Nach einer halben Flasche Wodka war Bastian natürlich nicht mehr der Sicherste auf den Beinen. Kim half ihm dabei, seine Jacke auszuziehen und stütze ihn dann ein wenig, während sie durch den Flur in Richtung Wohnzimmer gingen. Er hatte sich immer noch nicht richtig von dem Schock erholt, wobei er sich fragte, worüber er mehr schockiert war: Darüber, dass Greta wirklich mit Bastian Schluss gemacht hatte, an dem Tag, an dem er um ihre Hand anhalten wollte, oder, dass es das Erste war, an das Kim grade gedacht hatte. Wo er sich doch immer sicher gewesen war, dass Greta und Bastian unzertrennlich waren. Andererseits, was hätte er sonst denken sollen, als der verheulte Bastian vor seiner Tür stand?

Der ließ sich jetzt mit einem lauten Seufzer auf Kims Couch fallen, stellte die Wodkaflasche auf den Tisch und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Am Zucken seiner Schultern erkannte Kim, dass er wieder zu weinen angefangen hatte und er hatte keine Ahnung, wie er sich jetzt verhalten sollte. Das letzte Mal, an das er sich erinnern konnte, dass er Bastian hatte weinen sehen, war im Kindergarten gewesen. Danach hatte er immer den Eindruck gemacht, in sich zu ruhen und sich auch von dem schwersten Schicksalsschlag nicht unterkriegen zu lassen. Wobei das mit Greta wohl der erste schwere Schlag war, mit dem er bis jetzt konfrontiert worden war, denn Kim hatte ihn noch nie voher so fertig gesehen.

Kim setzte sich ihm gegenüber in den Sessel und legte die Hände in den Schoß. Er war mit der Situation grade ziemlich überfordert, weil er keine Ahnung hatte, was er machen sollte. Sollte er Bastian trösten? Oder ihn in Ruhe lassen? Und während er darüber nachdachte und sich nicht entscheiden konnte, wurde ihm bewusst, dass der laufende Fernseher grade wirklich störte und wenigstens die Entscheidung, ihn auszuschalten, konnte er ohne Probleme treffen.

Als er sich über den Tisch beugte, um nach der Fernbedienung zu greifen, rief Bastian plötzlich laut "Scheiße!", lehnte sich mit einem Ruck auf der Couch zurück und schniefte einmal.

Kim griff sich die Fernbedienung und ließ sich zurück in den Sessel fallen, aber da Bastian jetzt auf den Fernseher starrte, schaltete er ihn lieber nicht ab. Und er konnte nicht verhindern, dass er jetzt doch ein wenig neugierig auf das wurde, was da genau zwischen Bastian und Greta passiert war und sie nach acht Jahren glücklicher Beziehung so plötzlich auseinandergebracht hatte. Aber nachzufragen kam ihm grad nicht wie eine gute Idee vor, weswegen er dann auch auf den Fernseher starrte.

Sie schwiegen eine ganze Weile, bis Kim Bastian schließlich einmal laut seufzen hörte und als er sich zu ihm umdrehte, hatte er die Flasche angesetzt und trank einen Schluck. Dann stellte er sie mit einem lauten Klirren auf den Tisch, sah Kim wütend an und sagte mit wodkaschwerer Stimme: "Ich kann immer noch nicht glauben, wie heftig Greta mich verarscht hat!"

"Was ist denn genau passiert?", erlaubte Kim sich jetzt die Frage und hoffte, dass Bastian sie ihm nicht übel nahm, aber der hatte offensichtlich nur darauf gewartet, denn sofort schoss es aus ihm heraus: "Sie hat mich betrogen! Und das schon über ein Jahr!" Er fuhr sich einmal mit der Hand durchs Gesicht. "Ich... ich hab sie abgeholt und bin mit ihr im Wald herumspaziert, wie ichs geplant hatte. Und dann kamen wir auf die Lichtung mit dem Baumhaus und ich fand, dass das der perfekte Platz ist um sie zu fragen. Und... und ich hatte schon in die Tasche gegriffen und wollte den Ring rausholen, da sagt sie plötzlich, dass sie unbedingt mit mir reden muss. Und dann erzählt sie mir einfach so, dass sie mich betrügt!" Er schniefte erneut und umklammerte die Wodkaflasche mit beiden Händen. "Mit einem Kerl von der Arbeit. Der zehn Jahre älter ist als sie, vier Sprachen spricht und ständig durch die Welt reist. Und dass sie das auch viel lieber will als...als..." Er brach ab und verzog das Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse, während er mit sich selbst kämpfte, ob er jetzt weiterreden sollte.

Kim war grade nicht in der Lage, in der jetzt entstehenden Pause etwas zu sagen, weil er erst einmal die Tatsache verdauen musste, dass Greta Bastian betrogen hatte. Etwas, an das er noch nicht einmal im Traum gedacht hatte. Und als er sich schließlich wieder gefangen hatte und den Mund öffnete, um etwas zu sagen, von dem er noch nicht wusste, was es werden würde, hatte Bastian seinen inneren Kampf entschieden und redete weiter. "Sie... sie hat gesagt, ich wäre nur ein einfacher Bauer und, dass sie nicht so lange studiert hat und um auch einer zu werden. Und dann... dann hat sie eine Tasche gepackt und ist abgehauen. Zu dem alten Sack natürlich!" Er fing wieder an zu weinen und diesmal wusste Kim instinkiv, was er machen musste, stand auf, setzte sich neben Bastian und nahm ihn in die Arme. Und während der an seiner Schulter heulte, musste Kim die ganze Zeit über das nachdenken, was er grade erzählt hatte. Das klang alles so gar nicht nach der Greta, die er kannte, und wenn Bastian grade nicht so völlig fertig deswegen gewesen wäre, dann hätte Kim das Ganze für einen Scherz gehalten. Aber so musste er auch erst einmal mit der Situation klarkommen, während er Bastian festhielt und beruhigend über den Rücken strich.

Er wusste nicht, wie lange er das tat, aber irgendwann wurde Bastian ruhiger und gähnte schließlich an seiner Schulter. "Ich muss pennen," murmelte er und ließ sich da dann einfach nach hinten auf die Couch fallen. Kim zog ihm die Schuhe aus und stand auf um die Wolldecke zu holen. Als er sie über Bastian ausbreitete, war der schon tief und fest eingeschlafen. Kim schaltete noch schnell den Fernseher aus, bevor er ins Schlafzimmer ging.

Er selber konnte aber leider überhaupt nicht schlafen. Nicht nur, weil er Bastian aus dem Wohnzimmer hörte, der, wie immer wenn er Alkohol getrunken hatte, ziemlich laut schnarchte, sondern auch, weil sein Luftschloß, dass er sich jetzt über Jahre hinweg aufgebaut hatte, grade zusammengekracht war und auch vermutlich nie wieder aufgebaut werden konnte. Schließlich hatte er sich jahrelang an der Idee von Bastian und Greta festgeklammert und dass er so eine Liebe auch irgendwann einmal finden würde. Denn auch, wenn alle anderen immer behaupteten, er würde sich nur etwas vormachen, hatte er immer die beiden gehabt um zu sehen, dass sie falsch gelegen hatten

Aber auf einmal gab es Bastian und Greta nicht mehr. Es gab nur noch Bastian, der deswegen völlig fertig war. Vermutlich, weil er genau der gleichen Illusion wie Kim erlegen war, schließlich hatte er Greta ja auch heiraten wollen, um dann schmerzlich feststellen zu können, dass sie das Spiel der großen Liebe schon ein Jahr nicht mehr mitgespielt hatte. Und dabei hatte sie die ganze Zeit genau so glücklich gewirkt wie voher und sich anscheinend nie etwas anmerken lassen. Oder Bastian hatte die Signale einfach nicht richtig deuten können. Oder wollen. Egal was es war, Kim fand beides schrecklich und er wusste, würde ihm so etwas passieren, dann würde genau so verzweifelt sein, wie Bastian es jetzt war.

Kim wälzte sich unruhig auf den Rücken und starrte an die Decke, als ihm klar wurde, dass wirklich nichts an oberflächlichen Beziehungen vorbeiführen würde, jetzt, wo sein Luftschloß kaputt war. Denn die Alternative, einfach gar keine Beziehung zu führen, kam für ihn absolut nicht in Frage. Er wollte sein Leben mit jemandem teilen. Er wollte jemanden, dem er von seinen Alltagsgeschichten erzählen konnte und der sich auch für sie interessierte, egal, wie banal sie waren. Er wollte jemanden, mit dem er Dinge unternehmen konnte, auch, wenn es nur das gemeinsame Gucken irgendeiner Fernsehserie war. Und er wollte jemanden, neben dem er am Morgen aufwachte, ihn anlächelte und mit dem er dann stundenlang im Bett kuscheln konnte. Und als Bastian und Greta noch zusammen waren, erschien ihm das alles gar nicht mal so unrealistisch. Während es ihm jetzt beinah unerreichbar erschien.

Er verbrachte die nächsten schlaflosen Stunden damit, sich mit dem Gedanken anzufreuden, ein Profil auf einer Dating-Seite zu erstellen und während er noch darüber nachdachte, welches Bild er dafür von sich nehmen würde und welche Angaben er über sich selbst machen wollte, schlief er schließlich doch ein.

Um nach gefühlten fünf Minuten brutal von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden. Er stolperte in die Küche um die Kaffeemaschine anzumachen, während er versuchte, die Augen aufzubekommen. Und als er sich, wie jeden Morgen, auf den Stuhl am Küchentisch setzte, um zu warten, bis der Kaffee durchgelaufen war, weil er wusste, dass er vorher sowieso nichts zustande bringen würde, fiel ihm Bastian wieder ein. In der Wohnung war es still, also vermutete Kim, dass er sich irgendwann in der Nacht auf den Weg nach Hause gemacht hatte und der Gedanken, dass Bastian, traurig und betrunken, den Weg an den Feldern vorbei zurück nach Hause gegangen war, gefiel ihm gar nicht.

Aber bevor er anfing, sich Sorgen zu machen ertönte dann doch ein Schnarcher aus dem Wohnzimmer und als er zur Couch ging, lag Bastian immer noch da, hatte sich in die Decke eingerollt und schlief tief und fest.

Kim seufzte einmal erleichtert auf, dann nahm er die Wodkaflasche vom Tisch und stellte sie in den Kühlschrank. Und dann konnte er endlich die erste Tasse Kaffee des Tages trinken. Danach fühlte er sich einigermaßen fit, sodass er sich fertig machen, seine Tasche nehmen und zur Arbeit gehen konnte.

Auf der zwanzigminütigen Busfahrt zum Büro verlor sich der Koffeinrausch aber leider wieder, sodass er, nachdem er seine Tasche auf seinen Schreibtisch gestellt hatte, gleich zur Kaffeemaschine ging, um sich einen zweiten zu machen. Aber auch der schaffte es nicht, dass er sich danach auf seine Arbeit konzentrieren konnte und das, wie üblich, muntere Treiben seiner Kollegen ging ihm heute nur auf die Nerven. Vorallem das Geturtel zwischen Louisa und Jonas. Aber er wusste, wenn er etwas sagen würde, dann würde er sich nur zum Buhmann machen und darauf hatte er absolut keine Lust.

Also biß er die Zähne zusammen und als Kathrin ihn fragte, wieso er heute so still war, erwiderte er freundlich, dass er einfach nur schlecht geschlafen hatte. Und wurde dann glücklicherweise für den Rest des Arbeitstages die meiste Zeit in Ruhe gelassen.


© Fenni


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