Kurz, nachdem er zugesagt hatte, mit Bastian auf diese Hochzeit zu gehen, kamen Kim Zweifel, ob das eine gute Idee war – für Bastian. Der dann sicher die ganze Zeit nur daran denken konnte, das es sich mit seiner eigenen Heirat erledigt hatte.

Allerdings machte Bastian den Eindruck, als wäre er inzwischen komplett über die Sache mit Greta hinweg. Vorher hatte er noch sehr viel über sie gesprochen und war dann dabei entweder wütend oder melancholisch geworden, aber jetzt erwähnte er sie mit keinem Wort mehr. Und er verließ sein Schneckenhaus, in dem er den letzten Monat verbracht und zu dem immer nur Kim Zutritt gehabt hatte und sie trafen sich auch wieder mit ihrem gemeinsamen Freundeskreis.

Natürlich hatten die auch schon mitbekommen, dass Bastian und Greta sich getrennt hatte, aber den Grund kannten sie nicht. Und als Bastian darauf angesprochen wurde, brach er nicht, wie Kim zuerst befürchtete hatte, heulend zusammen, sondern er erzählte, ruhig und ohne näher ins Detail zu gehen, dass Greta ihn betrogen hatte. Womit sich natürlich alle taktvoll zufrieden gaben und nicht weiter nachfragten, sondern einfach mit dem Kartenspiel anfingen, für das man sich entschieden hatte.

Obwohl Bastian sich weiterhin völlig normal benahm und auch seinen üblichen Ehrgeiz bei jedem Spiel zeigte, konnte Kim trotzdem nicht umhin, ihn nach diesem Gespräch noch eine Weile zu beobachten, ob bei ihm wirklich alles in Ordnung war. Als Bastian auch zwei Stunden später nicht das kleinste Anzeichen von Wut oder Trauer zeigte, da wurde Kim langsam klar, dass er nicht weiter die beschützende Glucke spielen musste. Denn nur, weil er sich sicher war, dass er definitiv länger brauchen würde, um über eine achtjährige Beziehung hinweg zu kommen, musste das ja nicht auch für Bastian gelten. Bei ihm schien es eben nur anderthalb Monate zu dauern.
Also schob Kim sämtliche Sorgen und Befürchtungen zur Seite und kehrte auch zum Alltag zurück.

Er fing an, sich auf die Hochzeit zu freuen, er hatte vorher noch nie jemanden von Bastians ehemaligen Kommilitonen getroffen und da er außerdem selten aus seiner kleinen Welt rauskam, war eine dreistündige Autofahrt und ein anderes Bundesland für ihn schon so etwas wie eine Auslandsreise.

Mit ziemlicher Vorfreude packte er deswegen Donnerstagabend seine Tasche und holte seinen einzigen Anzug aus dem Schrank. Das letzte Mal hatte er ihn vor zwei Jahren auf der furchtbar langweiligen Gala zum fünfzigjährigen Jubiläum der Firma getragen, weswegen er ihn vorsichtshalber noch einmal anprobierte, bevor er ihn in den dazugehörigen Kleidersack packte.
Passen tat er noch einwandfrei, aber er warf lieber noch einmal einen kritischen Blick in den Spiegel, ob er ihm auch noch stand.

Und während er grade seine etwas nachlässig gebundene Krawatte zurecht rückte, spürte er plötzlich einen Stich, als er daran dachte, dass er diesen Anzug vermutlich auch auf Bastians und Gretas Hochzeit getragen hätte. Und dann dämmerte es ihm, dass er derjenige war, der einfach nicht über ihre Trennung hinwegkam. Er starrte sich selbst im Spiegel an, als ihm klar wurde, dass vermutlich genau das der Grund war, wieso er Bastian einfach nicht zugestehen konnte, dass er zum Alltag zurückgekehrt war. Weil er es eben selbst auch nicht schaffte. Aber damit musste jetzt endgültig Schluß sein! Schließlich gab es das Paar Greta und Bastian nicht mehr, also war nichts mehr da, das Kim idealisieren konnte. Zeit also, nach vorne zu sehen und nicht zurück und sich jetzt einfach auf die Hochzeit und Bastians Kommilitonen und die ganzen anderen Menschen zu freuen, auf die er da treffen würde. Anstatt die ganze Zeit nur auf Bastian zu achten, ob es ihm auch gut ging.

Bastian, der am Freitag früher Feierabend hatte als Kim, holte ihn von der Arbeit ab. Kim verstaute die mitgebrachte Tasche und den Anzug sorgfältig zwischen Bastians Sachen im Kofferraum und als er sich auf den Beifahrersitz setzte, grinste Bastian ihn breit an. "So, los geht's. Und ich hab den besten Musik-Mix zusammengestellt, den du dir vorstellen kannst!"

"Na dann lass mal hören," erwiderte Kim und stellte fest, dass sein Zwiegespräch im Spiegel gestern wirklich etwas gebracht hatte. Denn Bastians unverhohlen gezeigte Vorfreude deutete Kim jetzt nicht als den verzweifelten Versuch, sich von Greta abzulenken, sondern einfach als das, was sie war: Vorfreude.

Die auch die ganze dreistündige Autofahrt blieb und schließlich auch Kim ansteckte. Sie sangen beide lauthals und schief zu Bastians super Musik-Mix mit, scherzte miteinander und ließen sich auch von dem eine halbe Stunde dauernden Stau nicht aus der Ruhe bringen. Und auch nicht, als sie, nachdem sie von der Autobahn abgefahren waren, noch eine weitere halbe Stunde, trotz Handynavigation, durch die Pampa fuhren, bis sie endlich die Straße fanden, die sie ins richtige Dorf brachte.

Nach einigen engen verwinkelten Gässchen und verwackelten Handyfotos aus dem fahrenden Auto heraus von Fachwerkhäusern, die Kim ganz besonders gut gefallen hatten, erreichten sie schließlich den kleinen Gasthof, in dem sie übernachten sollten. Und so, wie sie schon fast den ganzen Tag herumgeirrt waren, um ihr Ziel zu finden, so mussten sie auch jetzt eine Weile suchen, bis sie den Hoteleingang auf der Rückseite des Gebäudes fanden.

Das Zimmer war klein und geblümt: Blümchentapete, Blümchenvorhänge, ein Blümchenüberwurf auf dem riesigen Doppelbett aus Holz und natürlich Blumen in einer Vase auf dem kleinen Tisch. Das war es, was Kim ins Auge fiel, als sie schnell ihr Gepäck abluden und sich danach sofort auf den Weg zur Wohnung des zukünftigen Brautpaars machten, wo eine kleine Party stattfand, für die sie schon etwas zu spät dran waren.

Es war nur das Brautpaar, die Trauzeugen und die Schwester der Braut anwesend und vermutlich diente dieses Zusammentreffen in erster Linie dazu, die letzten Einzelheiten vor dem morgigen großen Tag zu besprechen. Aber da man Bastian jetzt schon über ein Jahr nicht gesehen hatte, war er auch eingeladen worden und wurde mit strahlendem Lächeln und zwei festen Umarmungen begrüßt. Und auch die Begrüßung für Kim fiel nicht weniger herzlich aus, was es ihm sehr einfach machte, sich sofort auf die fremden Leute einzulassen. Und der Dialekt, der hier gesprochen wurde, gefiel ihm verdammt gut.

Um halb elf und nach ein paar Gläsern Wein war dann allerdings schon Schluß, schließlich würde der morgige Tag ziemlich anstrengend werden. In diesem Zusammenhang erfuhr Kim dann auch, dass nicht nur die standesamtliche sondern auch die kirchliche Hochzeit am gleichen Tag stattfinden würden und wenn er an die Gespräche und Diskussionen dachte, die er so nebenbei aufgeschnappt hatte, war er froh, dass er mit der Planung des Ganzen nichts zu tun hatte.

Jetzt, wo sie keinen Zeitdruck mehr hatten, gönnten sich Kim und Bastian einen kleinen Nachtspaziergang durch das Dorf, in dem außer ihnen natürlich keiner mehr auf der Straße war.
Kim erfreute sich nicht nur an den kleinen Häuschen mit den gepflegten Vorgärten , die er leider nur teilweise im Licht der Straßenlaternen ausmachen konnte, sondern auch daran, dass Bastian ein kleines Liedchen vor sich hinsummte. Denn schließlich dachte Kim nicht mehr, dass er das nur tat, um sich irgendwie von seinem Kummer über Greta abzulenken, sondern, dass er sich einfach gut fühlte.

Kim schlief zwar sofort ein, nachdem er sich ins Bett gelegt hatte, aber trotzdem war es keine erholsame Nacht, denn er wurde häufig davon wach, dass das Bett knarrte, weil sich einer von ihnen bewegte. Und er hatte ganz vergessen, dass Bastian sich immer gerne sehr breit machte und er deswegen häufiger mal von ihm getreten oder geboxt wurde.

Als um acht Uhr dann der Wecker von Bastians Handy klingelte, quälte Kim sich mühsam hoch und fühlte sich wie gerädert. Er hätte jetzt noch drei Stunden schlafen können, aber das war natürlich nicht möglich. Schließlich mussten sie sich fertig machen und dann auch noch eine halbe Stunde in die nächste Stadt fahren, weil es in diesem Dorf kein Standesamt gab.

Während Bastian oben im Badezimmer noch damit beschäftigt war, sein Haar in eine für ihn akzeptable Form zu bringen, gönnte Kim sich unten in der Gaststätte erst mal einen extra starken Kaffee und als Bastian dann schließlich auch mit allem fertig war und kam, um ihn abzuholen, da fühlte er sich immerhin nicht mehr wie ein lebender Toter,

Die Fahrt über löchrige Straßen führte sie durch einen Wald, einen Berg hoch und wieder runter und an einem See vorbei und erneut war Kim so verzaubert von der Landschaft, dass er seine Müdigkeit komplett vergaß.

An dem See lag auch die kleinen Stadt, in der geheiratet wurde und als sie ankamen, war der Großteil der anderen Gäste schon eingetroffen.

Nachdem sie ausgestiegen und über den Kopfsteinpflasterplatz auf die Menschenansammlung zugegangen waren, machten sie schnell bekannte Gesichter aus und gesellten sich dazu. Sie redete ein wenig und schlossen noch ein paar weitere Bekannschaften, bis die Mutter des Bräutigams schließlich darauf bestand, dass alle schon einmal im Trauzimmer Platz nahmen, da das Brautpaar auch gleich da sei.

Der Raum war, genau wie das Standesamt, nicht besonders groß, aber die Hochzeitsgesellschaft war es auch nicht, sodass alle zwanzig Leute bequem Platz fanden.

Als das Brautpaar dann schließlich eintrat, sah die Braut in ihrem rosa Kleid und den hochgesteckten Haaren natürlich umwerfend aus – aber der Bräutigam in seinem grauen Anzug fesselte Kims Aufmerksamkeit selbstverständlich viel mehr. Gestern, in Tshirt und Jeans war ihm gar nicht aufgefallen, was für ein hübscher Kerl er war, aber heute in seinem grauen Anzug kam das richtig zur Geltung und Kim konnte nicht verhindern, für einen Bruchteil neidisch auf die Braut zu sein.

Glücklicherweise verschwand dieses absolut unnötige Gefühl gleich wieder, aber es hatte Kim an seine Mission erinnert. Nicht, dass er ernsthaft glaubte, auf dieser Hochzeit den Mann seines Lebens zu treffen und das hätte dann auch einige Nachteile, wie zum Beispiel die nicht grade geringe Entfernung zwischen ihren Wohnorten, aber romantisch wäre es ohne Zweifel.

Kim hatte allerdings schon mit einem kurzen Blick in die Runde vor dem Standesamt feststellen können, dass die meisten Anwesenden Pärchen waren und der einzige Mann, bei dem es den Anschein hatte, als wäre er Single, machte den Eindruck, absolut hetero zu sein. Kims Mission war also beendet, bevor sie richtig begonnen hatte und da er letztendlich damit gerechnet hatte, war er auch nicht wirklich traurig.

Nach dem Standesamt wurde das Brautpaar eine ganze Weile an malerischen Plätzen am See fotografiert, während es für die Hochzeitsgesellschaft Sekt und weitere Gespräche gab, sodass Kim schließlich alle zwanzig Gäste kannte und jetzt auch mit absoluter Sicherheit sagen konnte, dass der Hetero-Kerl definitiv hetero war und offensichtlich ein Auge auf die Trauzeugin der Braut geworfen hatte.

Nachdem Braut und Bräutigam genug vor dem See fotografiert worden waren, fuhren alle zurück ins Dorf zur Kirche, wo es gleich weiterging. Kim, der nie irgendetwas mit Religion am Hut hatte, langweilte sich während der zweistündigen Predigt zu Tode und machte sich eine mentale Notiz, dass er, sollte er jemals heiraten, die Kirche dabei definitiv weglassen würde.

Nach der Kirche wurde das Brautpaar natürlich wieder fotografiert – schließlich trug die Braut ja jetzt auch ein anderes Kleid - während es für die anderen zwar keinen Sekt aber wieder Gespräche gab

Nachdem das Brautpaar dann endlich zu seiner Zufriedenheit abgelichtet worden war, ging es zu Fuß zu der kleinen Gaststätte, wo es endlich etwas zu Essen gab. Für Kim, der bis jetzt nur den Kaffee und ein paar Häppchen, die zusammen mit dem Sekt vorm Standesamt angeboten worden waren, zu sich genommen hatte und dem jetzt der Magen gefühlt in den Kniekehlen hing, war es auch höchste Zeit.

Es gab ein Buffet mit lauter Sachen, die er wahnsinnig gerne aß und so packte er sich hemmungslos den Teller voll und ging auch mehr als einmal.

Nach dem Essen gab es Reden und ein paar teilweise richtig lustige Hochzeitsspielchen und danach baute der gebuchte DJ sein Equipment auf und es wurde getanzt. Die Musik war gut und Kim hatte eine Menge Spaß. Der Alkohol, der in Strömen floß, tat auch noch sein Übriges dazu, sodass alle bald ausgelassen und lustig waren.

Allerdings verschwand Kims Ausgelassenheit, als er zufällig sah, wie Bastian sich in einer Ecke mit der Braut unterhielt. Beide machten sehr ernste Gesichter und Kim brauchte nicht wirklich viel Vorstellungsvermögen um zu wissen, dass es dabei um Greta ging.

Danach behielt er Bastian noch eine ganze Weile im Auge, bis ihn sein Gehirn darauf hinwies, dass es keinen Grund mehr zur Sorge gab und er es sein ließ.

Um halb vier war Kim so betrunken und müde, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und glücklicherweise war das geblümte Bett ja nur ein paar Stufen entfernt. Den Schlüssel hatte Bastian ihm auch schon in weiser Voraussicht gegeben. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass Kim eine Party vor ihm verließ.

Kim verabschiedete sich von Braut und Bräutigam und von denen, die er auf seinem Weg zum Ausgang traf.

Eine Hürde stellte dann noch das Zimmerschloß dar. Da Kim den Schalter für das Flurlicht nicht gefunden hatte, versuchte er jetzt im Dunkeln das Schloß zu treffen, was ihm erst nach dem elften Versuch gelang.

Im Zimmer wäre er auf dem Weg zum Bad fast über Bastians Tasche gestolpert und konnte sich grade noch an der Wand abfangen. Das brachte seinen Magen zum Rotieren, der von einer Sekunde auf die andere dagegen protestierte, dass Kim heute viel zu viel Zeug durcheinander getrunken hatte.

Er schaffte es grade noch rechtzeitig zur Toilette und nachdem er gekotzt hatte, ging es ihm erst richtig schlecht. Vorallem sein Kopf schien in Flammen zu stehen.

Nach Hose und Sakko hatte er keine Lust mehr, sich noch weiter auszuziehen, sondern fiel nur noch ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.

Das Knarren des Bettes riss ihn unsanft aus dem Schlaf und für einen Moment war er komplett desorientiert und während sein immer noch alkoholisiertes Gehirn damit beschäftigt war, die Teile zusammenzusetzen, hörte er Bastians seltsam dumpf klingende Stimme neben sich: "Bist du noch wach?" fragen und da fiel ihm alles wieder ein.

Er drehte sich, vorsichtig, da es sich immer noch so anfühlte, als würde sein Kopf jeden Momet explodieren, zu Bastian um und öffnete den Mund, um zu antworten.

"Ich vermiss Greta so verdammt," stieß Bastian da hervor und brach im gleichen Moment in Tränen aus.

Natürlich hätte Kim jetzt daran denken können, dass er seinem Gefühl von Anfang an hätte vertrauen können und Bastian wirklich noch nicht über Greta hinweg war. Aber er war grade nicht in der Lage zu denken. Deswegen umarmte er den heftig weinenden Bastian einfach nur wortlos und zog ihn an sich.


© Fenni


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