schließlich war er kurz davor, wieder einzuschlafen, aber Bastians Hand auf seiner Hüfte holte ihn zurück. Und mit einem Schlag wurde er dann richtig wach, als Bastian ihn herumdrehte, sodass Kim auf dem Rücken lag, und sich dann über ihn schob.

"Ich sag dir jetzt was," murmelte er mit immer noch ziemlich schwankender Stimme. "Ich sitz ganz schön auf dem Trockenen. Und das jetzt seit fast drei Monaten und ich hab echt keinen Bock mehr drauf." Er legte seine Hand wieder auf Kims Hüfte und fing an, ihn durch sein dünnes Hemd zu streicheln. "Und bei dir ist es ja sogar noch länger her. Das war doch mit diesem schmierigen Typen und gefallen hat's dir doch gar nicht." Er beugte sich zu Kim herunter, sodass sein warmer Atem sein Gesicht streifte, als er weiterredete: "Also komm, lass uns mal wieder ein bißchen Spaß haben! Ich hab auch n Kondom mit!"

Eigentlich hätte Kim diese Situation grade absolut surreal vorkommen müssen. Schließlich hatte es zwischen ihm und Bastian niemals irgendwelche Annäherung gegeben und auch geredet hatten sie über so etwas nie, noch nicht einmal scherzhaft. Und nackt gesehen hatten sie sich auch nur, wenn sie sich nebeneinander zum Schwimmen umgezogen hatten und auch da hatte sich keiner von ihnen auch nur ansatzweise für den anderen interessiert.

Kim war auch immer sehr froh darüber gewesen, dass es ihm nicht, wie einige andere von denen er gehört oder gelesen hatte, passiert war, dass er sich in seinen besten Freund verknallt hatte. Bastian war für ihn immer so etwas wie ein Bruder gewesen, schließlich waren sie ja auch zusammen aufgewachsen.

Sein in Alkohol getränktes Gehirn hatte allerdings in diesem Moment keinerlei Probleme über diese Dinge hinwegzusehen. Denn alles, was es grade interessierte war die Tatsache, wie gut es sich anfühlte, von Bastian gestreichelt zu werden, wie angenehm das Kribbeln war, dass dadurch in seinem ganzen Körper ausgelöst wurde und wie sehr er es vermisst hatte, genau diese Dinge zu fühlen. Und, dass Sex grade eine richtig gute Idee war.

"Okay," erwiderte Kim deswegen. "Aber ohne Küssen!" Denn das fand er dann sogar unter Alkohol zu abwegig.

Der Sex wurde verdammt gut, etwas, mit dem Kim selbst betrunken nicht gerechnet hatte. Aber vermutlich, weil es ihm jetzt grade ganz einfach gelang, über die Dinge, die ihn sonst gestört hätten, hinwegzusehen. Wie zum Beispiel, dass das hier über ihm Bastian war. Oder, dass das Bett immer lauter knarrte, je schneller der sich bewegte und dass vielleicht die Gäste in den anderen Zimmern, sofern es welche gab, mitbekamen, was sie hier taten. Oder, dass es am Anfang ein bißchen weh tat, weil sie etwas ungeduldig waren.

Kim hatte die Finger ins Laken gekrallt, denn Bastian anfassen ging ebensowenig wie küssen, und genoß es. Jedenfalls so lange, bis Bastian gekommen war. Denn anstatt zu gucken, ob auch Kim es genau so ging, sondern rollte er sich von ihm runter und lag eine ganze Weile schweratmend neben ihm. "Man!" rief er dann beinahe schon enthusiastisch. "Das war echt jetzt echt gut!" Er stand auf, ohne Kim noch einen Blick zuzuwerfen und ging zum Mülleimer neben der Tür, um das Kondom hineinzuwerfen.

Kim lag da und starrte an die Decke. Eigentlich hätte er jetzt enttäuscht sein müssen, dass es Bastian so offensichtlich egal war, was jetzt aus ihm wurde. Allerdings hätte er ihm auch niemals sagen können, was grade ihm vorging, genauso wenig, wie er ihn vorhin hätte küssen oder anfassen können. Und natürlich hätte er es jetzt auch einfach selbst zuende bringen können, allerdings hatte er grade ein anderes Problem: er war wieder ziemlich nüchtern geworden und ihm wurde erst jetzt so richtig bewusst, dass er bis vor wenigen Minuten Sex mit Bastian gehabt hatte, was mit einem Schlag sämtliche Erregung in ihm abtötete

Stattdessen stieg eine Mischung aus Panik und Entsetzen in ihm hoch und er hatte in diesem Moment das Gefühl, dass er keine Luft mehr bekommen würde. Er hörte das Bett knarren, als Bastian sich wieder hinlegte, aber Kim konnte seine Gegenwart in diesem Moment absolut nicht ertragen. Er musste dringend hier weg und da er nach wie vor nur halb angezogen war, konnte er schlecht aus dem Zimmer rennen. Blieb als einziger Zufluchtsort also nur das kleine Badezimmer. Kim sprang auf und stellte fest, dass er ziemlich wackelig auf den Beinen war und auf dem Weg musste er aufpassen, nicht über irgendwelche Sachen zu stolpern, die er in der Dunkelheit nicht sehen konnte.

Auf dem Badezimmer angekommen schloß er nicht nur die Tür hinter sich, sondern verriegelte sie noch zusätzlich. Dann riß er das kleine Fenster auf, steckte seinen Kopf hinaus und atmete paar Mal tief die kühle Nachtluft ein.

Danach fühlte er sich nicht mehr ganz so panisch und war wieder in der Lage, einigermaßen klar zu denken. Er war immer noch ziemlich fassungslos über das, was da grade passierte. Niemals hätte er mit so etwas gerechnet und schon gar nicht, dass es dann auch noch Bastian sein würde, der die Initiative ergriff.

Andererseits wäre diese Sache sicherlich auch niemals passiert, wäre er nicht in dieser Situation, in der er sich grade befand. Dass er wegen Greta noch so heftig geweint hatte, hatte deutlich gezeigt, in was für einer extremen Situation er sich grade befand und extreme Situationen erforderte dann wohl extreme Maßnahmen. Sex mit Kim war wohl einfach eine davon gewesen und Bastian war vermutlich grade auch zu betrunken, um über irgendwelche Konsequenzen nachzudenken.

Im Gegensatz zu Kim natürlich. Der genug Geschichten kannte, in denen Sex eine Freundschaft ruiniert hatte und das war wirklich das Letzte, was er wollte. Vor seinem geistigen Auge sah er jetzt schon eine Abfolge von peinlichen Situationen zwischen ihm und Bastian, weil sie einfach nicht mehr in der Lage waren, normal miteinander umzugehen.

Er wies sich selber zurecht, nicht gleich den Teufel an die Wand zu malen. Bei dem Pegel, den Bastian hatte würde sich morgen bestimmt an überhaupt nichts mehr erinnern können.

Und wenn Bastian sich nicht daran erinnerte und Kim es niemals erwähnte, wäre es praktisch so, als wäre es niemals passiert.

Mit diesem Gedanken versuchte Kim sich zu beruhigen, aber er musste noch eine ganze Weile am Fenster stehen, und in den dunklen sternenübersäten Nachthimmel hinausschauen, bevor er sich in der Lage fühlte, nicht nur zurück zu Bastian ins Bett zu gehen sondern dann auch einzuschlafen.

Bastian, der sich natürlich über nichts Gedanken gemacht hatte, schlief bereits und empfing Kim mit einem lauten Schnarcher.

Vorsichtig, um ihn nicht durch das Knarren des Betts aufzuwecken, kroch Kim auf die Matratze, wickelte sich eng in seine Decke und rückte dann so weit wie möglich von Bastian weg . Er schloß die Augen, aber erwartete keine Sekunde, in dieser Nacht noch zu schlafen. Doch das frühe Aufstehen, die doch ziemlich anstrengende Hochzeit und die körperliche Betätigung danach sorgten dann doch dafür, dass er irgendwann einschlief.

Er wurde davon wach, dass ihn jemand an der Schulter gepackt hatte und sanft schüttelte. Dazu sagte eine Stimme seinen Namen und als die Augen öffnete, sah er direkt in Bastians Gesicht. Es dauerte nur eine Sekunde, dann fiel Kim die letzte Nacht wieder ein. Sofort war das ungute Gefühl wieder da, denn er hatte in diesem Moment keine Ahnung, wie er sich jetzt Bastian gegenüber verhalten sollte. Oder wie er reagieren sollte, wenn Bastian darüber reden wollte. Denn dazu fühlte Kim sich grade absolut nicht in der Lage.

Aber Bastian hatte ganz andere Sachen im Sinn, als die letzte Nacht. "Hab gestern ganz vergessen, dass wir ja heute noch bei Manu und André zum Frühstück eingeladen sind," sagte er und ihm war deutlich anzuhören, dass er grade etwas gestresst war. "Und ich hab vergessen, den Wecker zu stellen und jetzt sind wir natürlich schon viel zu spät dran." Er tätschelte Kim einmal in gänzlich asexueller Art die Schulter. "Also los, aufstehen! Ich hab Manu schon geschrieben, dass es leider später wird."

Er bückte sich, um irgendetwas aufzuheben, das neben dem Bett lag und als er wieder hochkam, stieß er einen schmerzerfüllten Laut aus und presste sich die Hand gegen die Stirn. "Man, ich weiß echt nicht, was sich grad mehr rumzickt: mein Kopf oder mein Magen."

Es fühlte sich wie eine völlig normale Situation zwischen ihnen an, aber Kim traute dem Ganzen nicht. Doch natürlich ließ er sich nichts anmerken. Er stand langsam auf, in der Hoffnung, dass ihn dann der Kater nicht ganz so hart ansprang, aber natürlich brachte es nichts. Es reichte schon allein aus, die Decke zurückzuschlagen, um von heftigen Kopfschmerzen heimgesucht zu werden.

Mühsam quälte Kim sich hoch, wobei er auch noch feststellen durfte, dass ihm gefühlt jeder Knochen im Leib wehtat und als er neben dem Bett stand, zwang er sich dazu, Bastian in die Augen zu sehen, als er zu ihm sagte: "Also bei mir ist es eindeutig der Kopf."

Wenn es nach Kim gegangen wäre, dann wären sie definitiv nicht zu diesem Frühstück gegangen, sondern hätten sich gleich ins Auto gesetzt und wären nach Hause gefahren. Er hatte plötzlich Sehnsucht nach seiner Wohnung, seinem Bett, der Couch und der Möglichkeit, Bastian erst mal nicht mehr sehen zu müssen, um Abstand von ihm und letzter Nacht zu bekommen. Aber natürlich sagte er das nicht, sondern machte gute Miene zum bösen Spiel.

Glücklicherweise waren bei diesem Frühstück auch nur das Brautpaar, Bastian und er anwesend, denn für mehr Menschen hätte Kim keine Kraft gehabt. Und da es bei diesem Treffen in erster Linie darum ging, dass die beiden noch etwas Zeit mit Bastian verbringen konnten, den sie danach vermutlich wieder eine Weile nicht mehr sehen würden, konnte Kim sich gut hinter seinem Glas mit Orangensaft verstecken, etwas anderes bekam er grade nicht runter, und das Gespräch einfach an sich vorbeirauschen lassen.

Auf der einen Seite war er heilfroh, als sie endlich aufbrachen, aber auf der anderen Seite graute es ihm auch davor, jetzt drei Stunden mit Bastian alleine im Auto zu sitzen. Er hatte zwar bis jetzt den Eindruck gehabt, als hätte der wirklich keine Ahnung mehr, was gestern zwischen ihnen gewesen war, aber er konnte sich auch, genau wie Kim, einfach dazu entschlossen haben, jetzt noch nicht darüber zu reden. Und, die Idee kam Kim, als er die Autotür hinter sich zuschlug und nach dem Gurt griff, vielleicht erinnert Bastian sich zwar doch, aber dachte wiederum, dass Kim gestern zu betrunken war, um noch irgendetwas davon zu wissen. Und wenn das jeder von dem anderen dachte, dann hieß das, dass sie niemals darüber reden würden und das wäre wohl auch das Allerbeste.

Auf der Rückfahrt gab es diesmal nicht Bastians Mix, sondern leise Musik und Nachrichten aus dem Radio. Und sie alberten auch nicht miteinander herum, das ließen schon allein ihre Kopfschmerzen nicht zu.

Kim schaffte es nach einer Stunde Fahrt endlich, nicht mehr die ganze Zeit darauf zu warten, dass Bastian das Thema doch noch ansprechen würde, sondern sich zu entspannen und immer mal wieder ein kurzes Nickerchen zu machen.

Bastian hatte sich zu Beginn der Fahrt seine Sonnenbrille aufgesetzt und behielt sie auch die ganze Zeit auf. Auch, als er Kim vor seiner Haustür absetzte.

Sie sahen sich an, Kim hatte schon die Hand am Türgriff, um auszusteigen und erwartete jetzt die unangenehme Situation, mit der er schon den ganzen Tag immer wieder gerechnet hatte, aber Bastian sagte in absolut normalen Tonfall: "Danke nochmal, dass du mitgekommen bist und ich hoff, es hat dir wenigstens etwas Spaß gemacht."

Kim brauchte einen Moment, um zu antworten, weil er den letzten Satzteil erst einmal nach einer eventuellen Zweideutigkeit scannen musste. Schließlich kam er zu der Erkennis, dass dort keine versteckt war und gleichzeitig fiel ihm auf, wie lange er jetzt schon schwieg und dass er grade dafür sorgte, dass die Situation sich unangenehm anfühlte. "Ja, ja, ich hatte Spaß!" beeilte er sich deswegen zu sagen, was die Lage in seinen Augen nur noch verschlimmerte.

Aber wenn Bastian das aufgefallen war, dann zeigte er es nicht. "Dann bis zum nächsten Mal," sagte er einfach, als Kim schon halb aus dem Auto heraus war. Kim konnte den Impuls nicht unterdrücken, noch einmal den Kopf zu drehen und Bastian anzusehen. Er schenkte ihm ein kleines Lächeln und auch, wenn Kim seine Augen hinter der Sonnenbrille nicht sehen konnte, stieg plötzlich die absolute Gewissheit in ihm hoch, dass Bastian noch ganz genau wusste, was zwischen ihnen gewesen war. Und dass er wusste, dass auch Kim sich erinnerte.

Kim konnte nicht sagen, woher er auf einmal diese absolute Gewissheit hatte, aber jetzt, wo sie da war, wurde er sie natürlich auch nicht mehr los. Und weil er nicht wollte, dass Bastian etwas von seiner plötzlichen Offenbarung mitbekam, wandte er schnell den Blick ab, als er: "Ja, bis bald," erwiderte und dann ausstieg.

Das Bedürfnis, jetzt gleich hoch in seine Wohnung zu rennen und die Tür hinter sich zuzuknallen war übermächtig und Kim musste alle seine Willenskraft aufbringen, um ihm nicht nachzugeben. Betont lässig holte er seine Sachen aus dem Kofferraum und nickte Bastian noch einmal zu, bevor er zur Haustür ging, während er in der Tasche nach dem Schlüssel kramte. Als er ihn nicht sofort fand, bekam er Panik, dass er ihn verloren hatte und anstatt gleich in seine Wohnung zu können noch einen sauteuren Schlüsseldienst anrufen musste, aber dann stießen seine Finger in seiner Seitentasche auf kantiges Metall und er seufzte einmal erleichtert auf.

Bei den Stufen zu seiner Wohnung konnte er sich jetzt aber nicht mehr zurückhalten. Er hastete sie hoch, den Wohnungsschlüssel schon griffbereit.

Endlich in der Wohnung angekommen, knallte er die Tür hinter sich zu, ließ, alles was er in den Händen hielt, achtlos fallen, ging ins Schlafzimmer, warf sich aufs Bett und zog sich das Kissen über den Kopf.


© Fenni


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