Späte Liebe in Zeiten von Corona

© yupag chinasky

Es waren die schönsten Momente seines Lebens, die fast nahtlos in die schlimmsten übergingen. Erst die Freuden einer späten Liebe, dann den Tod vor Augen, mehr Extreme, mehr Tragik kann ein Leben kaum bieten. Zu Beginn einer seltsamen Beziehung die große Hoffnung, gefolgt von einem wirklich fatalen Ende, ein Ende des Schreckens in einer schrecklichen Zeit, in der Zeit, als das Coronavirus die Welt beherrschte und unendliches Leid über sie brachte. Aber der Reihe nach.

Die Vorgeschichte kann man kurz halten. Ein Mann, immer noch in den besten Jahren, obwohl er vor Kurzem bereits in seine dritte Lebensphase, den aktiven Ruhestand, eingetreten ist. Er ist verheiratet, wenn auch das Verhältnis zu seiner Frau ziemlich getrübt ist. Sie haben keine Kinder. Materiell lebt er in sicheren Verhältnissen, er fühlte sich gesund und stark, obwohl ihn ein leichter Herzinfarkt kurzatmig und vorsichtig gemacht hat. Dieser Mann reist nach Kuba, weil ihn das Land schon seit Langem interessiert, er es aber bisher noch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, obwohl man ja sagt, dass nach Kolumbus, eines Menschen Auge noch nie ein schöneres gesehen habe. Die übliche Karibikromantik mit heißer Musik und Tanz, mit dicken Zigarren und Rum sprach ihn wenig an, es war vielmehr der morbide Charme verfallener Städte, den er in einem Film sah, den er selbst sehen wollte, solange es ihn noch gab. Er hatte sich auf die Reise vorbereitet. Die Revolution 1959 interessierte ihn, der aussichtslose, mühsame Kampf gegen den übermächtigen Nachbar, David gegen Goliath, das imponierte ihm und empörte ihn. Er hatte sogar einen Grundkurs in Spanisch absolviert, aber viel war nicht hängen geblieben, seine Französischkenntnisse und ein Wörterbuch müssten reichen und sie taten es, wie sich zeigen sollte. Allein wollte er das Land nicht erkunden und so hatte er bei einem renommierten Veranstalter eine zwei wöchige Gruppenreise im Bus zu den bekanntesten Orten des Landes gebucht.

Die Reise begann Mitte März in dem schlimmen Coronajahr 2020 in Havanna, setzte sich fort über Vinales, Cienfuegos, Santa Clara, Trinidad und Camaguey bis nach Holguin, dem Ort des Rückflugs. Zum Abschluss standen noch drei Tage Entspannung an dem nahen Traumstrand von Guardalavaca auf dem Programm. Die Reise verlief gut, ohne Probleme, aber auch ohne besondere Höhepunkte. Er sah genügend zerfallende Bauwerke, manche eindrucksvollen Paläste aus der Kolonialzeit, aber seine Begeisterung für das Land hielt sich in Grenzen. Die Gruppe war in Ordnung, schade war nur, dass er keinen rechten Anschluss fand, doch das machte ihm nicht viel aus, denn er war ohnehin ein Einzelgänger. Nach dem gemeinsamen Abendessen versuchte er Einblicke in das Alltagsleben der Kubaner zu erhalten, indem er durch die nächtlichen Straßen schlenderte, in Bars oder Kneipen einen mojito oder ein cerveza trank und seine spärlichen Sprachkenntnisse anbrachte.

Die Reise wäre nicht erzählenswert, wenn ihn nicht in Holguin die Liebe mit großer Macht überfallen hätte. Er war nicht abgeneigt, sich mit Frauen einzulassen, seit seine Ehe kriselte, aber es war mühsam, Beziehungen herzustellen, er war kein Frauenheld, und somit beschränkte er sich auf lose Urlaubsbekanntschaften. In Holguin schlenderte er wie gewohnt durch die nächtliche Stadt, setzte sich auf eine der Steinbänke im Parque Calixto Garcias mitten im Zentrum, beobachtete die Menschen und erfreute sich an der Darbietung von Mexikanern, die nicht aus Mexiko waren, wie er später erfuhrt, die mit Mariachiklängen die Leute unterhielten. Die Gruppe wurde von einer jungen, hübschen Sängerin begleitet, deren Stimme ihm sehr gefiel und auch die Lieder, die sie sang. Es war aber nicht nur die Stimme, sondern auch ihr Aussehen, das ihn faszinierte, obwohl sie anfangs noch etwas weit weg war und er sie erst später genauer in Augenschein nehmen konnte. Eine junge Frau von 23 Jahren, wie er später erfuhr, mit großen, ausdrucksstarken Augen in einem sehr hübschen Gesicht voller Sommersprossen, etwas war er hier noch nie gesehen hatte. Sie besaß braune, etwas ungeordnete, mittellange Haare und trug ein sehr kurzes, weißes Kleid, darauf in Schwarz das Gesicht einer Frau mit Schnurrbart. Sie war nicht groß und vielleicht um das zu kompensieren, hatte sie sehr hochhakige Schuhe an, die sie offensichtlich nicht gewohnt war, denn beim Gehen stakste sie sehr deutlich. Die Musikanten kamen auch zu ihm, dem offensichtlichen Ausländer auf dem Platz, und fragten, ob er einen Wunsch habe. Auf die Schnelle fiel ihm als einziges spanisches Lied nur "besame mucho" ein. Die junge Sängerin hauchte die Worte von Liebe und Abschied höchst ausdrucksvoll und sah ihn total verliebt an, sodass es ihm ganz warm ums Herz wurde. Auf einmal schlich sich der Gedanke ein, wie schön es sein müsste, von dieser jungen Frau geküsst zu werden. Er gab der Gruppe und der Sängerin noch einmal extra ein großzügiges Trinkgeld und sagte ihr in seinem besten, schlechten Spanisch, wie gut sie gesungen habe, wie sehr ihm das Lied gefallen habe, leider habe er den Text nicht verstanden, ob sie ihn etwas erläutern könne, er habe nur eines verstanden, nur dass sie geküsst werden wolle, nur "besame mucho", mehr habe er nicht verstanden. Die junge Frau lachte herzlich und sagt zu seiner Überraschung, das würde sie gern tun, ihm den Text erklären und dann setzte sich neben ihn auf die Bank. Er deutete fragend auf die Gruppe, aber sie gab ihm zu verstehen, dass sie nicht dazugehöre, dass sie nur zum Spaß manchmal mitsänge und für heute sei es genug, jetzt wolle sie sich ausruhen. Sie verabschiedete sich von den falschen Mexikanern, diese lachten und riefen ihr noch etwas zu, dann zogen sie weiter, auf der Suche nach anderen Touristen, die hoffentlich genauso spendabel sein würde. Aber zunächst war es noch einmal an ihm, spendabel zu sein, denn das Mädchen, sie hatte sich als Maria, vorgestellt, fragte ihn, ob er ihr ein Bier spendieren würde, ihr Hals sei ganz trocken von all dem Singen. Das tat er natürlich sehr gerne und sie holte zwei Dosen Cristal aus dem nächsten Laden. Sie prosteten sich zu und tranken und er war sehr glücklich.

Die folgenden Stunden im Detail zu beschreiben, ist nicht nötig. Es reicht zu sagen, dass er die Sängerin Maria nicht nur höchst nett und sympathisch fand, nein er verliebte sich Hals über Kopf in die junge Frau, die allein wegen ihrer Jugend für einen Mann wie ihn, höchst attraktiv war. Auch sie fand ihn durchaus anziehend und betonte mehrfach, dass das Alter eines Mannes für sie keine Rolle spiele. Das fand er wiederum sehr aufmunternd und es war ein weiterer Grund, sich noch heftiger in die schöne Maria zu verlieben. Diese versprach sich wohl auch so einiges von der Bekanntschaft mit einem Ausländer, denn sie war in einer Situation, in der sich viele junge Frauen in diesem Land befinden, die sehr jung geheiratet hatten, früh Kinder bekamen und dann sehr rasch wieder verlassen wurden. Sie hatten keine Arbeit, kaum Geld, keine Aussicht einen Kubaner als Ehemann zu bekommen und lebten überhaupt ohne große Perspektive und meistens immer noch bei der eigenen Mutter. Ein Traum dieser chicas, und nicht nur dieser, war es, einen reichen Ausländer zu ergattern. Bei den Einkommensverhältnissen hier, war jeder Ausländer reich, der allein schon mit seinem Geld ihrem Leben einen positiven Drall geben würde und sie waren durchaus bereit, viel dafür zu tun und eine solche, eher seltene Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. In diesem Fall schlug ihm die schöne Maria vor, die letzten Tage seiner Reise nicht mit der Gruppe in Guardalavaca zu verbringen, wohin er sie sicher nicht mitnehmen dürfte, die wollen dort keine Einheimischen, das wisse sie. Er solle vielmehr mit ihr nach Gibara fahren, einer wunderschönen, kleinen Stadt am Meer, dazu noch viel näher als das langweilige Touristenghetto. Sie habe eine Tante dort, der eine casa particular gehöre, eine Wohnung die nur an Touristen vermietet würde. Sie zu mieten sei nicht teuer und sie könnten zusammen sehr glücklich werden, denn auch sie fänden ihn sehr toll, er sei ein wirklich wunderbarer Mann und sie würde gerne mit ihm zusammen sein.

Wenn die Liebe in diesem Alter zuschlägt, in Form einer wirklich sehr hübschen, gebildeten, kultivierten, attraktiven jungen Frau, die dazu noch eine bezaubernde Stimme hat und ihn voller Seligkeit anstrahlte, dann ist es kein Wunder, wenn ein Mann alles um sich herum vergisst und nur noch einen ganz dringenden Wunsch hat, er will mit dieser Frau zusammen zu sein und sei es auch nur für ein paar Tage. Es war kein Problem, mit dem Reiseleiter zu klären, dass er sich nun selbstständig machen und erst wieder rechtzeitig vor dem Rückflug auf die Gruppe stoßen würde. Es war auch für Maria kein Problem, ihr Kind bei der Oma zu lassen, die Ferienwohnung zu bestätigen und ein Auto zu organisieren. Das Auto, ein uralter Chevrolet, der fast nur noch aus Rost bestand, ein illegales Taxi, gehörte Carlos, einem Bekannten, der nachts junge Leute aus dem Umland in die Diskos der Stadt brachte. Carlos war ein Machotyp, Ende dreißig mit kurzen, gegelten Haaren der am liebsten bunte, ärmellose Hemden trug, aber er war sehr sympathisch und sehr gut vernetzt. Bevor sie am nächsten Tag nach Gibara fuhren, Händchen haltend auf dem Rücksitz, fuhr Carlos noch bei einer Bank vorbei und er hob genügend Bargeld ab, denn ihm war jetzt schon klar, dass er "seiner Maria" etwas da lassen würde. Er hatte inzwischen einiges über sie erfahren und wusste, dass ihre Armut reziprok zu ihrer Attraktivität war, sie besaß kaum einen Peso.

Am Freitag kamen sie gegen Mittag in Gibara an. Das Haus lag in der Stadt und fast am Meer, nur durch eine belebte Straße von einem kleinen Strand getrennt. Es war eines dieser schön ausgestatteten, ehemals gutbürgerlichen Häuser, die man auch nach vielen Jahren Sozialismus immer noch finden kann und das ihn, der ja auf der Suche nach solchen Gebäuden auf die Insel gekommen war, sofort begeisterte. Die Besitzerin war sehr freundlich und auch gerne bereitet, das Abendessen zu kochen. Die beiden Verliebten verbrachten wunderschöne Stunden in der charmanten kleinen Stadt und am Strand und noch schönere in dem breiten Bett, das mit einem romantischen Tüllvorhang versehen war und wo ein aus Handtüchern gefalteter Schwan auf sie wartete. Über die Stunden im Bett muss man nicht viel sagen, sie redeten viel und sie liebten sich und beide waren jedenfalls sehr glücklich. Irgendwann kam er zu der Erkenntnis, dass er sich nicht nur ein wenig verliebt, sondern dass er die wahre, späte Liebe seines Lebens gefunden hatte. Sie machten Pläne, wie es mit ihnen weitergehen könnte und schon jetzt stand für ihn fest, dass er in diesem Jahr ein weiteres Mal kommen würde und Maria zählte auf, was sie gerne als Geschenk aus Alemania haben möchte.

Dann war es Sonntag und der Tag wurde vom Abschiedsschmerz überschattet. Sein Flug fand um 19 Uhr statt, die Entfernung zum Flughafen betrug etwa 40 km, es müsste reichen, um 17 Uhr loszufahren. Maria rief Carlos an und der versprach, rechtzeitig in Gibara zu sein. Carlos war es, der Maria zum ersten Mal etwas von einer Krise erzählte, von einem Virus aus China, der in die Welt gekommen war, weil eine Frau eine Suppe mit Fledermäusen gegessen habe. Carlos war rechtzeitig da und sie fuhren auch rechtzeitig los, aber dann kam etwas Unvorhergesehenes dazwischen. Beim Überholen eines Pferdefuhrwerks, die in großer Zahl auf Kubas Straßen verkehren, scheute das Pferd, brach in die falsch Richtung aus, das Auto erfasste das Fuhrwerk, warf es um, der Kutscher fiel unglücklich auf die Straße und wurde verletzt, wenn auch nicht sehr schwer, aber er blutete heftig. Auch das Auto hatte einen Schlag abbekommen, war aber noch fahrtüchtig. Die Polizei wurde gerufen, Carlos wollte spätere Probleme vermeiden, sie kam nach einer halben Stunde und nahm den Unfall auf. Die Lage war aber nicht so einfach und trotz seiner dringenden Bitte, dass er zum Flughafen müsse, ließen sie ihn nicht fahren. Er müsse so lange da bleiben, bis der Unfallhergang geklärt und die Schuldfrage geklärt sei. Der Kutscher habe Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld und der Autofahrer sei nicht berechtigt gewesen, einen Ausländer, zu transportieren, dafür müsse er bestraft werden und auch er, der Ausländer, bekäme eine Strafe wegen dieser illegalen Fahrt, die er nicht hätte antreten dürfen. Um das alles zu klären, müssten ihre Dienststellen eingeschaltet werden und das könnte dauern, weil Sonntag sei und vielleicht müsse er sogar bis Montag warten. Die Aussicht war alles andere als rosig, die Verbindung zur Zentrale war gestört, der Kutscher jammerte und presste ein Taschentuch auf seine Wunde. Carlos war nervös, Maria hilflos, er selbst hatte nur einen einzigen Gedanken im Kopf, würde es noch zu dem Flug reichen. Die Schadensaufnahme, die so kompliziert und langwierig schien, ging dann aber doch zügig von Statten, der Kutscher hatte nur eine Platzwunde, seinen Karren würde er wieder reparieren können, nachdem er sich bereit erklärt hatte, einen dreistelligen Pauschalbetrag zu bezahlen, der alles abdecken würde. Er hatte zum Glück genug Bargeld dabei, es war ja für Maria vorgesehen und noch nicht übergeben. Sie durften weiterfahren, ausnahmsweise, wie der Polizist erklärte, weil er ja so dringend zum Flughafen müsse. Carlos sagte, als sie wieder allein waren, dass die beiden Polizisten das Geld teilen würde, weder der Staat noch der Kutscher würden einen Centavo abbekommen. Als sie dann endlich am Flughafen ankamen, war die Maschine schon startbereit auf dem Rollfeld und es gab für ihn keine Möglichkeit mehr, an Bord zu gelangen.

Eine weitere schlechte Nachricht traf ihn wie ein Hammer. Er erfuhr am Schalter, dass dies der letzte reguläre Flug war, der hier in Holguin angekommen sei und der Letzte, der abfliegen würde. Die Grenzen des Landes seien geschlossen, der Luftverkehr sei wegen Corona eingestellt worden. Man wisse nicht, wie es mit den Flügen weitergehen würde, es sei aber sicher, dass die Touristen, die noch im Land waren, zurück in ihre Heimat gebracht würden. Man wisse nur noch nicht wann und wie, man wisse gar nichts, er müsse sich gedulden und öfters anrufen. Ratlos saßen sie zu dritt in der Halle des Flughafens und nach Abwägen aller Möglichkeiten, beschlossen sie, in eine andere casa particular hier in der Stadt zu fahren, die diesmal einem Bekannten von Carlos gehörte, um dort abzuwarten und zu sehen, wie es weitergehen würde. Noch während sie beratschlagten, kam ein junges Pärchen auf sie zu, Landsleute von ihm, wie sich rasch herausstellte, die auch ein Problem hatten. Sie waren mit dieser letzten Maschine angekommen, beim Abflug in Frankfurt war die Welt noch in Ordnung gewesen, das Flugzeug noch voll mit Touristen, die trotz einiger warnender Anzeichen, das Wagnis auf sich genommen hatten, nach Kuba zu reisen. Es schien ja nur eine harmlose Grippewelle zu sein, die sich anbahnte und hier sei man sogar noch besser geschützt als daheim, mögen manche gedacht haben und andere wollten ihre bereits bezahlten Reisen nicht aufgeben. Die Grenzen waren ja noch offen gewesen, die Welt noch in Ordnung. Hier angekommen, waren die Reisenden mit Bussen und Taxis in ihre Hotels gebracht worden. Das Pärchen aber hatte Pech, sie Individualreisende, alle Taxis waren weg und hier gäbe es auch keine öffentlichen Busse. Sie wüssten nicht, wie sie in die Stadt kommen sollten, wo sie ein Zimmer bekommen könnten und überhaupt, was sie tun sollten und wo sie übernachten sollten und eine individuelle Rundreise sei ja wohl auch nicht mehr möglich. Wieder war es Carlos, dessen Kontakte hilfreich waren und der auch sofort versprach, ihnen zu helfen, als er nach vielen konzentrierten Anstrengungen, wusste, um was es ging, die beiden sprachen auch kaum ein Wort Spanisch. Er kenne in der Stadt einige casas particulares und sie würden bestimmt eine finden, die frei sei, jetzt wo viele Touristen gerade abgereist seien und die angekommenen seien bestimmt alle ans Meer gebracht worden, alle wollten ja immer nur an die Strände und seine schöne Heimatstadt würde kaum jemanden interessieren. Die beiden waren erleichtert, nachdem sie endlich kapiert hatten, was Carlos gesagt hatte. Auf der kurzen Fahrt erzählten sie unter anderem, dass sie gerade ein paar Tage mit ihren Eltern in Österreich, in dem Skiort Ischgl in Tirol verbracht hätten. Die Kubareise hätten sie schon seit langem geplant und das Ticket bezahlt und das mit dem Virus, ja sie hätten davon gehört, aber es verursache ja nur eine leichte Grippe, um so mehr würden sie sich wundern, dass jetzt Kuba dicht sei. Was bliebe ihnen übrig, als zu warten und mit dem nächsten möglichen Flug wieder zurückzukehren. Schon die erste Wohnung war frei und die beiden verabschiedeten sich dankbar, auch sie sich nicht an den Fahrtkosten beteiligen mussten.

Das Ende der Geschichte, so traurig es auch ist, kann wie schon der Anfang rasch erzählt werden. Maria und er blieben bis Mittwoch in der Wohnung und er rief mehrmals am Tag im Flughafen an, aber keiner wusste etwas Genaues, man vertröstete ihn. Er überlegte, auch bei seiner Frau anzurufen, die sicher mitbekommen haben musste, wie die Lage auch in Kuba war, aber er tat es nicht. Am Dienstag hatte die Regierung eine Verordnung erlassen, nach der sich alle Touristen im Land in Quarantäne begeben müssten. Einzelreisende, die nicht in Hotels untergebracht waren, sollten sich innerhalb von 24 Stunden bei der Polizei melden. Der Vermieter des Hauses sagte, er müsse sich an die Vorschrift halten, er könne nur noch diese Nacht hier bleiben, sonst bekäme er selbst große Probleme. Quarantäne wollten weder er noch Maria, das hätte ja ihre Trennung bedeutet und es wäre fraglich gewesen, ob sie sich jemals hätten wiedersehen können. Carlos, der treue Helfer, wusste wieder Rat. Ein paar Kilometer hinter Gibara lag der Playa caletones, ein Strand, der nur von Kubanern und eigentlich nur im Sommer benutzt wurde. Er kannte wieder jemanden, der sicher bereit war, gegen ein wenig Geld, eine Hütte so lange zu vermieten, bis klar war, wie es weitergehen würde. Dort gäbe es Handyempfang und er könne genauso gut dort warten und erfahren, wann er zum Flughafen müsste. Und sollte die Polizei ihn dort aufspüren, was unwahrscheinlich war, die kämen da nie hin, könnte er sagen, er habe von der ganzen Quarantänescheiße nichts gewusst. Sie sollten sich hier in der Stadt Wasser und Lebensmittel für eine Woche kaufen, dort gäbe es so gut wie nichts, spätestens in einer Woche würde ja wohl klar sein, was mit seinem Rückflug wäre. In dieser Nacht liebten sie sich, wie wenn sie wüssten, dass sie nicht mehr viel Zeit hätten, so lang, so intensiv, voller Zärtlichkeiten und Glück. Am Morgen nach dem Aufwachen spürte er eine leicht Übelkeit und ein leichter Husten setzte ein. An Corona dachten beide nicht.

Schon am frühen Morgen kam Carlos. Sie fuhren in einen Laden und kauften ein, Wasser war seltsamerweise nicht vorhanden und Carlos musste herumtelefonieren, um zu erfahren, wo es welches gäbe. Dann fuhren sie noch einmal bei der Bank vorbei, obwohl es ein gewisses Risiko war, die Bankangestellten hätten vielleicht die Polizei rufen können, aber es ging gut und er hatte nur reichlich Geld und könnte sogar den Rückflug bar bezahlen, wenn es sein müsste. Am Donnerstag um die Mittagszeit waren sie in der kleinen Hütte, die alles bot, was sie für ein paar Tage brauchten. Carlos nahm das Geld für die Miete entgegen, das er dem Hausbesitzer geben würde und bedankte sich für die Scheine, die er zusätzlich in die Hand gedrückt bekommen hatte, der Lohn für seine Mühe, sie deckten deutlich mehr als nur seine Unkosten ab. Dann verabschiedete er sich mit den Worten, er stehe jederzeit zur Verfügung, ein Anruf genüge. Nun war er wieder allein mit Maria und die schöne gemeinsame Zeit hätten sie noch eine ganze Weile fortsetzen können, ohne sich um den Rest der Welt zu scheren, wenn, ja wenn nicht der Virus gewesen wäre, der die beiden und auch Carlos inzwischen heimgesucht hatte. Bei Maria und Carlos verlief die Erkrankung fast ohne sichtbare Symptome, aber sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Er müsse unbedingt ins Krankenhaus, drängte Maria, aber inzwischen war eine große Fatalität über ihn gekommen. Er lehnte ab, sagte er sei nur erschöpft und alles würde wieder gut und nein, Carlos solle nicht kommen. Am Sonntag, eine Woche nachdem er sich angesteckt hatte, starb er. Es war kein schöner Tod und auch Maria, die ratlos und verzweifelt bis zum Schluss bei ihm blieb, konnte ihn nicht trösten. Zum Glück hatte sich der Virus bei ihm nicht die Lunge ausgesucht, sodass er bis zuletzt genügend Luft bekam, sondern sein Herz, das schon angegriffen war und den Stress nicht mehr mitmachte. Und so starb er ohne große Leiden, sein Glück, seine späte Liebe vor Augen.


Diese Geschichte beruht auf wahren Elementen. Das Coronavirus hat die Welt im Jahr 2020 in den Würgegriff genommen. Der internationale Flugverkehr ist fast zum Erliegen gekommen. Die gesundheitlichen Auswirkungen dieses verdammten Virus waren sehr unterschiedlich, manche spürten kaum etwas, andere starben innerhalb weniger Tage und nicht nur wegen Lungenversagens. Die Orte sind real. Maria und Carlos sind real, wenn auch nicht ganz so, wie hier dargestellt. Der Protagonist und die Handlung der Geschichte sind zwar frei erfunden, es hätte aber so sein können.


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Beschreibung des Autors zu "Späte Liebe in Zeiten von Corona"

Eine Reise nach Kuba verändert das Leben eines Mannes, denn dort erwarten ihn eine groiße Liebe und ein tückischer Virus.




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