Als Kim an diesem ganz gewöhnlichen Montagmorgen ins Büro kam und sah, dass sämtliche Schreibtische unbesetzt waren und dass, wo er sowieso schon fünf Minuten zu spät war, bekam er kurz einen Schreck, weil er dachte, er hätte irgendeine wichtige Besprechung verpasst.

Aber dann hörte er Stimmen und stellte erleichtert fest, dass sich die Büroaktivität geschlossen von den Schreibtischen zur Kaffeemaschine verlagert hatte, wo seine drei Kolleginnen eifrig ins Gespräch vertieft waren.

Kim stellte seine Tasche auf seinen Schreibtisch direkt neben der Tür und gesellte sich dann dazu. "Was ist denn hier los?", erkundigte sich, während er nach einem Becher griff, um als Einziger die gänzlich unbeachteten Kaffeemaschine ihrer Bestimmung zuzuführen.

"Du wirst es nicht glauben!" erwiderte Melanie und grinste ihn an. "Kathrin hat durch Zufall in der Kantine gehört, dass wir jetzt doch endlich mal einen neuen Mitarbeiter bekommen."

Kathrin nickte bestätigend. "Unglaublich aber wahr wurde dann doch endlich mal erkannt, dass wir hier ziemlich überlastet sind. Und natürlich erfahren wir nicht per Rundschreiben davon, sondern in der Kantine. Wie üblich ist die Kommunikation in diesem Saftladen eine Katastrophe!"

"Uuuuund.." mischte sich Louisa als Dritte im Bunde ein. "Es ist ein Mann. Anfang dreißig und vielleicht ja noch Single." Sie klatschte einmal in die Hände. "Das ist meine Chance."

"Moment mal," protestierte Kathrin und legte Kim die Hand auf den Arm. "Du hattest doch erst letztens was mit diesem Typ aus der Poststelle, du bist erst mal raus. Kim ist jetzt endlich mal an der Reihe sein Liebesleben ein bisschen aufzupeppen."

"Vielen Dank für deine Hilfe," erwiderte Kim bissig. Er freute sich zwar auch sehr über die Aussicht, bald vielleicht nicht mehr in Papierkram zu ertrinken aber über die Richtung, die dieses Gespräch grade nahm, freut er sich nicht. Sein Kaffee war inzwischen durchgelaufen und er nahm seine Tasse und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Schreibtisch, während er Louisa hinter sich "Wie hoch ist bitte die Wahrscheinlichkeit, dass er auch schwul ist? Eher gering, nicht?!" sagen hörte. Und dann seufzte er einmal tief, weil sie damit natürlich absolut Recht hatte.

Aber selbst wenn die Wahrscheinlichkeit hoch gewesen wäre, hätte sich Kim keine Hoffung gemacht, denn etwas mit jemandem von der Arbeit anzufangen, vorallem, wenn er dann auch noch im selben Büro saß, stand für ihn völlig außer Frage.

Und jetzt war auch keine Zeit, sich weiter mit solchen Gedanken zu beschäftigen, denn der Stapel Papier der sich auf seinem Schreibtisch auftürmte hätte eigentlich schon vorgestern erledigt sein müssen und musste jetzt dringend abgearbeitet werden. Aber obwohl Kim versuchte, sich voll und ganz darauf zu konzentrieren konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken hin und wieder doch zu dem neuen Kollegen wanderten.

Um kurz nach neun war es dann soweit: Die Tür öffnete sich und herein kam Herr Schubert, ihr Chef, gefolgt von einem blonden Mann, bei dessen Anblick Kim sofort das Wort ,hetero' ansprang. Aber damit hatte er ja sowieso gerechnet. Was ihn aber nicht davon abhielt den kleinen Wackelkopf-Batman, den Melanie ihn zum letzten Geburstag geschenkt hatte und der seitdem gut sichtbar auf seinem Schreibtisch stand, schnell in der Schublade verschwinden zu lassen.

Der Neue sah wirklich nicht schlecht aus, er nicht sehr groß und hatte ein gewinnendes Lächeln und als Kim Louisa einen kurzen Blick zuwarf, sah sie absolut nicht abgeneigt aus.
"Das ist Herr Jonas Neumann, der Sie ab heute unterstützen wird," sagte der Chef und wandte sich an Melanie. "Frau Lange, Sie als Dienstälteste werden ihn einarbeiten."

Melanie nickte, während Louisa ziemlich enttäuscht aussah, weil die Aufgabe nicht ihr übertragen worden war. Während der Neue und der Chef mit Melanie ein paar Einzelheiten besprachen, kam sie zu Kim und stellte sich dicht neben ihn. "Und?" flüsterte sie und zupfte an seinem Ärmel. "Was sagt dein Radar?"

"Du kannst dich freuen, denn es sagt ,eindeutigt hetero' erwiderte Kim ebenso leise und Louisa strahlte. "Und er trägt keinen Ring. Wunderbar!"

Sie verlor dann auch keine Zeit, sich mit dem Neuen bekannt zu machen, denn als Melanie grade durch ein Telefonat abgelenkt war, bot sie ihm an, ihm das Büro zu zeigen, in dem es außer den Schreibtischen, einem Schrank, dem Wasserspender und der Kaffemaschine sowie diversen Pflanzen nichts zu sehen gab. Aber der Neue war sofort Feuer und Flamme und anhand des Gesichtsausdruck, mit dem er Louisa ansah, schienen sich da zwei gefunden zu haben.

Kim beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während er so tat, als wäre er eifrig am Computer beschäftigt und der Drang zu seufzen stieg wieder in ihm auf. Er wünschte, ihm würde es auch so einfach fallen, mit jemandem anzubandeln. Aber im Gegensatz zu Louisa, die auch gegen ein kurzes Abenteuer nichts einzuwenden hatte, hatte Kim die Vorstellung von der großen romantischen, erwigwährenden Liebe. Er hasste sich selbst dafür, weil sie sein Leben nur unnötig verkomplizierte, kam aber auch nicht davon weg.

"Warum probierst du nicht einfach doch mal Online-Dating?" fragte Niklas und aufgrund der Tatsache, dass das nicht das erste Mal war, dass er Kim diese Frage stellte hätte der am liebsten genervt mit den Augen gerollt. Aber er konnte das Bedürfnis erfolgreich unterdrücken, vorallem, weil das eine entsprechende Reaktion von Niklas herausbeschworen hätte. Auf die Kim keine Lust hatte. Genau, wie er eigentlich keine Lust auf Niklas' Gesellschaft hatte. Er wollte einfach nur in der Kneipe, über der seine Wohnung lag und in der er häufiger mal vorbeisah, ein Feierabendbierchen trinken und sich dabei etwas selbst bemitleiden. Aber Niklas, den er hier kennengelernt hatte als sie zufällig bemerkt hatten, dass sie dem gleichen Kerl hinterher gesehen hatten, war leider auch oft hier und immer gerne dazu bereit, Kim gute Ratschläge zu erteilen, die der gar nicht hören wollte. Genau, wie er es grade getan hatte.

"Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich darauf keine Lust hab, weil da doch eh alle nur vögeln wollen," erwiderte Kim und Niklas zog die Augenbrauen hoch. "Nicht nur," widersprach er. "Mit dem einen Typen, mit dem ich mich damals getroffen hab, war ich danach immerhin über einen Monat zusammen."

"Ja, nachdem ihr beim ersten Treffen erst mal sofort ins Bett gegangen seid," erwiderte Kim und Niklas schüttelte den Kopf. "Was bist du eigentlich? Ein Asket? Ab und zu mal einfach nur rumzuvögeln ist doch ne feine Sache. Und ich denke mal, dir würde das auch mal wieder guttun. Dein letztes Mal war doch mit diesem schmierigen Autoverkäufer und ist schon ewig her!"

Wieder einmal bereute Kim es, dass er Niklas damals davon erzählt hatte. Aber zu der Zeit hatte er auch noch nicht gewusst, wie der so drauf war. "Dann bin ich halt ein Asket," erwiderte er, um diese Unterhaltung zu beenden, was Niklas dazu veranlasste, die Hand auf seinen Arm zu legen und ihn mitleidig anzusehen.

Kim reagierte darauf, indem er den Rest Bier in seinem Glas in einem Zug austrank und sich dann vom Barhocker schwang. "Ich geh dann jetzt. Schönen Abend noch!" Und ehe Niklas noch was sagen konnte, hatte Kim die Kneipe auch schon verlassen.


© Fenni


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Beschreibung des Autors zu "Wie Kim auszog, die Liebe zu suchen und nur Probleme fand, Teil I"

Kim will eigentlich nur das, was Bastian hatte. Was aber nicht einfach zu bekommen ist.

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